Lars Hinrichs wurde als Gründer des sozialen Netzwerks Xing bekannt. Mit seinen Ideen ist er seiner Zeit voraus.

Lars Hinrichs ist schon da. Er sitzt auf einem Straßengeländer vorm „Apartimentum“ am Mittelweg wie der moderne Homo sapiens eben üblicherweise so sitzt: den Kopf gesenkt, den Blick aufs Display des Smartphones fokussiert, beide Daumen auf der Tastatur. Es sieht aus, als sei er auf Stand-by.

Er trägt ein leicht zerknittertes Jackett (schlammfarben), darunter ein weißes Hemd. Eine Jeans und braune Adidas-Sneakers, mit denen er gerade durch Zementstaub gelaufen ist. Denn das „intelligenteste“ Apartmenthaus des Landes ist noch Großbaustelle, nimmt aber jetzt hinter der Jugendstilfassade unübersehbar Formen an. Über das Konzept dieses Hauses – voll vernetzt und megafunktional, einfach Klamotten und persönliche Gegenstände einräumen und loswohnen – ist schon viel geschrieben worden. Der Briefkasten zum Beispiel schickt dem Mieter eine Nachricht, wenn er Post bekommt. „Wir stehen mittlerweile bei 12,5 Millionen Medienkontakten“, sagt der Bauherr beiläufig.

Auch über seine Idee einer Flatrate-Miete, die sich nach umbauten Kubikmetern bemisst und je nach Wohnungsgröße zwischen 1500 und 9500 Euro betragen wird, ist ausgiebig diskutiert worden. „Das Apartimentum richtet sich an Menschen, die es sich wert sind, oder an Unternehmen, die einen Mitarbeiter mit diesem ‚Instant Comfort‘ besonders wertschätzen“, sagt Hinrichs. Die Mietverhältnisse beginnen bei sechs Monaten, sollen möglichst nicht länger als vier Jahre dauern, sind also zugeschnitten auf die globalen Wirtschafts- und Industrie- nomaden, die Expats. Und obwohl in Hamburg zurzeit bloß 27.000 Expats arbeiteten, habe man bereits zahlreiche Interessenten: „Glauben Sie mir: Am wenigsten wird übers Geld geredet.“

Auch Hinrichs redet nicht über Geld. Doch es gibt eine Zahl, die ihn verfolgt. Sie lautet 48 Millionen Euro. Der Preis, den die Hubert Burda Media 2008 an Hinrichs für einen Großteil seiner Aktien des Business-Netzwerks Xing zahlen musste. „Ich musste Hubert an seinem Küchentisch zwei Dinge versprechen: Erstens, bis auf meine Assistentin keine Leute aus der Firma abzuwerben, und darüber hinaus keine Statements mehr zu Xing abzugeben.“

Seit diesem legendären Deal gehört der 38-jährige Urenkel des Gründers der Stadtbäckerei am Gänsemarkt zu den wenigen Deutschen, die im internationalen Orchester der Vordenker und Konstrukteure einer schönen neuen Welt mitspielen. Außerdem bekleidet Hinrichs mittlerweile ein Aufsichtsratsmandat bei der Deutschen Telekom sowie in sechs anderen Unternehmen, von denen ihm wiederum die meisten zum großen Teil gehören. Dabei handelt es sich in der Regel um Start-ups, denen er Startkapital und sein unternehmerisches Know-how zur Verfügung stellt, was er sich mit mindestens 30 Prozent Beteiligung honorieren lässt.

Er ist zudem ein gefragter Diskussionsgast und Redner auf Zukunftsforen- und Kongressen, auch auf der Google-Zeitgeistkonferenz, „der wohl privilegiertesten Zusammenkunft, an der man teilnehmen kann“, sagt er. Jetzt klingt seine Stimme ein wenig stolz, vor allem, als er von einem Gespräch mit Stephen Hawking erzählt. „Er sagte, die größte Erfindung in der heutigen Zeit der Menschheit sei die künstliche Intelligenz. Doch vielleicht sei es auch ihre letzte.“

Lars Hinrichs klettert jetzt erst einmal eine Holzleiter hoch, weil er ganz nach oben möchte, auf die Dachterrasse seines Apartimentums. Vielleicht ist das ja auch bloß ein Synonym für die hohen Ziele, die er sich gesteckt hat, obwohl er meint, dass sich all seine erfolgreichen Geschäftsideen meistens aus Niederlagen ergeben hätten. „Gut Ding will Weile haben“, sagt er, aber das klingt merkwürdig konterkarierend aus dem Mund eines Mannes, der zum Teil ein atemberaubendes Tempo vorlegt und häufig das Mooresche Gesetz zitiert: Der amerikanische Halbleiter-Pionier Gordon Moore hatte 1965 vorausgesagt, dass sich aufgrund der damaligen Entwicklung die Anzahl der Transistoren auf einem integrierten Schaltkreis jedes Jahr verdoppeln würde. „Moores Vorhersagen sind bisher zutreffend. Schon 2023 wird ein handelsüblicher Computer so schnell sein wie das menschliche Gehirn und 2049 wie alle menschlichen Gehirne zusammen.“ Er sieht nichts Negatives darin, dass die technische Evolution gerade im Begriff ist, die menschliche weit hinter sich zurück zu lassen.

Wahrscheinlich hat Lars Hinrichs das schon als 20 Jahre alter Wehrdienstleistender gewusst, mindestens aber geahnt, als er 1996 die Bundeswehr ins Internet brachte, wofür er sogar eine Ehrenmedaille erhielt. Die Datenwelt wurde damals schlagartig aufmerksam auf den jungen Mann, der nach dem Wehrdienst mit seinem Kameraden Peer-Arne Böttcher eine Kommunikationsberatungsfirma und Softwareschmiede gründet. Schon 2000 waren jedoch drei Millionen Euro Risikokapital verbrannt. Diese Insolvenz zerstörte auch die Männerfreundschaft. „So habe ich meinen Master of Business Administration in Echtzeit absolviert“, sagt Hinrichs, der eben seit dieser Bauchlandung fest daran glaubt, dass „nur aus einer negativen Erfahrung etwas Neues entstehen kann“.

Sein neues Projekt hieß dann zunächst „Open BC“. Es war eine Plattform, auf der sich jedermann kostenlos mit seinen geschäftlichen Kontakten vernetzen konnte und nur zahlen musste, wenn er spezielle Funktionen nutzen wollte. „Ich wollte eigentlich nur die Kontakte meiner Kontakte kennenlernen“, erinnert sich der Konnektor an seine Idee, die bereits nach drei Monaten profitabel arbeitete und die er dann 2006 unter dem Namen Xing an die Börse brachte. Der Rest ist bekannt. Doch nicht erst seitdem lautete sein Credo: „Minimaler Input bei maximalem Output.“

Vom Young Global Leader, heißt es, dass er bei aller Jungenhaftigkeit, die er verkörpert, manchmal auch etwas großspurig wirke. Vermutlich aber verwechselt der unkundige Beobachter diesen Charakterzug mit seiner Fähigkeit, Begeisterungsstürme zu entfachen – sogar bei denjenigen, die vielleicht nicht einmal genau kapieren, worum es ihm geht. Und auch was sein Geschäftsgebaren betrifft, läuft man aufgrund seiner binären Sichtweise leicht Gefahr, ihm unrecht zu tun. Denn Lars Hinrichs gibt offen zu, dass er zur Schwarz-Weiß-Malerei neige, zum klaren Ja und ebenso klaren Nein, und dass ihn Grauzonen anstrengten. Aber so hart in der Sache, wie er als Unternehmer agiert, so integer, fair und verlässlich soll er auch sein. Das sagen fast alle, die bisher mit ihm zu tun hatten. Sogar dann, wenn eine gemeinsame Unternehmung scheiterte.

Nur wenn es um sein Privatleben geht, leuchtet auf seiner Stirn „Task beenden“ auf, wird sein Blick noch ein Stückchen verkniffener. Ein vernetzter Mensch wie er lebt schon öffentlich genug, und man muss ja nur seine Facebook-Seite anklicken, um zu entdecken, dass Lars Hinrichs kein Nerd ist, ein pralles Leben im Hier und Jetzt führt und mit richtigen Freunden seine Vorlieben zu teilen versteht – die Fotokunst, die Musik, seine Erfolge natürlich und nicht zuletzt einen 2005er Cabernet Sauvignon aus dem kalifornischen Screaming Eagle Vineyard im Napa Valley.

Aber über seine Familie, seine Frau Daniela und seine beiden Kinder, eine Tochter und ein Sohn, zehn und sieben Jahre alt, redet er nicht. Das ist tabu. „Sorry“, sagt Lars Hinrichs, schaut auf sein iPhone, ein Termin drängt, und schwingt sich über die Balustrade auf die Holzleiter. Kein Problem für ihn, er macht regelmäßig Yoga. „Yoga?“, sagt er überrascht, „nee, zurzeit nicht. Wir haben nämlich seit Neuestem einen Hund. Einen großen Schweizer Sennenhund, 14 Wochen alt und schon 14 Kilo schwer. Der hält mich ganz schön auf Trab.“

Wie heißt er denn?“ „Private!“, antwortet er, auf der Leiter stehend, „wissen Sie, so wie der kleine Pinguin aus dem Film ‚Madagascar‘, der nichts anderes machen muss, als hübsch auszusehen.“ Lars Hinrichs kann auch unverschämt glücklich lächeln.