Er hat als Mr. Kebab türkische Döner in der Stadt bekannt gemacht. Heute widmet er sich vor allem der Kunst.
Es ist sind die Worte, die aufmerksam machen. „Shalömchen“ steht handgeschrieben auf einer Tafel über dem Eingang zum Restaurant Peacetanbul in der Karolinenstraße. Ein bisschen Frieden euch allen. Eine schöne Begrüßung aus dem Hebräischen für ein türkisches Gasthaus. Symbole der Weltreligionen zieren als bunte Mosaike die Wände des Wintergartens – dort, wo man als Gast an Holztischen und zwischen bunten Sitzkissen auf den unablässig fließenden Verkehr vor den Fenstern guckt.
„Die Wandbilder und auch die Lampen habe ich selbst gemacht“, sagt Ergün Yagbasan. Bis vor einem Jahr war er der Besitzer des Lokals, dann hat er es verkauft. Ein neues Projekt ist im Werden. „Aber darüber möchte ich noch nicht sprechen“, sagt er. Dass er diesen Ort als Treffpunkt gewählt hat, soll auch die Verbundenheit mit seinem Nachfolger Salman Iscan zeigen. „Ein guter Gastronom. Er sorgt dafür, dass das Konzept weiterläuft.“ Gäste sollen hier nicht nur satt werden, sondern auch etwas spüren von den gelebten Werten innerhalb dieser Wände: Willkommenskultur und Toleranz.
Bei einem Massaker an Aleviten inAnatolien starben auch viele Verwandte
Bekannt geworden ist Ergün Yagbasan, 45, als Mr. Kebab. Der Szeneladen in der Schanze ist noch im Besitz der Familie, wenn auch längst verpachtet. Ihre Hamburger Wurzeln aber liegen in Wilhelmsburg und auf der Veddel, wo ein Großteil der Familie noch lebt. „Ich liebe es, Gastgeber zu sein“, sagt Yagbasan. Dafür muss er nicht viel tun. Es ist sozusagen angeboren. Türkische Gastfreundschaft bedeutet, dass das Speisenangebot den Appetit aller Anwesenden weit übertrifft. In Beziehungen mit einem Partner türkischer Herkunft führt dies bei Familienfesten manchmal zum Wettbewerb kulinarischer Exzesse – denn auch die deutsche Seite will nicht zurückstehen.
Doch Yagbasan auf seine Gastgeberqualitäten zu reduzieren hieße, ihn nur zu einem kleinen Teil wahrzunehmen. Parallel zu seinem Gastronomen-Dasein hat er sich auch immer künstlerisch betätigt. Er schreibt Gedichte, zwei Bücher warten darauf, veröffentlicht zu werden. Eines davon ist eine fiktive Biografie von Jesus, den er in einer Art Zeitreise der Menschheit immer wieder sterben lässt. „Eine krasse Geschichte und ein heißes Thema“, sagt der Autor. Seine Installationen und Kunstgegenstände stehen und hängen als Leihgaben bei Freunden und Bekannten. „Ich kann mich schlecht von Dingen trennen“, sagt er. „Deshalb verkaufe ich selten etwas.“
Im vergangenen Jahr hat er mit „anderen Menschenfreunden“ im Rahmen des vom Schauspielhaus veranstalteten Festivals New Hamburg im Gemeindesaal der Immanuelkirche auf der Veddel das dazu gehörige Café bespielt. Neben anderen Aktivitäten bietet das ehemalige Gotteshaus den Bewohnern des Einwandererstadtteils seither eine Begegnungsstätte. „Mein Ziel ist es, Menschen unterschiedlicher Kulturen an einen Ort zusammenzuführen, wo sie sich miteinander wohlfühlen und voneinander lernen können“, sagt Yagbasan. In diesem Sommer war er zudem am Projekt Hamamness auf Kampnagel beteiligt. Das aus PVC bestehende Badehaus war das Herzstück des Live Art Festivals. Jeder Besucher konnte sich dort mit seiner Eintrittskarte wellnessmäßig verwöhnen lassen. Oder um es mit den Worten des Programmheftes zu sagen: „Willkommen im osmanischen Reich.“ Dort, wo die türkischen Wurzeln des Ergün Yagbasan liegen.
Die Familie stammt aus einem Dorf in der Nähe der Stadt Kahramanmaraş im südöstlichen Teil Anatoliens. 150 Kilometer weiter verläuft die Grenze zu Syrien. Geografisch ist dies der erste Hinweis auf die Volksgruppen-Zugehörigkeit der Yagbasans. Sie sind Kurden alevitischer Glaubensrichtung. Eine brisante Mischung. „Wir sind seit Jahrhunderten eine verfolgte Minderheit“, erklärt Yagbasan. 1978 wurden 111 Aleviten in Kahramanmaraş massakriert, darunter auch viele Verwandte. Die grausamen Tötungen gingen als Pogrom in die Geschichte ein. „Unsere Religion ist säkular, friedfertig, tolerant. Unsere Frauen tragen keine Kopftücher. Wir achten die Menschen in ihrer Vielfalt“, sagt Yagbasan.
Vater Oruc Yagbasan war politisch aktiver Linker. Er arbeitete als Lehrer, musste fliehen, als in den 70er-Jahren Umsturzpläne gegen die Regierung in Ankara bekannt wurden. Eine lebensrettende Entscheidung. Später holte er die Ehefrau sowie die drei Kinder zu sich nach Hamburg. Dort hatte er Arbeit in den Aluminiumwerken gefunden, engagierte sich als Betriebsrat für Arbeitnehmerrechte.
Vor dem Hintergrund dieser Familiengeschichte wurde auch der älteste Sohn ein politischer Mensch. Nicht so radikal wie der Vater einst als junger Mann. Dennoch zeigte auch er früh Haltung. Als Mitglied der Türken-Boys verhinderte er als 17-Jähriger, dass in Wilhelmsburg Skinheads und Neo-Nazis Fuß fassten. Allerdings: Während sich die anderen gewaltsam auseinandersetzten, blieb er lieber im Hintergrund. „Ich kann niemandem ins Gesicht schlagen.“
Mit Olaf Scholz machte Yagbasan SPD-Basisarbeit in Altona
In der türkischen Community fühlt sich der Deutsch-Türke dennoch als Außenseiter. Kurde, Alevit, Künstler, bei dieser Kombination kommt viel zusammen, was in den Augen konservativer Nationalisten nicht zusammenpasst. „Ich bin immer überzeugter Sozialdemokrat gewesen“, sagt Yagbasan. Mit Olaf Scholz verbinde ihn Parteiarbeit im Kreis Altona Mitte der 90er- Jahre. Als Ergün Yagbasan 1993 eingebürgert wurde, war er Teil einer großen Geschichte im „Spiegel“ mit dem Titel „Einig Volk von Blutsbrüdern“. Schon damals brauchte dieses Land neue Deutsche. Solche wie Yagbasan: „Ich werde sauer auf Menschen, die ihr Recht auf Mitbestimmung nicht wahrnehmen. Wahlen sind wichtig für die Demokratie.“ Inzwischen ist er aus der SPD ausgetreten. „Ich bin Sozialdemokrat geblieben“, sagt er, „die SPD leider nicht. Aber die Hoffnung, die gute, stirbt zuletzt.“
Natürlich hätte sich der Vater gewünscht, dass der Älteste studiert, einen angesehenen Beruf ergreift. „Mit Kunst verdienst du nichts“, hat er früh gewarnt. Aber als klar war, dass der Sohn einen eigenen Kopf hatte, akzeptierte er dies. Damals passte es gut, dass ein Onkel einen Imbiss aufmachte und der Neffe einscheren konnte. So war die Gastronomie vom Kochen bis zur musikalischen Unterhaltung 25 Jahre lang mit Unterstützung der Familie sein Hauptgeschäft – und Kunst in all ihren Facetten seine Leidenschaft. Neben der Erkenntnissuche. Denn da ist noch die Sache mit dem Glauben und den Gottheiten. Um den Hals trägt er einen goldfarbenen Buddha als Anhänger an einem Band. „Ich bin praktizierender Moslem, Jude, Christ, Buddhist und Schamane.“ Immer wieder hat er sich mit den Weltreligionen beschäftigt und sich herausgefischt, was ihn seinem Lebensziel näher bringt: „Ich will ein guter Mensch sein.“
Kürzlich ist er aus der Türkei zurückgekommen. Sechs Wochen war die Familie in der alten Heimat. „Ich habe mich noch nie so unwohl gefühlt wie dieses Mal“, sagt er. Die Politik des türkischen Staatspräsidenten Erdogan polarisiere die Menschen in den Städten und auf dem Land. Angst vor Terror habe sich ebenso in den Alltag geschlichen wie vor den Kämpfern für einen islamischen Staat. „Die Türkei ist auf dem Weg, einer der Brennpunkte dieser Welt zu werden.“
Seit HSV-Chef Dietmar Beiersdorfer seinSchwager ist, teilt er dessen Fußballliebe
Besonders betroffen gemacht hat ihn die Reaktion des Vaters auf die Situation. Der Rentner lebt mit seiner Frau je ein halbes Jahr in Deutschland und in der Türkei. Nun hat er sich eine Waffe gekauft. Ausgerechnet! Der Mann, der seine Kinder gelehrt hat, dass man Konflikte politisch lösen muss. „Ich wollte ihn davon abbringen“, sagt der Sohn. „Aber ich muss ja auch nicht um mein Leben fürchten. Jetzt werde ich versuchen, ihn davon zu überzeugen, dass es auf der Welt auch andere schöne Orte gibt.“
Eigentlich war die Reise in die Türkei eine Hochzeitsreise. Ergün Yagbasan und Lebensgefährtin Ebru hatten auf dem Standesamt „ja“ gesagt. Sohn Umay-Dietmar ist schon sieben Jahre alt. Den ungewöhnlichen deutschen Teil seines Namens hat er seinem Onkel zu verdanken. Dietmar „Didi“ Beiersdorfer, der HSV-Vorstandschef, ist mit Olcay, der Schwester von Ergün Yagbasan, verheiratet. „Ein ungewöhnlicher Mann. Ein sehr menschlicher Mann“, beschreibt der den prominenten Schwager schwärmerisch. „Manchmal tut er mir leid, wenn mal wieder alle auf ihn und den HSV einprügeln.“
Ohnmachtsgefühle kennt er selbst zur Genüge. Als Kind hatte ihn der Vater zu einem Spiel des HSV mitgenommen. Auf dem Rückweg wurden sie ausländerfeindlich angemacht. „Kanaken, was wollt ihr hier?“, pöbelten Zuschauer. Also wandte sich Yagbasan junior dem FC St. Pauli zu und spielte später dort sogar bei den „7. Herren“. Doch dann kam „Didi“ in die Familie. Seither teilt der Schwager seine Fußballliebe gerecht zwischen St. Pauli und dem HSV.