Hamburg. Doppel-Gespräch mit altem und neuem Vorsitzenden: Kay Uwe Arnecke und Jan Schröder über Digitalisierung, Tunnel und Tücken des Hamburger Netzes.
Stabwechsel in Hammerbrook, der eine geht, der andere kommt: Kay Uwe Arnecke (64) übergibt den Vorsitz in der Geschäftsführung der S-Bahn Hamburg an Jan Schröder (49). Das Abendblatt sprach mit beiden über den Ausbau der S-Bahn, die Problemstrecken und das Nadelöhr Hamburger Hauptbahnhof.
Herr Arnecke, Sie gehen als Chef der Hamburger S-Bahn – und es regnet noch einmal Millionen aus Berlin. Wie wichtig ist die Finanzspritze des Bundes für das neue digitale Stellwerk für jemanden, der bei der Deutschen Bahn schon fast alles erlebt hat?
Kay Uwe Arnecke: Wir erleben ja ein starkes Wachstum: Die neuen Linien S4 und S6 kommen. Beide Linien werden durch die City und den Hauptbahnhof führen – das sind dann 30 Prozent beziehungsweise 400 Züge täglich mehr in der Innenstadt. Das ist ohne das digitale Stellwerk nicht oder nur zu einer schlechteren Qualität machbar. Der City-Bereich ist besonders relevant, hier fahren alle Züge durch, und deshalb ist das digitale Stellwerk so lebenswichtig für die Zukunft der Hamburger S-Bahn. Insofern ist es nicht nur ein Stellwerk, sondern es ist eigentlich das Herzstück der Digitalisierung.
„Stellwerk“ – das klingt sehr technisch. Was haben denn die täglich 750.000 Fahrgäste der S-Bahn davon?
Arnecke: Erstens kommen eben 400 Züge mehr pro Tag. Zweitens ist der Vorteil dieser digitalen Technik, dass mehr Züge in kürzeren Abständen fahren können. Das hat den Vorteil, dass mehr Kapazität da ist, aber auch mehr Resilienz. Da, wo Störungen dann entstehen, können sie dank des digitalen Stellwerks auch schneller wieder abgebaut werden.
Herr Schröder, Sie bringen als neuer S-Bahn-Chef in den nächsten Jahren Projekte ins Ziel, die Herr Arnecke angestoßen hat. Wann fährt denn die S4 zwischen Bad Oldesloe und Hamburg?
Jan Schröder: Im Dezember 2027 soll die S4 an den Start gehen und zunächst bis nach Rahlstedt fahren. 2029 verbindet die S4 dann Hamburg mit Bad Oldesloe.
S-Bahn Hamburg: Wie die S4 den RB 81 nach Ahrensburg ersetzt
Was ist der Vorteil einer S4 im Vergleich zur RB 81?
Schröder: Wir werden neue Gebiete für die S-Bahn erschließen, zum Beispiel Rahlstedt, wo rund 90.000 Menschen wohnen. Hier werden wir in einem dichten Takt fahren. Von Ahrensburg geht es dann im Zehn-Minuten-Takt in die Stadt. Das ist schon eine deutliche Ausweitung des Angebots, auch weil die Fahrgäste umsteigefrei in die City bis nach Altona kommen. Für viele Menschen entlang der Strecke wird es das erste richtige ÖPNV-Angebot sein, weil mit der S4 auch neue Haltepunkte entstehen. Zudem fährt eine S-Bahn eben sehr viel häufiger in die Stadt, als es die Regionalbahn heute tut.
Die S4 fährt in einem Korridor zwischen Hamburg, Lübeck und dem künftigen Fehmarnbelttunnel, der stark mit Personen- und Güterzügen belastet sein wird. Wächst da ein neuer Bahn-Krisenherd heran?
Schröder: Die Sorge habe ich nicht. Denn genau aus diesem Grund bauen wir auf der Strecke ja zusätzliche Gleise. Bis Ahrensburg-Mitte, wo wir den dichten Takt fahren, sind wir auf zwei komplett eigenen Gleisen unterwegs. Auf dem letzten Abschnitt von Bargteheide bis Bad Oldesloe, wo wir im Ein-Stunden-Takt fahren, haben die Trassen genug Kapazität für die S-Bahn.
Herr Arnecke, wie schwierig ist eigentlich die Krisenkommunikation, wenn Sie den Kunden Zugausfälle, Streckensperrungen, kaputte Brücken oder Lokführerstreiks verkünden müssen?
Arnecke: Wir fahren insgesamt einen stabilen Verkehr. Trotzdem kann es immer wieder zu Störungen kommen. Über die Hälfte der Störungen entsteht durch externe Einflüsse, beispielsweise Rettungswagen- oder Polizeieinsätze. Woran wir immer noch arbeiten, ist die Verbesserung der Kundeninformation in solchen Fällen. Die Fahrgäste erwarten natürlich auch, dass sie ihren Anschluss oder Reise-Alternativen bekommen.
Hamburger S-Bahn: Das sind die Problemfälle
Echtzeitdaten auf dem Handy könnten den Kunden helfen.
Arnecke: Echtzeitdaten gibt es bisher vor allem in den DB-eigenen Medien, aber die Schnittstelle zur HVV-App funktioniert noch nicht immer. Daran arbeiten wir.
Gibt es denn aus Ihrer Sicht eine „Problemlinie“ bei der S-Bahn Hamburg?
Arnecke: Der Schwerpunkt der Beschwerden, was auch die Fahrgastinformation betrifft, ist die Strecke nach Stade. Das ist unsere Achillesferse, weil wir hier Mischverkehr mit Regional- und Güterzügen haben. Hier gibt es rund 20 Bahnübergänge, und die Stromversorgung der Züge erfolgt durch eine Oberleitung sowie über einen ganz schwierigen Untergrund von der Geest zur Marsch. Das alles macht diese Strecke besonders, und deshalb haben wir da auch besondere Herausforderungen. Im Gegensatz zur U-Bahn haben wir nicht für jede Linie eine eigene Infrastruktur. Bei uns ist es so, wenn die S1 gestört ist, kann sich dies auch auf die S3 oder umgekehrt auswirken. Wenn es Störungen am Hauptbahnhof gibt, sind alle Linien betroffen. Das ist unser neuralgischer Punkt.
Der Hauptbahnhof steht immer wieder in der Kritik. Wie könnte dieser Verkehrsknotenpunkt aus Sicht der S-Bahn entspannt werden?
Schröder: Eine Sache ist schon angesprochen worden: das digitale Stellwerk. Es wird uns helfen, die Anzahl der Züge besser zu managen und nach einer Störung sehr viel schneller in den Regelbetrieb zurückzukommen. Außerdem müssen wir im Hauptbahnhof ausreichend Fläche schaffen, damit sich die Fahrgäste besser bewegen können. An den Gleisen 3 und 4 kommen deshalb die Kioske weg. Außerdem gibt es hier einen neuen Abgang auf der südlichen Seite, über den sich das Gleis wechseln oder der Hauptbahnhof verlassen lässt. Klar, den Hauptbahnhof können wir nicht komplett neu bauen, aber wir können an Stellschrauben drehen, indem wir die Fahrgastströme besser leiten – da brauchen wir kluge Lösungen.
„Olympia hätte Hamburg bei der Infrastruktur geholfen“
Ist es denn klug, einen milliardenteuren Verbindungsbahn-Entlastungstunnel (VET) zu bauen, der die S-Bahn zwischen Hauptbahnhof und Holstenstraße/Diebsteich buchstäblich auf ein ganz neues Gleis unter der Erde setzt?
Schröder: Ja, weil auch bei aller Digitalisierung die Kapazität der bestehenden Netze irgendwann erreicht ist. Deshalb müssen wir auch in Infrastruktur investieren: in neue Gleise, in neue Strecken. Mit dem Verbindungs-Entlastungstunnel schaffen wir die nötige Kapazität auf der klassischen Verbindungsbahn für den Regional- und Fernverkehr. Insofern sind wir absolut sicher, dass dieser Tunnel dem Verkehrsknoten Hamburg nachhaltig helfen und ihn entlasten wird.
Ist das der Öffentlichkeit vermittelbar? Der VET ist ja ein weiteres Großprojekt, das ähnlich wie die U5 der Stadt sowie den Bürgerinnen und Bürgern viel abverlangen könnte.
Schröder: Große Baumaßnahmen brauchen Zeit. Einerseits für die Planung, andererseits für die Umsetzung. Auch beim VET reden wir da über einige Jahre. Natürlich bringt das Einschränkungen mit sich. Wir können so einen Tunnel nicht bauen, ohne ein paar Maschinen zu benutzen. Ich glaube aber, wir müssen bereit sein, das für einen gewissen Zeitraum zu tolerieren und zu akzeptieren. Denn am Ende bauen wir den Tunnel, um für Entlastung und eine Verbesserung der Verkehrsangebote für unsere Fahrgäste zu sorgen.
Arnecke: Man müsste sich mal vorstellen, die Bundesbahn und Hamburg hätten in den Siebzigerjahren den Citytunnel nicht gebaut oder in den Achtzigerjahren den Harburger Tunnel nicht. Eigentlich ist in Hamburg in den letzten Jahrzehnten zu wenig passiert, würde ich sagen. Das, was Hamburg jetzt mit der U5, mit der S6 Richtung Osdorfer Born oder mit dem VET vorhat, sind ganz wichtige Projekte.
Waren wir also zu mutlos, zu vorsichtig?
Arnecke: Absolut, gerade wenn man Hamburg mit ausländischen Großstädten vergleicht – nehmen Sie Barcelona, wo vor allem seit Olympia 1992 sehr, sehr viel passiert ist. Da leidet Hamburg auch unter der gescheiterten Olympia-Bewerbung. Ich glaube, mit Olympia wäre das ein bisschen schneller und dynamischer vorangegangen. Doch es ist kein bloßes Hamburger Problem. Deutschland ist insgesamt zu zurückhaltend. Das hat auch etwas mit der Intensität der Bürgerbeteiligung hier zu tun, die solche Projekte schwierig machen kann.
Sie haben das Stichwort schon gegeben: S6 Hamburg-West. Was sind die konkreten Pläne für den Ausbau der neuen Linie Richtung Osdorfer Born?
Schröder: Für mich persönlich ist es zum Start natürlich toll, dass ich noch mal eine neue S-Bahn-Linie mitplanen kann. Die Vorplanung läuft bis 2030. Dafür hat der Senat vor Kurzem 120 Millionen Euro freigegeben. Die Strecke der S6 Hamburg-West deckt einen sehr großen Bereich im Hamburger Westen ab, der heute noch keine vernünftige Schienen-Anbindung hat. Bei der Planung der S6 Hamburg-West müssen wir einige Gegebenheiten beachten. So besteht zum Beispiel die Aufgabe, dass wir wegen des Desy-Forschungscampus aufpassen müssen, dass wir uns nicht gegenseitig stören.
Arnecke: Über den Verlauf der Linie haben wir deshalb lange gebrütet. Im Süden soll die S6 Hamburg-West an die Arenen anschließen, die U5 schließt wiederum im Norden an die Arenen an. Mit der S6 ist es dann zwar immer noch ein kleiner Fußmarsch, aber es ist nicht mehr so weit zu den Arenen wie heute.
S6 in Hamburg auch ohne Verbindungsbahn-Entlastungstunnel (VET)
Und der neue Streckenabschnitt im Westen verläuft komplett unterirdisch?
Arnecke: Aufgrund der Bebauung verläuft die Strecke unterirdisch. Die Herausforderung in der Planung ist jetzt noch die Kombination mit dem VET.
Ist die Linie denn vom Bau des VET abhängig?
Schröder: Nein, die S6 Hamburg-West ist nicht abhängig vom VET, denn es gibt zwei Varianten: Wenn der Tunnel kommt, dann würde man dahinter direkt unterirdisch weiterbauen. Wenn er nicht kommt, würden wir die S6 an der Holstenstraße oberirdisch ausfädeln und danach relativ schnell wieder in die Erde gehen.
In der Diskussion um das Deutschlandticket für 49 Euro im Monat fragt man sich: Wie bleibt es finanzierbar? Welcher Preis wäre vernünftig?
Arnecke: Den Erfolg des Deutschlandtickets im HVV und ganz Deutschland sollte man nicht zur Disposition stellen. Aber das Deutschlandticket kostet eine Menge Geld. Auch Geld, das teilweise für den Ausbau und das Angebot fehlt. Deshalb denke ich, dass eine preisliche Anpassung notwendig ist. Über die Preisgestaltung entscheiden aber der Bund und die Bundesländer.