Die Autorin Ildikó von Kürthy hat sich für ihr neues Buch heimlich im Szeneviertel eingemietet. Die Harvestehuderin spricht über ihr Doppelleben, Luxus und das Mutterglück.
Harvestehude. Das Café TH2 am Mittelweg. Gertenschlanke Mütter auf Stilettos schieben Kinder in Brio-Kinderwagen, Männer in dunkelblauen Anzügen fahren ihre Oldtimer spazieren. Schöne, reiche Welt. Hier spielt nicht nur der neue Roman „Sternschanze“ von Ildikò von Kürthy, in dem die Romanheldin Nikola die Upperclass-Existenz gegen ein Singleleben in der Schanze tauscht. Hier lebt auch die Autorin. Das Abendblatt sprach mit ihr über die Hamburger Gesellschaft und Luxus, der träge machen kann.
Hamburger Abendblatt: „Sternschanze“ ist ihr neunter Roman, die Präsentation war natürlich in einem Theater in der Schanze. Sind Sie immer noch so aufgeregt wie bei Ihrer ersten Romanvorstellung?
Ildikó von Kürthy: Ja. Die Aufregung, wenn ich zum ersten Mal das frisch gedruckte Buch in Händen halte, ist genauso groß wie beim ersten Roman. Hoffnung, Freude, Zweifel und Ängste – ein einziger, großer Gefühlswirrwarr. Das ist wie beim Kinderkriegen, daran gewöhnt man sich ja auch nicht.
Ihre Bücher verkaufen sich millionenfach, wurden in 21 Sprachen übersetzt – warum immer noch diese Selbstzweifel?
Von Kürthy: Das wäre doch schrecklich, wenn ich nicht mehr an mir selbst zweifeln würde! Ich frage mich bei jedem Buch, ob und wie es ankommt, ob meine Leser bei mir bleiben, ob sie gewillt sind, mir zu folgen – auch durch die schweren Zeiten meiner Heldin. Ich hoffe sehr, dass meine Leser mit mir erwachsen werden, alt werden und wir die Probleme, die wir noch bekommen, zusammen durchstehen, bis es irgendwann in die Kiste geht.
Laut „Welt am Sonntag“ sind Sie die Expertin für den „schlauen Frauenroman“ – großes Lob oder großes Fragezeichen?
Von Kürthy: Das freut mich natürlich. Obwohl es gleichzeitig bedeutet, dass man gemeinhin davon ausgeht, dass Frauenromane nicht schlau sind.
Dieses Mal wollten Sie es ganz genau wissen: Für die Recherche hatten Sie zwei Jahre lang eine Wohnung in der Sternschanze gemietet und ein Doppelleben geführt. Mit welcher Erfahrung?
Von Kürthy: Ich war überrascht, wie einsam ich mich fühlen kann, nur ein paar Kilometer von zu Hause entfernt. Manchmal habe ich die Abende lieber bis Ladenschluss bei Budnikowsky verbracht als in meiner Wohnung. In der Schanze kam ich mir oft vor wie ein Zaungast, ein Fremdkörper aus dem Stadtteil, in dem die Leute offene Kamine haben und ständig Hummer in Chicorée-Schiffchen essen. Aber die fremde Welt hat mir gutgetan. Nichts ist so inspirierend, wie sich mal wieder richtig schlecht zu fühlen.
Kennen Sie die Sehnsüchte von Nikola?
Von Kürthy: Natürlich! Hätten wir nicht alle gern die Chance auf ein Zweit- und Drittleben? Eines ohne Kinder, eines mit einem anderen Mann, eines als Weltumseglerin und eines als Regierungschefin oder Prinzessin? Das Großartige ist, dass ich mir als Schriftstellerin kleine Nebenleben leisten und die sogar von der Steuer absetzen kann. Ich kann Experimente machen, in die Schanze gehen oder aufs Land, nach Berlin oder einfach nur in einen Schminkkursus der Volkshochschule. Alles große Abenteuer für mich.
Was haben Ihr Mann und Ihre Söhne zu dem „Experiment Schanze“ gesagt?
Von Kürthy: Ich hatte die Wohnung heimlich gemietet, über Monate mit Freunden renoviert und sie meinem Mann erst präsentiert, als sie fertig war. Die Kinder haben es nicht gemerkt, und mein Mann war begeistert. Er unterstützt alles, was Farbe auf die Palette bringt. Ich sitze ja normalerweise am liebsten auf dem Sofa und gucke, gerne mit einem schweren Essen im Magen und aus sicherer Entfernung, zu, wie andere was erleben.
Wie ist Ihr Mann denn so?
Von Kürthy: Um es vorsichtig zu formulieren: Wir ergänzen uns gut. Er erlebt Dinge, von denen ich nicht mal träume.
Wenn man so unterschiedlich ist, kann das auch sehr inspirierend sein, oder?
Von Kürthy: Mich inspiriert der Alltag. Ich muss nicht ohne Sauerstoff über den Mount Everest. Und wenn ich ein Seminar mit dem Titel „Nackt besser aussehen“ besuche, habe ich nachher mindestens so viel zu erzählen wie mein Mann, wenn er vom Höhlentauchen nach Hause kommt.
Eheanbahnung, Immobiliendeals, das Schachern um Internatsplätze, dazu der „irre Wettbewerb um Jugendlichkeit und Faltenfreiheit“ – die Hamburger Gesellschaft zwischen Isestraße und Elbchaussee kommt nicht gut weg in Ihrem Buch. Fühlen Sie sich da nicht als Nestbeschmutzerin – auch wenn die Kritik verpackt in einem Romanstoff daherkommt?
Von Kürthy: Ein bisschen Schmutz steht meinem schönen Nest ganz gut. Ich mache mich lustig über eine Gesellschaft, zu der ich sehr gerne gehöre. Und wenn ich die Verwahrlosung verspotte, die mit Luxus einhergehen kann, dann verspotte ich immer auch mich selbst. Und ich muss und kann das auch aushalten.
Machen Sie Ihre Beobachtungen im täglichen Leben?
Von Kürthy: Andauernd! Frauen essen und wiegen hier im Durchschnitt zu wenig. Kürzlich saß ich neben einer, die tatsächlich den Salat ohne Dressing gegessen und dann auch noch das Hühnchen an ihrer Serviette abgetupft hat, um es von möglichen Fettresten zu befreien. Würde ich die Szene in einem Roman beschreiben – sie würde mir völlig zu Recht als unglaubwürdig und lächerlich klischeehaft um die Ohren geschlagen. In Harvestehude lebt man unter vielen schönen, überdurchschnittlich wohlhabenden Menschen, die unterdurchschnittliche Konfektionsgrößen tragen und hinter weißen, prachtvollen Jugendstilfassaden total durchschnittliche Probleme haben. Das darf man nicht vergessen, wenn man so wie ich dazu neigt, sich zu vergleichen, und sich dann gerne mal zu dick und irgendwie stillos findet. Ich habe zum Beispiel keinen besonders guten Geschmack. Manchmal sehe ich komisch aus und merke das nicht. Ich liebe mein Nest. Aber trotzdem tut es gut, auch mal an einen Ort zu gehen, wo die Oberschenkel aneinanderreiben dürfen und man seinen Nachtisch essen darf.
Sie meinen damit aber nicht die Schanze als Kontrapunkt?
Von Kürthy: Die Schanze ist ein Szeneviertel, in dem die Mieten schon fast so hoch sind wie in Harvestehude. Das kotzt die „Ureinwohner“ verständlicherweise an. Wohlstand und der Zwang, ihn halten zu wollen, gehen ja oftmals auf Kosten von Kreativität, Mut und innerer Freiheit. Während meines Doppellebens habe ich mich gefragt, was Luxus mit Menschen und mit mir anstellt. Wo schnürt mir das Geld die Luft ab? Wann macht es mich träge und faul? Wo delegiere ich unnötig und zu leichtfertig? Sich das zu fragen tut jedem gut, der schon lange nicht mehr bis Weihnachten gewartet hat, bis ein Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Und der keine anderen Sorgen hat.
Welche Rolle spielt Geld in Ihrem Leben?
Von Kürthy: Das merkt man ja oft erst, wenn es fehlt. Ich mag Geld, meines ganz besonders. Denn auch wenn es mich dazu verführt, es mir allzu gemütlich zu machen, so verschafft es mir dennoch Freiheit und eine gewisse Gelassenheit meiner Zukunft gegenüber. Existenzängste sind schrecklich. Und jeder, der sagt, Geld sei ihm egal, der hat wahrscheinlich genug. Es ist ja auch viel leichter, was abzugeben, wenn man was hat. Ich glaube nicht daran, dass Geld zwangsläufig den Charakter verdirbt.
Wie ist Ihr Zuhause organisiert?
Von Kürthy: Ich bin Hausfrau. Mein Mann ist Hausmann. Wir sind beide berufstätig. Wir sind Eltern. Alles halbe-halbe. Zum Kinderarzt oder zum Elternabend gehen wir abwechselnd, und das erste Wort meines großen Sohnes war „Mapa“. Ich finde das großartig, aber wir sind selbstständig, leben privilegiert und nicht der Realität der meisten Eltern entsprechend. So, wie Arbeit in Deutschland strukturiert ist, funktionieren moderne Lösungen für Eltern nicht. Das ist ein Riesenthema, für das ich aber keine Lösung habe. Ich sehe um mich herum keine überzeugenden Familienmodelle. Seit mein älterer Sohn zur Schule geht, ist er immer um 13Uhr zu Hause. Wir sitzen mittags zu dritt am Küchentisch und essen. Das ist mit keinem normalen Berufsalltag vereinbar. Es ist das Gegenteil von Fortschritt und von Emanzipation. Es ist unmodern, spießig und die schönste Zeit des Tages.