Tibor Rode und sein Doppelleben: Tagsüber arbeitet er als Anwalt, nachts schreibt er Romane. Neues Buch: „Das Los“. Ein bisschen sieht man dem 39-Jährigen die nächtlichen Einsätze an.
Hamburg. An den Tag, der sein Leben veränderte, kann sich Tibor Rode noch genau erinnern: „Es war der Tag, an dem meine erste Tochter geboren wurde. Am selben Tag kündigte ich bei der Großkanzlei Taylor Wessing und beschloss, mich selbstständig zu machen.“ Zusammen mit seinem Schulfreund Stephan Mathé gründete er eine der ersten Kanzleien für Computerspielrecht in Deutschland mit Sitz in Eimsbüttel, Rode + Mathé. Der Grund: Er wollte mehr Zeit für die Familie und für seine heimliche Leidenschaft, nicht etwa Computerspiele, sondern das Schreiben. Seit 2004 führt Tibor Rode ein Doppelleben: Tagsüber arbeitet er als Anwalt für Medien-, IT- und Gesellschaftsrecht, nachts schreibt er Romane.
Ein bisschen sieht man dem 39-Jährigen die nächtlichen Einsätze an – leichte Schatten unter den Augen, das Gesicht etwas blass. Doch wenn Tibor Rode von seinen Büchern erzählt, wird er blitzartig munter, und es sprudelt nur so aus ihm heraus. „Mir war klar, dass ich in meinem Leben noch etwas anderes als Anwaltssachen machen möchte. Und immer, wenn ich Urlaub hatte, kam die Sehnsucht auf, ein Buch zu schreiben.“
Der Anlauf für seinen ersten historischen Krimi „Das Rad der Ewigkeit“, der von der Erfindung des Perpetuum mobile handelt, war dann auch etwas länger: Sechs Jahre bereitete er sich vor, reiste so oft wie möglich mit der Familie nach Kassel, um zu recherchieren. 2010 begann er dann mit dem Schreiben. Nicht etwa in einem stillen Kämmerlein, sondern mit Funkkopfhörern und Laptop am Esstisch, um ihn herum mittlerweile zwei Töchter, Frau und Hund. „Ich brauche den Trubel und Klassik Radio im Ohr, um mich konzentrieren zu können. Zwischendurch hatte ich mir mal ein Arbeitszimmer eingerichtet, dort war es total ruhig, aber ich brachte keine Zeile zustande.“ Das Wichtigste sei ein beständiger Rhythmus: „Schreiben ist wie Abnehmen oder Joggen, du musst dranbleiben. Da gibt es dann auch keine Ausreden wie Müdigkeit oder so. Man muss einfach immer schreiben.“
Das Handwerkszeug dafür hat sich Tibor Rode schon sehr früh angeeignet: Als Zwölfjähriger begann er einen Kurs für kreatives Schreiben, gefördert vom Bundesbildungsministerium. „Jeden Samstag trafen wir uns an der Universität Hamburg, um das Schreiben zu trainieren, das ging über mehrere Jahre.“ Damals träumte Rode davon, Journalist zu werden. Schon mit 17 arbeitete er für verschiedene Wochenblätter. Doch dann entschied er sich doch für ein Jurastudium. Der Drang zu schreiben hat bei ihm jedoch nie nachgelassen. Ein weiterer Schlüsselmoment für seine Zweitkarriere als Autor war die Begegnung mit dem Schriftsteller John Grisham. „Er ist mein Vorbild. Seine Bücher und deren Verfilmungen wie etwa ,Die Firma‘ haben mein Bild vom Anwalt sehr geprägt“, sagt Tibor Rode. „2011 kam Grisham zu einer Lesung nach Hamburg, und das hat mich dann noch einmal darin bestärkt zu schreiben.“ In Rodes Erstling geht es dann auch um einen Patentanwalt, der in ein Komplott um eine bahnbrechende Erfindung hineingezogen wird, wobei sich historische und aktuelle Zeitebenen abwechseln. Im Nachhinein muss er über seine Naivität schmunzeln: „Als ich mit dem Buch fertig war, wollte ich es Verlagen anbieten – und musste feststellen, dass die an Manuskripten gar nicht interessiert waren.“ Kurzum schrieb er zwei Literaturagenten an und hatte bei der Literarischen Agentur Kossack in Hamburg Glück: „Gleich zwei Verlage hatten Interesse, und ich entschied mich für Lübbe – dort, wo auch Dan Brown und Ken Follett erscheinen.“ Seitdem ist Tibor Rode nicht nur Nacht-, sondern auch Saisonarbeiter: Im Winter wird an den Büchern gearbeitet, im Sommer ist Schreibpause. „Das weiß meine Familie und respektiert es. Die Kinder wissen, dass Papa im Winter ,am blöden Buch schreibt‘. Dafür habe ich im Sommer viel Zeit für Ausflüge und Grillen.“ Wenn er von der Arbeit in der Kanzlei nach Hause in Hamburgs Westen fährt, muss er erst einmal einen Schalter umlegen. Das geht am besten beim Gassigehen. „Die Arbeit als Anwalt ist sehr realistisch, meine Gedanken sind klar und strukturiert. Beim Schreiben dagegen sind meine Gedanken wirr. Es ist, als würde dann die andere Hälfte meines Gehirns zum Einsatz kommen.“
"Das Los" handelt auf 600 Seiten vom Lottospiel und vier Schicksalen
Rode selbst sieht sich nicht als genialen Schreiber, „aber ich beherrsche die Geschichte im Kopf. Vielleicht, weil ich es als Anwalt gewohnt bin, mit sehr vielen Fakten umzugehen. Zuerst ist die Idee für eine Geschichte da, dann brauche ich so viele Informationen wie möglich, lese ich sehr viele Bücher und entwickele dann meine Hauptfiguren.“
Noch wartet der Anwalt auf Verkaufszahlen seines Erstlings. Der Verlag scheint zumindest zufrieden, machte mit ihm schon den zweiten Anschlussvertrag. Gerade ist „Das Los“ erschienen, ein über 600 Seiten langer Thriller, der sich um das Lottospiel und das Schicksal vierer Menschen dreht. Tibor Rode hat ihn auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt. Casanova und Friedrich der Große kommen darin vor und der Italiener Giovanni Calzabigi, der im 18. Jahrhundert das Lottospiel nach Deutschland brachte. „Am Lottospiel fasziniert mich die Zeitspanne, die zwischen dem Ankreuzen der Zahlen und der Ziehung liegt. Es geht um Glücksspiel, aber eigentlich geht es um Hoffnung.“ Dieses Bangen und Hoffen ist ihm seit seiner Jugend bekannt. „Mein Vater spielte regelmäßig Lotto. Eines Tages hatten wir tatsächlich fünf Richtige, das waren damals rund 20.000 Mark. Davon machte mein Vater dann seinen Führerschein – mit 45 Jahren!“
Er selbst spielt kein Lotto, verlässt sich lieber auf den realen Geldverdienst, da ist er eben ganz Anwalt. Im Moment ist Tibor Rode wieder Nachtarbeiter, er schreibt an seinem dritten Buch, es soll ein Thriller über Schönheit werden. Seine Vorliebe für lange Texte war schon während der Schulzeit ausgeprägt. „Meine Deutschlehrerin sagte immer: ,Du bist gut, Tibor, aber du musst dich kürzer fassen.‘ – Es hat nichts genützt.“