Hamburg. Es ist die häufigste nicht natürliche Todesursache im Säuglingsalter. Kinderärztinnen erklären, wie es dazu kommt und wie man vorbeugen kann.

Um zu verstehen, welche Kräfte bei einem Schütteltrauma wirken, wählt die Hamburger Kinderärztin Charlotte Schulz einen drastischen Vergleich: Wenn ein 55 Zentimeter großer und dreieinhalb Kilogramm schwerer Säugling von einem 1,80 Meter großen und 85 Kilogramm schweren Erwachsenen geschüttelt wird, sei es so, als würde der gleiche Erwachsene von einem sechs Meter großen und zwei Tonnen schweren Riesen geschüttelt. „Zu welchen Verletzungen das führen kann, kann man sich vorstellen.“

Doch vielen Tätern – und als solche müsse man sie bezeichnen – sei eben nicht bewusst, was sie ihrem Baby antun und dass sie es womöglich fürs Leben schädigen. Deshalb ist diese Podcast-Folge der KinderDocs auch Schulz’ Kollegin Claudia Haupt ein besonderes Anliegen: „Weil es uns so wichtig ist, darüber aufzuklären, wie verletzlich Kinder sind und dass dieses Schütteln ganz schwere Schäden verursachen kann.“

Schütteltrauma ist die häufigste nicht natürliche Todesursache im Säuglingsalter

Sie reichen bis hin zum Tod. Tatsächlich ist das Schütteltrauma die häufigste nicht natürliche Todesursache im Säuglingsalter. Geschätzt wird, dass jedes Jahr 100 bis 200 Babys ein Schütteltrauma erleiden. Hinzu kommen dürfte eine hohe Dunkelziffer mit neurologischen Folgen, die nicht so schwer sind, dass sie eine stationäre kinderärztliche Diagnostik und Behandlung nach sich ziehen.

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Schütteltrauma – so dramatisch sind die Folgen für das Baby

Die KinderDocs - der Eltern-Ratgeber-Podcast

Von den Kindern, die mit einem Schütteltrauma in eine Klinik gebracht werden, sterben zehn bis 30 Prozent daran. 50 bis 70 Prozent überleben zwar, behalten allerdings lebenslange körperliche und geistige Behinderungen zurück. Nur zehn bis 20 Prozent der betroffenen Kinder kommen unbeschadet davon.

Schwere Verletzungen im Gehirn lassen sich im bildgebenden Verfahren recht eindeutig diagnostizieren. Hinzu kommen können weitere Verletzungen, etwa Blutungen der Netzhaut oder auch Knochenbrüche. „Leider sind diese Kinder meistens nicht nur Opfer einer einmaligen Misshandlung, sondern waren schon vorher körperlicher Gewalt ausgesetzt“, sagt Charlotte Schulz.

Schütteltrauma: Welche Babys besonders gefährdet sind

In weniger schweren Fällen können auch Symptome wie Antriebslosigkeit, Blässe, Erbrechen oder Atemstörungen auf ein Schütteltrauma deuten. Hier sei die Diagnostik ungleich schwieriger – und deshalb besondere Vorsicht geboten. Denn ein zu Unrecht geäußerter Verdacht eines Schütteltraumas könne nicht nur strafrechtliche Relevanz haben, er könne auch eine Familie zerstören.

Oft sind die Täter Männer. Oft genug waren sie selbst auch Opfer und haben im Kindesalter körperliche Gewalt erfahren müssen. Alkohol, Drogen und finanzielle Probleme können ebenfalls zu einer mangelhaften Impulskontrolle und Frustrationstoleranz beitragen – Eigenschaften, die es im Umgang mit einem schreienden Säugling braucht. Unter den Tätern seien zudem junge Eltern und Alleinerziehende häufiger anzutreffen als andere Gruppen.

Auch bei den Opfern gibt es statistische Auffälligkeiten. Meist treffe es zwei bis sechs Monate alte Babys – es ist das Alter, in dem sie besonders viel schreien. Stärker gefährdet seien auch Frühgeborene, Mehrlinge oder Kinder mit Behinderungen, deren Betreuung anspruchsvoller ist.

Dabei könne ein unablässig schreiendes Baby fast jede Mutter, jeden Vater an die Grenzen bringen, das hörten die KinderDocs auch in ihren Sprechstunden immer wieder. „Wenn dann niemand da ist, der diesen Stress abfangen kann, wird es gefährlich“, sagt Claudia Haupt. Hier seien alle, die mit der Betreuung von Familien befasst seien, gefordert: zu unterstützen, aufzuklären und präventiv tätig zu werden.

Das Erste, was Eltern in einem solchen Moment der Überforderung tun sollten, sei, das Kind abzulegen. Dann, aber auch erst dann dürften sie ihrem Impuls nachgeben – bis hin zu kaputten Kaffeetassen und zerbrochenen Stühlen, wie sie in einer Hamburger Aufklärungskampagne gezeigt würden. Manchmal reiche es aber schon, kurz den Raum zu verlassen, um durchzuatmen, oder eine Yogaübung zu machen. Kurzum: Alles, nur nicht schütteln!

Wo Eltern Unterstützung und Beratung erhalten, auch das erklären die KinderDocs in dieser Folge.