Hamburg. KJND steht vor dem Kollaps. Jugendliche müssen in Containern, Zelten und Sporthalle schlafen. Personal fehlt. Viele Langzeitkranke.

Die Lage im Hamburger Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) wird immer dramatischer. Mittlerweile ist die Einrichtung an der Feuerbergstraße so überlastet, dass viele Kinder und Jugendliche dort in Wohncontainern, Zelten und nun auch wieder in einer Turnhalle leben müssen. Ein Grund ist laut Sozialbehörde die verstärkte Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen.

Auf den offiziell 155 Plätzen sind derzeit laut Sozialbehörde 218 junge Menschen untergebracht, zwischenzeitlich waren es ausweislich einer Senatsantwort auf eine Linken-Anfrage noch mehr. Die Belastung für die Bewohner und das Personal ist groß – zumal 18,5 Stellen zuletzt nicht besetzt und 15 KJND-Mitarbeiter langzeiterkrankt waren. Auch das geht aus der Senatsantwort hervor.

Kinder und Jugendliche in Hamburg: Notdienst in Not –„Die Situation macht sprachlos“

Hinzu kommt, dass viele der aufgenommenen Kinder und Jugendlichen mittlerweile wochen- oder monatelang in der Einrichtung bleiben. Dabei ist der KJND eigentlich dafür konzipiert, junge Menschen in Notfällen und nur vorübergehend aufzunehmen, die zum Beispiel aufgrund von persön­lichen Problemen, Überforderung der Eltern, Kriminalität oder Misshandlungen nicht in ihren Familien bleiben können.

„Die Situation im KJND macht sprachlos“, sagte Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus dem Abendblatt. „Die Verhältnisse, unter denen die Kinder und Jugendlichen dort leiden, sind untragbar – schließlich soll der KJND für sie doch ein sicherer Ort sein.“ Die Linke hatte zuletzt in der Bürgerschaft beantragt, den KJND neu zu konzipieren und dabei zu dezentralisieren, also auf mehrere Standorte zu verteilen. „SPD und Grüne haben das in der Bürgerschaft abgebügelt“, so Boeddinghaus. „Eine eigene tragfähige Lösung haben sie aber auch nicht.“

Flüchtlinge stellen den KJND vor „große Herausforderungen“

Die Sozialbehörde räumte die Probleme auf Abendblatt-Anfrage ein. Die „aktuell sehr hohen Zugangszahlen bei Geflüchteten“ machten die Unterbringung zu einer „großen Herausforderung, der wir uns als Stadt stellen“, sagte Sozialbehördensprecher Wolfgang Arnhold. „Diese hohen Zugangszahlen schlagen sich auch direkt bei den Ankünften von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen hier in Hamburg nieder. Das stellt den Kinder- und Jugendnotdienst und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort vor erhebliche Herausforderungen.“

Die von der Linken geforderte stärkere Dezentralisierung des KJND hält man in der Behörde von Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) nicht für den richtigen Ansatz. „Es wird häufig vergessen, dass die Arbeit des KJND bereits zum Teil dezentral organisiert ist“, so Schlotzhauer-Sprecher Arnhold. „Bereits heute finden 20 Prozent der Fälle aller Inobhutnahmen dezentral bei freien Trägern statt.“

Sozialbehörde will das Konzept des KJND nicht infrage stellen

Weitere 40 Prozent gingen in Einrichtungen des Landesbetriebs Erziehung und Beratung (LEB), die sich nicht in der Feuerbergstraße befänden. Für die verbleibenden 40 Prozent sei „eine zentrale Inobhutnahmestelle in der Feuerbergstraße fachlich wie praktisch sinnvoll“, so Arnhold.

So gebe es „Synergieeffekte durch die Bündelung des Ambulanten Notdienstes, der Unterbringungshilfe, der Erstaufnahme sowie des Mädchenhauses“ an einem Ort. „Hierzu zählt vor allen Dingen die gegenseitige Unterstützungsmöglichkeit in Krisensituationen, die in der Form an unterschiedlichen Standorten nicht erbracht werden könnte. Das hat uns insbesondere die Corona-Zeit vor Augen geführt. Dezentrale Strukturen hätten hier den durchgehenden Betrieb der Inobhutnahme gefährdet.“

Behörde appelliert an freie Träger, junge Flüchtlinge zu versorgen

Gleichwohl sei eine „Entlastung der Situation vor Ort“ notwendig, so der Behördensprecher. „Deshalb sind wir dabei, mit freien Trägern der Jugendhilfe zu verhandeln, dass sie Geflüchtete abnehmen und dass diese dann dort vor Ort bei den freien Trägern betreut und begleitet werden.“ Es gebe 170 Standorte der freien Träger in dieser Stadt, betonte Arnhold und appellierte: „Wir sind auf die Unterstützung und Hilfe dieser Institutionen angewiesen bei der Unterbringung der unbegleiteten Minderjährigen.“

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Für Linken-Fraktionschefin Boeddinghaus ist das Problem so nicht zu lösen. Sie wirft SPD und Grünen vor, den Linken-Antrag zur Neuaufstellung des KJND in der Bürgerschaft nicht nur abgelehnt, sondern auch eine „fachpolitisch transparente Erörterung“ im Familienausschuss verhindert zu haben. „Offenbar ist SPD und Grünen schon das zu riskant“, so Boeddinghaus, die ihre wichtigste Forderung aufrechterhält: „Der KJND muss dezentralisiert werden und Träger, die sich in der Arbeit mit schutzbedürftigen jungen Menschen auskennen und engagieren wollen, benötigen sichere und verlässliche Rahmenbedingungen für diese anspruchsvolle Aufgabe.“

Kinder- und Jugendliche in Hamburg: Junge Menschen leben in Zelten, Containern und Turnhalle

Der KJND teilt sich in mehrere Einrichtungen. Nach den aktuellsten Zahlen der Sozialbehörde vom Donnerstag leben aktuell 84 junge Menschen in der Unterbringungshilfe und elf im Mädchenhaus an der Feuerbergstraße. 163 minderjährige Flüchtlinge sind in der Erstaufnahme untergebracht, 14 davon in der Außenstelle Kollaustraße und 26 in der neuen Außenstelle Holstenhofweg.

Somit werden derzeit laut Sozialbehörde 218 junge Menschen auf dem Gelände des KJND an der Feuerbergstraße versorgt. 48 davon leben in Wohncontainern, 30 in der Turnhalle.