Hamburg. Michael Böcken begleitet als Fachmann für Veranstaltungsrecht Tourneen. Was er hinter den Kulissen von Rolling Stones und Sting erlebt hat.
Über dem dunklem Sideboard baumeln Dutzende Tourpässe an einem silbernen Haken, auf Kunststoff eingeschweißte Passbilder, die dem Inhaber bei Tourneen von Stars wie Bon Jovi, Rolling Stones, Sting oder Eric Clapton Zugang zu allen Bereichen gewähren. Da zudem am Eingang der Kanzlei an der Borselstraße in Ottensen stapelweise Programmhefte namhafter Konzertveranstalter liegen, wird dem Besucher schnell klar, dass der Mann hinter dem schwarzen Schreibtisch ziemlich dick im Musikgeschäft sein muss.
Dabei passt Michael Böcken, 59, mit seinem dunklen Jackett, der dezenten Brille und dem sorgsam frisierten Haar auf den ersten Blick so gar nicht in das Rock’n‘-Roller-Klischee. Neben den Tourpässen hängen Fotos seiner Frau und seiner erwachsenen Kinder, Böcken ist seit 21 Jahren verheiratet. Für die gelegentliche Zigarette zwischendurch geht er auf den Flur, er spricht leise und sagt über sich selbst bescheiden: „Ich bin keine Rampensau.“ Die Tourplakate heftet er nur auf Wunsch des Abendblatt-Fotografen an die Wand, denn eigentlich, sagt er, habe er ja mit seinen Partnern eine ganz normale Kanzlei. Sein Schwerpunkt: das Arbeitsrecht.
Womöglich schätzen ihn die Großen der Branche gerade deshalb so sehr. Seit Jahrzehnten arbeitet der ausgewiesene Experte für Lizenz- und Veranstaltungsrecht für Konzertagenturen und Stars, er zählt zu den wenigen Spezialisten, die sich bei Tourneen auch um das Kostenmanagement und alle Abrechnungsfragen kümmern. Gerade bereitet er sich auf die Deutschland- und Österreich-Tour der australischen Hardrockband AC/DC vor. Mit dem Tourneeveranstalter kalkuliert er das Budget – von der Stadionmiete bis zum Bühnenaufbau.
Drei Tage vor dem deutschen Tourstart in Nürnberg am 8. Mai wird Böcken anreisen und alle Abrechnungen wie die Stundenzettel der Roadies bereits beim Aufbau penibel kontrollieren. Wirklich spannend sind die Stunden während des Konzerts. Nur für die ersten paar Lieder verlässt Böcken sein Büro hinter der Bühne: „Da will ich die Atmosphäre aufsaugen.“ Dann hackt er Zahlenkolonnen in seinen Laptop, geht mit dem Mitarbeiter des lokalen Veranstalters jede Einnahme durch, jede Ausgabe, Euro für Euro. „Erst wenn beide Seiten unterschreiben, habe ich Feierabend“, sagt Böcken. Und nur mit viel Glück kann er dann noch die Zugaben hören.
Nicht immer geht alles glatt. Richtig Stress hatte Böcken bei einem Konzert der Stones in Belgrad, als ihm der Veranstalter weismachen wollte, dass sorry, sorry nur die Hälfte der Tickets verkauft werden konnte. Den Betrug witterte Böcken schon vor dem ersten Song Mick Jaggers, denn jeder Platz in der Arena war besetzt. Entsprechend frostig verlief dann die Abrechnung. Die Veranstalter verstrickten sich in Widersprüche, sagten dann, sie müssten nur mal kurz aufs Klo. „Fortan habe ich sie nicht mehr gesehen. Die sind einfach abgehauen und haben sogar ihre Laptops stehen lassen.“Unvergessen auch das Konzert von Sting in Tel Aviv, als der Polizeichef mit einer Rechnung für Sicherheitsdienste von 100.000 Dollar in der Zarge stand. Die möge Böcken jetzt bitte sofort begleichen. Böcken lehnte ab, worauf der Polizeichef die Forderung auf 50.000 Dollar nebst zehn Freikarten reduzierte: „Am Ende habe ich ihm 50 Freikarten gegeben, und die Rechnung war erledigt.“
Zu seinem Job kam Böcken Ende der Siebziger, als er während seines Jurastudiums für die Konzertagentur Karsten Jahnke jobbte: „Ich war Ordner bei Konzerten im CCH, ein gut bezahlter Job und fast immer entspannt.“ Jahnke fiel auf, dass der Student immer ein bisschen fixer war als andere. „Daraufhin habe ich ihn zum Tourleiter gemacht. Ich wusste, auf den ist Verlass“, sagt Jahnke. Mit Culture Club um Frontmann Boy George sammelte Böcken seine ersten Tourchef-Erfahrungen. Den Job erledigte der gebürtige Kieler so gut, dass Jahnke ihm so prominente Klienten wie Paolo Conte, Peter Gabriel oder Herbert Grönemeyer anvertraute. Pingelig war Böcken schon immer. Einem bekannten Rocker, der um ein paar Hunderter aus der Management-Kasse bat, um mit Freunden nach einem Konzert noch in den Geburtstag zu feiern, beschied Böcken kühl: „Privatsache, das zahlst Du schön selbst.“
Damals war das Abrechnungswesen noch vergleichsweise kommod. Böcken sammelte die Quittungen in Klarsichtfolie, zahlte Roadies direkt in bar aus. Heutzutage sorgt schon das komplizierte internationale Steuerrecht sowie Abgaben an die Künstlersozialkasse und die Gema dafür, dass ohne Computer nichts mehr geht. Und natürlich ist das Geschäft schon durch die enormen Kosten für die immer spektakuläreren Bühnenshows deutlich riskanter geworden.
Schon deshalb, sagt Böcken, seien die berüchtigten Sex, Drugs and Rock’n’-Roll-Zeiten mit wilden Orgien in zerlegten Hotelzimmern längst passé. „Wer in diesem Geschäft nicht professionell liefert, ist früher oder später seinen Job los.“ Auch die harten Jungs von AC/DC würden auf die Minute pünktlich zum Soundcheck kommen, nüchtern und ausgeruht. Gepflegt werden nur noch kleine Attitüden. Amüsiert erzählt Böcken, wie sowohl Marius Müller-Westernhagen als auch Herbert Grönemeyer mal bei einem großen Open Air Festival unbedingt das Finale bestreiten wollten. Der Veranstalter gab Westernhagen den Zuschlag, ein Pyrrhussieg angesichts des offiziellen Festivalendes um Mitternacht und verzögerter Umbaupausen. Als dann Schlag 0 Uhr der Bürgermeister mit hektischen Handzeichen aufforderte, jetzt bitte schön zum Ende zu kommen, rief Westernhagen den johlenden Fans zu: „Ihr habt einen großartigen Bürgermeister. Er hat uns gerade erlaubt, dass wir bis 1 Uhr weiter spielen dürfen.“
Das Bild der abgezockten Stars hält Böcken ohnehin für falsch. Unvergessen wird für ihn ein Grönemeyer-Konzert in dessen Bochumer Heimat bleiben: „Zehn Minuten nach dem Song „Bochum“ haben die Fans immer weiter gesungen. Das war Gänsehaut pur.“ Natürlich gibt es auch Tiefpunkte. Der Auftritt von US-Sänger Usher etwa, der 2011 sein Konzert in der Berliner O2-World wenige Minuten vor Konzertbeginn absagte, er fühle sich unpässlich. Das eilends organisierte Wiederholungskonzert am nächsten Abend brach Usher nach 30 Minuten vor 13.000 wütenden Fans ab. Während der Veranstalter versuchte, die Anhänger irgendwie zu beruhigen, stellte Böcken schon mal die Unterlagen für die Versicherung zusammen.
Und wie hält es Böcken selbst mit der Musik? Ein Instrument hat er nie gelernt. „Mein Vater hat mir damals gesagt, entweder Fußball oder Klavier. Da bin ich beim Fußball geblieben.“ Das ausgediente Schlagzeug seines Sohnes steht in der Ecke, irgendwann, sagt er, will er das Trommeln lernen. Aber nur zum Spaß. Er wird der Mann im Hintergrund bleiben. Und das, sagt er, sei auch völlig in Ordnung: „Ich brauche das Rampenlicht nicht.“