Hamburg. SPD schickt Grüne im Bezirk Nord in die Opposition. Das gab es schon mal – mit umgekehrten Vorzeichen. Welche Bedeutung die Trennung hat.

Diese politische Provokation ist ohne Zweifel gelungen: Die SPD schickt den langjährigen Koalitionspartner Grüne als stärkste Kraft im Bezirk Hamburg-Nord in die Opposition und will ein Bündnis mit CDU, FDP und den Newcomern von Volt schmieden. Man wird sehen, wie tragfähig diese Deutschland-Koalition plus Volt sein wird, deren Vertreter grüne Positionen bisweilen klarer vertreten als das regierungserfahrene und -milde Original. 

Der Paukenschlag in Hamburgs zweitgrößtem Bezirk bedeutet zweierlei: Erstens geht es um Macht. Der SPD als stärkster Fraktion des künftigen Bündnisses steht das Vorschlagsrecht für den Posten des Bezirksamtsleiters zu. Wenn die neue Koalition steht, werden die Sozialdemokraten zügig auf die Wahl einer Frau oder eines Mannes aus ihren Reihen drängen, um den umstrittenen Amtsinhaber Michael Werner-Boelz (Grüne), der eigentlich bis Anfang 2026 gewählt ist, vorzeitig abzulösen. Das ist nicht schön, aber so ist Politik (auch).

Zweitens hat das Vier-Parteien-Bündnis eine landespolitische Dimension. Gut sechs Monate vor der Bürgerschaftswahl macht die SPD eine Ansage in Richtung des Koalitionspartners von den Grünen im Rathaus. „Wir können auch anders“, lautet die SPD-Botschaft aus Hamburg-Nord. Nämlich: ohne die Grünen, Partner auf Landesebene seit immerhin neun Jahren, und stattdessen mit einer vermutlich erstarkten CDU, die die 11,2-Prozent-Talsohle von 2020 verlassen kann. 

Vor fünf Jahren kündigten die Grünen in Eimsbüttel das Bündnis mit der SPD zugunsten der CDU auf


Ist die absehbare Scheidung im Norden der Stadt die Ankündigung des Machtwechsels durch die SPD auch im Rathaus? Nein, das hieße, die Bedeutung der Bezirkswahlen unangemessen zu überhöhen. Wahr ist allerdings, dass die Bezirksversammlungen immer wieder als Experimentierfeld für neue Kombinationen und Konstellationen dienen. Das gilt übrigens auch für die CDU, die so auffällig in den Senat strebt und nun ihre Regierungsfähigkeit schon einmal in Hamburg-Nord unter Beweis stellen darf. 

Der Autor Peter Ulrich Meyer ist Leitender Redakteur im Ressort Landespolitik.
Der Autor Peter Ulrich Meyer ist Leitender Redakteur im Ressort Landespolitik. © Mark Sandten | Mark Sandten

Zur Einordnung der Bedeutung des SPD-Trennschritts für das rot-grüne Binnenverhältnis auf Landesebene hilft ein kleiner Blick zurück. Bei den vorangegangenen Bezirks- und Europawahlen im Jahr 2019, auch damals regierte Rot-Grün im Rathaus, verwiesen die Grünen die erfolggewohnten Sozialdemokraten auf Rang zwei. Klimaschutz war damals ein Gewinnerthema, der Bundestrend zugunsten der Grünen schlug auf Hamburg durch.

Gleich in vier der sieben Bezirke waren die Grünen stärkste Kraft. Und in Eimsbüttel kündigte die Partei dem langjährigen Koalitionspartner SPD prompt die Partnerschaft auf, um mit der CDU zusammenzugehen. Ein Ziel der Grünen: die Ablösung des SPD-Bezirksamtsleiters Kay Gätgens, dessen Amtszeit sogar noch drei Jahre dauerte. Wie sich die Abläufe damals in Eimsbüttel und jetzt in Nord gleichen – nur mit umgekehrten Vorzeichen. 

Bei der Wahl 2020 profitierten SPD und Grüne von ihrer Konkurrenz um das Bürgermeisteramt

Damit nicht genug: Getragen von den Wahlerfolgen und der allgemeinen gesellschaftlichen Stimmung forderten die Grünen die SPD auch auf Landesebene heraus: Bei der Wahl 2020 trat deren Spitzenkandidatin Katharina Fegebank mit dem Ziel an, Erste Bürgermeisterin zu werden. Eine Koalitionsaussage machten die Grünen vor der Wahl ausdrücklich nicht.  Das Ergebnis ist bekannt: Die SPD setzte sich mit deutlichem Abstand durch und Peter Tschentscher blieb Erster Bürgermeister. Dabei profitierten SPD wie Grüne von der Polarisierung vor der Wahl, erreichten zusammen eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Bürgerschaft und setzten das rot-grüne Bündnis dann relativ unspektakulär fort. Es blieb übrigens dabei, obwohl auch Rot-Schwarz rechnerisch möglich gewesen wäre ... 

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Letztlich geht es neben Machtfragen nicht zuletzt um Inhalte. Und da zeigt sich, dass SPD und Grüne in allgemeinen gesellschaftspolitischen Fragen sowie den meisten relevanten Themenfeldern der Politik nach wie vor enger beieinanderliegen. Der Abstand zur CDU ist jeweils größer, auch wenn deren Kompromissbereitschaft 2025 recht ausgeprägt sein dürfte. Es ist mit anderen Worten zu früh, das Sterbeglöcklein für Rot-Grün im Rathaus zu läuten. 


Der grün-schwarze Versuch in Eimsbüttel scheiterte übrigens dramatisch: Zweimal verfehlte die grüne Kandidatin für den Posten der Bezirksamtsleiterin die Mehrheit. Die U-Boote wurden nie gefunden … Zwei Jahre danach kündigten die Grünen das Bündnis wegen zu großer Differenzen auf. Auch so können Experimente in den Bezirken enden.