Hamburg. Abmahnung und Gutachten: Jüdische Gemeinde in Hamburg wirft dem Israelitischen Tempelverband „Falschbehauptungen“ vor. Die Hintergründe.

Es ist ein Konflikt, der schon lange schwelt: Seit Jahren kommt es immer wieder zu Spannungen zwischen der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, die etwa 2300 Mitglieder hat und Strömungen des orthodoxen und liberalen Judentums zusammenbringen will, und dem Israelitischen Tempelverband (ITV) – so nennt sich mittlerweile die als Verein gegründete Liberale Jüdische Gemeinde in der Hansestadt mit etwa 340 Mitgliedern. Nun spitzt sich der Streit zu.

Die Jüdische Gemeinde hat eine Anwaltskanzlei eingeschaltet. Diese schickte dem Tempelverband vor Kurzem eine Abmahnung, mit der sie den Verein auffordert, „Falschbehauptungen zu seiner Entstehungsgeschichte zu unterlassen“. Seit dem 22. November 2022 firmiere der Verein als „Israelitischer Tempelverband zu Hamburg e. V.“ und habe vielfach öffentlich behauptet, dass seine Entstehungsgeschichte als Religionsverband in das Jahr 1817 zurückreiche. Tatsächlich handele es sich aber nicht um eine Institution, die seit mehr als 200 Jahren existiere, sondern um einen erstmals im Jahr 2004 gegründeten privatrechtlichen Verein, so die Jüdische Gemeinde.

Juden in Hamburg: Verein sieht sich als Rechtsnachfolger des Tempelverbands von 1817

Noch unter dem Namen „Liberale Jüdische Gemeinde Hamburg e.V“ hatte diese im Juli 2021 nach Angaben der Senatskanzlei bei dieser den Antrag gestellt, genauso wie die Jüdische Gemeinde in Hamburg als sogenannte altkorporierte Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt zu werden. Denn nach dem Verständnis der ITV-Vorsitzenden Galina Jarkova und Eike Steinig führt der ITV rechtlich die Arbeit des 1817 gegründeten Israelitischen Tempelverbands fort. Der ITV macht allerdings nicht nur geltend, Rechtsnachfolger des Tempelverbands von 1817 zu sein, sondern vertritt auch die Ansicht, dass schon der Verband von 1817 über den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verfügt habe, wie die Senatskanzlei auf Abendblatt-Anfrage mitteilt.

Über einen solchen Status verfügt die 1945 gegründete Jüdische Gemeinde in Hamburg schon lange. Mit ihr schloss die Stadt Hamburg 2007 einen Staatsvertrag. Im Zuge dessen erhält die Jüdische Gemeinde jährlich Zuwendungen in Höhe von etwa einer Million Euro pro Jahr – etwa zehn Prozent davon gibt sie nach eigenen Angaben an den ITV ab.

Jüdische Gemeinde spricht von „fortgesetzten Falschbehauptungen“

Die Senatskanzlei gab der Jüdischen Gemeinde die Gelegenheit, sich zu dem Antrag des ITV zu äußern. Daraufhin ließ die Gemeinde von der Kanzlei Graf von Westphalen eine 52-seitige Stellungnahme erarbeiten. Diese liegt dem Abendblatt vor. Im Fazit der Schrift vom 14. Juni dieses Jahres heißt es: Schon der 1817 gegründete Tempelverband habe nicht den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gehabt. „Unabhängig davon ist der Antragsteller weder mit der früheren Deutsch-Israelitischen Gemeinde noch mit dem damaligen Kultus-Tempelverband rechtlich identisch.“

Die Jüdische Gemeinde in Hamburg (JGH) begrüße zwar „grundsätzlich jedes Wirken zur Unterstützung des aktiven religiös-kulturellen Zusammenlebens der liberalen Juden in Hamburg“, erklärte Philipp Stricharz, Vorsitzender der Gemeinde, anlässlich der Abmahnung des ITV. Aber: „Die fortgesetzten Falschbehauptungen des Vereins irritieren inzwischen bereits die öffentliche Berichterstattung. Sie richten sich auch gegen die Jüdische Gemeinde in Hamburg, indem sie ihr trotz vielfacher gerichtlicher und behördlicher Bestätigungen den Status als einzige Rechtsnachfolgerin der Deutsch-Israelitischen Gemeinde zu Hamburg absprechen.“ Die Jüdische Gemeinde sehe sich „verpflichtet, dem falschen Narrativ des Vereins als ‚Rechtsnachfolgerin‘ des historischen Tempelverbands sowie Hauptvertreterin des liberalen Judentums in Hamburg‘ entschieden entgegenzutreten“.

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Das Abendblatt bat den ITV um eine Reaktion zu der Abmahnung sowie zu der Stellungnahme der Jüdischen Gemeinde bezüglich der ITV-Forderung, als altkorporierte Körperschaft anerkannt zu werden. Es meldete sich eine Anwältin der vom ITV beauftragten Berliner Kanzlei von Trott zu Solz Lammek und erklärte, die Kanzlei werde zu der aus ihrer Sicht „unzutreffenden Rechtsauffassung der Jüdischen Gemeinde“ noch „gesondert in dem Statusfeststellungsverfahren Stellung nehmen“. Sie verwies zudem darauf, dass die Senatskanzlei im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens ein Gutachten in Auftrag gegeben habe. Zu der Abmahnung des ITV äußerte sich die Kanzlei trotz mehrfacher telefonischer und schriftlicher Anfrage nicht; auch der ITV reagierte nicht auf die Abendblatt-Anfrage.

Die Senatskanzlei bestätigt, dass sie ein „umfassendes“ Rechtsgutachten in Auftrag gegeben habe. „Mit diesem sollen alle in diesem Verfahren relevanten rechtlichen und rechtshistorischen Fragen aufgeklärt werden.“ Erwartet werde die Bewertung zum Ende dieses Jahres.