Gil Mehmert, Regisseur des Musicals „Das Wunder von Bern“, beginnt mit den Proben. Ansprüche an die schauspielerische Leistung der Darsteller seien ungewöhnlich hoch und auch ungewöhnlich.
Hamburg. Fußball? Klar: Gil Mehmert, Jahrgang 1965, hat selbstverständlich die erste deutsche Fußball-Weltmeistermannschaft im Kopf. Horst Eckel, Fritz und Otmar Walter, Toni Turek, Helmut Rahn, Liebrich, Posipal und so weiter und so fort: Der vielfach preisgekrönte Essener Theater- und Filmregisseur kann all jene Helden, die an einem regnerischen Sonntag des Jahres 1954 im Wankdorf-Stadion für das „Wunder von Bern“ sorgten, mühelos hinunterbeten.
Fußball? Aber immer: 2004 setzte Mehmert mit seiner ausgezeichneten skurrilen Filmkomödie „Aus der Tiefe des Raumes“ zwei Fußballinstitutionen gleichzeitig Denkmäler: zum einen dem blonden Günter Netzer (Mehmert ist Fan von Borussia Mönchengladbach), zum anderen dem analogen Vater aller digitalen Fußballspiele, dem guten, alten „Tipp Kick“.
Und da Mehmert auch noch aus dem Pott – genauer: aus Essen, der Heimat des Schützen zum 3:2 gegen die Ungarn, Helmut Rahn – stammt; da er zwei fußballaffine Söhne hat und überdies eine sehr erfolgreiche Vita als Film- und Theaterregisseur vorweisen kann, war die Entscheidung der Deutschen Stage Entertainment, den knapp 50-Jährigen mit der Welturaufführung des neuen Musicals „Das Wunder von Bern“ zu betrauen, letztlich ziemlich logisch.
„Überhaupt ist das Musical von allen Bühnensparten ja auch am engsten mit dem Sport verwandt“, sagt Mehmert, „wobei ich allerdings jetzt schon sagen muss: Die Zuschauer werden im neuen Stage-Theater an der Elbe nicht wie im Film ein Stadion oder ein Fußballspiel sehen. Aber sie werden den Fußball mit all seinen Facetten hautnah erleben.“ Denn das Spiel an sich sei ja schon in der filmischen Vorlage von Sönke Wortmann aus dem Jahre 2003 nur das perfekte Mittel zum Zweck gewesen, die bewegende Vater-und-Sohn-Geschichte von Richard und Bruno Urbanski zu erzählen; dem Spätheimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft, der zum ersten Mal seinen jüngsten, neunjährigen Sohn Bruno leibhaftig sehen darf; stellvertretend für viele Tausend solcher Schicksale in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
„,Das Wunder von Bern‘ wird hoffentlich dazu beitragen, unsere eigene Geschichte ein bisschen besser zu verstehen“, sagt Mehmert und verweist kollegial auf Sönke Wortmann: Der habe das Projekt während der gesamten Entstehungsgeschichte bis hin zum abschließenden Workshop, auf dem die Stage-Geschäftsführung entschlossen zum Anpfiff blies, „liebe- und hingebungsvoll begleitet.“
Wird tatsächlich nicht gekickt? Der Regisseur lässt diese Frage offen
Er selbst hat als Regisseur und Autor der Bühnenfassung die sicherlich nicht einfache Aufgabe, die Emotionalität dieser Zeitreise in die Anfänge unserer Nachkriegsrepublik in der Musicaladaption des Filmstoffs zu verstärken. Wobei Mehmert mit dem Komponisten Martin Lingnau und dem Texter Frank Ramond über einen ebenso erfahrenen wie auch erfolgreichen Trainerstab verfügt. Fußball sei ja auch ein Mannschaftsspiel, sagt der Sportdirektor und lächelt. „Oder bin ich vielleicht doch eher Trainer?“
Er wirkt locker und scheint gut gelaunt. Er scherzt mit den Mitarbeitern und posiert bereitwillig mit dem Lederball für den Fotografen. Die meisten Schüsse verzieht er allerdings etwas nach links, vielleicht liegt es ja am Druck: Denn als Premierenproduktion für den ersten Hamburger Theaterneubau nach 20 Jahren hatte Stage nach einem Stoff gesucht, der dem hohen Anspruch gerecht werden sollte, in Deutschlands Musical-Hauptstadt die Welturaufführung feiern zu dürfen. Und der Musical-Platzhirsch hatte sich am Ende gegen einen bereits bekannten, internationalen Musical-Hit und für eine Eigenentwicklung entschieden. Am 11. September sollen nun die ersten Proben mit den Mitgliedern der „Familie Urbanski“ beginnen. Da wolle man sich schon mal „eingrooven“, bevor das gesamte Ensemble auflaufen wird.
Jede Rolle ist dreifach besetzt, denn neben Krankheiten oder Urlauben bleiben aufgrund der rasanten Tanzszenen Verletzungen manchmal leider nicht aus. Die Ansprüche an die schauspielerische Leistung der Darsteller seien ebenfalls ungewöhnlich hoch und nicht zuletzt auch ungewöhnlich: „Einige Rollen verlangen von den Akteuren den Pfälzer Dialekt. Amerikanische Darsteller können das unmöglich sprechen.“ Außerdem werde im Stück teilweise sogar ein wenig Ungarisch geredet.
Aber wird denn auf der Bühne wirklich nicht gekickt? In „Rocky“ wurde ja schließlich auch geboxt. Da blitzt es hinter den Brillengläsern des Regisseurs, der seit 2003 auch als Professor im Studiengang Musical an der Folkwang-Universität Essen lehrt, listig auf. „Ich möchte lieber das Weihnachtsgefühl pflegen“, sagt Gil Mehmert, „und die Vorfreude auf die Bescherung hochhalten. Nur eins kann ich versprechen: Es wird bestimmt spektakulär.“