Hamburg. Seit zehn Jahren kümmert sie sich um Kinder im Kongo, ermöglichte sogar den Bau einer Schule. Dafür wird sie dort verehrt.
Antje Holst hat im Wohnzimmer diese wunderschönen Holzschnitzereien aufgebaut. Fischer im Boot, ein Mann mit einem langen Speer und eine Mutter, die einem Baby die Brust gibt. Es sind Geschenke, die sie aus dem Kongo mitgebracht hat. Seit zehn Jahren fährt die Hamburgerin in den zentralafrikanischen Staat, der mit seinen 80 Millionen Einwohnern zu den ärmsten Ländern in der Welt gehört.
„Die Mutter mit dem kleinen Kind, das soll ich sein“, sagt sie. Die Menschen im Kongo sehen in der Frau aus Hamburg eine Art Ernährerin. Eine fürsorgende Mutter, die sehr vielen das Überleben ermöglicht. Antje Holst, das merkt man, ist das eher unangenehm.
Es ist auch nur die halbe Wahrheit. Denn die Hamburgerin ist durch die Reisen in den Kongo ebenfalls reich beschenkt worden. Und auch sie hat Hilfe von den Menschen erfahren können.
„Wenn dir plötzlich 100 lachende Kinder entgegenkommen und sich fröhlich und laut dafür bedanken, dass sie in die Schule gehen dürfen, ist das für meinen jahrelangen Einsatz die schönste Belohnung, die ich mir vorstellen kann“, sagt Antje Holst.
Die Hamburgerin sitzt auf der Terrasse ihres alten Hauses in Eppendorf. Sie erzählt vom Kongo. Vom Chaos und vom Bürgerkrieg, der offiziell mit dem Friedensabkommen 2002 beendet wurde. Von der ehemaligen belgischen Kolonie, die nach der Unabhängigkeit 1960 drei Jahrzehnte lang diktatorisch regiert wurde. „Bis heute wird immer noch überall im Land gekämpft“, sagt sie. Berichtet werde darüber jedoch kaum.
Sie erzählt von der allgegenwärtigen Korruption. Und von unvorstellbaren Massakern. Bei einem ihrer letzten Besuche hat man ihr auf dem Laptop in einer kleinen Lehmhütte Bilder von verstümmelten Opfern gezeigt. „Das war kaum auszuhalten.“ Sie kann nicht begreifen, dass Menschen zu solchen Verbrechen an Frauen und Kindern fähig sind.
Hoffnung auf Frieden hat sie nie aufgegeben
Antje Holst ist 72 Jahre alt. Sie lacht gern, obwohl sie das Grauen immer wieder sehr nahe an sich rankommen lässt. Sie ist sehr unverdächtig, als theoretisierende Weltverbesserin daherzukommen. Sie weiß nur zu gut, dass sie die Welt nicht verändern wird. Geändert hat das an ihrem Engagement nichts. „Soll ich deswegen den Kopf in den Sand stecken?“
Lieber erzählt sie von den Kindern in Bukavu, einer 800.000-Einwohner-Stadt am südwestlichen Ufer des Kivusees, direkt an der Grenze zu Ruanda. Kinder, die auch dank ihres Einsatzes auf eine bessere Zukunft hoffen können. „Vielleicht können wir durch unsere Arbeit ein kleines bisschen zum Frieden in der Welt beitragen“, sagt Antje Holst.
Die Hoffnung auf Frieden hat sie nie aufgegeben. Woher das kommt? „Ich habe in meinem Handeln eigentlich immer den Blick mehr auf die anderen geworfen als auf mein eigenes kleines Umfeld“, sagt sie.
Die kleine Antje war ein paar Monate alt, als ihre Mutter 1944 mit drei Kindern vor den russischen Soldaten aus dem damaligen Bromberg in Westpreußen, ihrem Geburtsort, über Schwerin nach Schleswig-Holstein geflüchtet ist. Sie lag als Säugling in einem Kinderwagen. Und hätte nicht ein alter Mann in einem völlig überfüllten Zug seinen starken Arm zum Schutz auf den Kinderwagen gelegt, wäre sie erstickt.
Die Familie kam nach Hamburg, als Antje ein Jahr alt war. Ihr Vater war Kaufmann und hatte einen Süßwaren- und Spirituosenhandel. „Er war der Erste, der in Hamburg die Kaugummi-Automaten aufgestellt hat.“ Eppendorf war noch ein Dorf, Antje hatte eine „paradiesische Kindheit“. Sie sollte auf der Klosterschule das Abitur machen, ging aber in der elften Klasse ab. Ihr Vater schickte sie zu den Diakonissen in Neustadt an der Weinstraße, wo sie erstmals mit Kirche und Glauben in Berührung kam. Antje Holst sagt, sie sei früh politisiert worden. Und sie engagierte sich in der Kirche. „Ich wollte den Missionsgedanken verändern und den Menschen, die Hilfe brauchen, auf Augenhöhe begegnen.“ Vor zwölf Jahren erfuhr sie durch einen Vortrag eher zufällig von den Zuständen im Kongo. Das war der Startschuss für ihr Engagement.
Elfmal ist sie seitdem im Kongo gewesen. Ihre Reisen bezahlt sie selbst. Seit 2005 gibt es eine Partnerschaft zwischen der Kirchengemeinde St. Martinus in Eppendorf und der Diözese Kivu-Maniema im Nordosten des Landes. „Jedes Jahr besuchen wir die Menschen im Kongo, um zu sehen, wie sich die Projekte vor Ort entwickeln und wo noch spontane Hilfe notwendig ist.“
Als sie das erste Mal zu der Partnergemeinde reisten, wurden sie gebeten, den Bau einer Kirche zu finanzieren. Es gibt in Bukavu eine sehr schöne katholische Kathedrale. „Die Menschen aus der Diözese wünschten sich für ihre evangelisch-lutherische Gemeinde ebenfalls eine solche prachtvolle Kirche.“
Für Antje Holst und ihre Mitstreiter aber stand sehr früh fest, dass sie eine Schule bauen würden. Sie erwarben im Stadtteil Bizimana, in dem sehr viele Binnenflüchtlinge und Waisenkinder leben, ein Grundstück und begannen mit dem Aufbau der Martin-Luther-Schule. Anfangs bot sie Platz für 75 Kinder. Inzwischen werden in der staatlich anerkannten Schule nach mehreren Anbauten in neun Klassenräumen mehr als 800 Kinder unterrichtet. „Wir haben den Bau finanziert. Und wir unterstützen den laufenden Betrieb durch regelmäßige Beiträge zur Schulmilchspeisung.“
Rund 53.000 Euro haben sie über die Jahre mit der Kongo-Partnerschaftsgruppe durch Spenden und Basar-Erlöse in der Gemeinde gesammelt, dazu kommen 32.000 Euro aus Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes (KED). Sie planen einen weiteren Schulbau in Shabunda und ein Waisenkinderprojekt in Mufuma. Sie finanzieren Lebensmittelspenden für die Opfer des Bürgerkriegs, den Wiederaufbau einer geplünderten Gesundheitsstation und die Anschaffung von Nähmaschinen, Saatgut, Medikamenten, Schulmaterialien und Musikinstrumenten.
Man fragt sich, wie sie das schafft. Eine kleine zierliche Frau, die sich auch mal allein auf den Weg in den Kongo macht. Mit dem Flugzeug nach Burundi oder Ruanda fliegt. Und von dort mit dem Bus – sechs Stunden bis zur Grenze – in den Osten des Kongos, wo immer wieder Kämpfe aufflammen. Hat sie nie Angst? „Nein, überhaupt nicht“, sagt sie. Was sie vielmehr aufregt, ist die Tatsache, dass im Kongo „auch mit deutschen Waffen“ gekämpft wird.
Antje Holst kämpft für eine Welt ohne Waffen. Sie möchte eine Wahrnehmung der Leiden entwickeln, die vielleicht eines Tages doch „von der Kriegs- zur Friedenslogik“ führt. Sie redet nicht viel, sie tut etwas. Ihr Weg besteht aus vielen kleinen Schritten.
Es gibt die „Frauen in Schwarz“, die an jedem ersten Mittwoch im Monat auf dem Ida-Ehre-Platz eine Mahnwache halten. Eine Stunde, von 16.30 bis 17.30 Uhr. „Wir stehen schweigend in Trauerkleidung da und protestieren gegen Gewalt und Krieg.“ Sie setzen sich für den Abbau von Feindbildern und Vorurteilen ein und für mehr Friedensfachkräfte statt Soldaten.
Sie engagiert sich in der Hamburger Initiative gegen Rüstungsexporte um den früheren Hauptpastor der Petrikirche, Christoph Störmer, weil der Hafen „zur Drehscheibe des internationalen Waffenhandels“ geworden ist. „Das wird auch ein Thema auf der Hamburger Friedenskonferenz am 5. November sein“, sagt sie. Und zitiert die Hamburger Verfassung: „Hamburg will im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein.“
Und sie wird weiter in den Kongo reisen. Auch um den Menschen dort eine Stimme zu geben. Als sie vor einiger Zeit an Krebs erkrankte, haben davon auch die Menschen in Kongo erfahren. Gilbert, ein kirchlicher Mitarbeiter, ist daraufhin auf einen nahen Berg geklettert. „Ich hatte ihn bis dahin nur ein paar Mal getroffen“, erzählt Antje Holst. Die Gemeindemitglieder haben ihr erzählt, dass Gilbert auf dem Berg 24 Stunden lang für sie gebetet hat. Antje Holst ist immer noch gerührt. „Vielleicht hat es ja geholfen“, sagt sie.