Wulf Köpke, Direktor des Völkerkundemuseums, lernt andere Kulturen am liebsten durch die Begegnung mit Menschen kennen. Da hilft es ihm, dass er sieben Sprachen kann. Ein Porträt von Hans-Juergen Fink.
Völkerkunde beginnt nicht erst im tiefen Afrika oder auf einer entlegenen Südseeinsel. Sie beginnt, sagt Wulf Köpke, seit 22 Jahren Direktor des Hamburger Völkerkundemuseums, wenn man in Hamburg vor die Haustür tritt. „Hier leben Menschen aus 186 Nationen, Ethnien sind es noch viel mehr, denn die werden durch Grenzen und Pässe nur unzureichend abgebildet.“ In Hamburg kann man plötzlich mitten in der Türkei sein, im Kaukasus oder in Afrika.
Völkerkunde beginnt für Köpke mit genauem Hinschauen und gelebtem, offenem, interessiertem Miteinander. Von portugiesischen Hirten, die in Harburg wohnen, hat er gelernt, wie man Käse herstellt. „Und ich habe mal eine Führung für Hamburger gemacht durch das afrikanische Hamburg – da waren wir manchmal die einzigen Weißen am Ort, meine Leute haben ihre Stadt nicht wiedererkannt.“ 40.000 Afrikaner, sagt er, leben in Hamburg. „Viele Länder haben hier ihre ganz eigenen Infrastrukturen. Ich arbeite dran, unsere Wahrnehmung zu verändern.“ Kürzlich erst hat er das indische Hamburg entdeckt.
Wulf Köpke sitzt an einem kleinen runden Tisch unter dem weitläufigen Dach des Museums. Sein mit kreativem Chaos bedeckter Schreibtisch steht nebenan, die Tür seines Büros flankieren eine Holzstatue von den Karolineninseln, eine Götterfigur von eleganter Schlichtheit, und ein chinesischer Ahnenaltar, den ihm ein Hamburger Chinese aus Indonesien schenkte, als der vom Daoismus ins Evangelische konvertierte. Völkerkunde, das sind für Köpke Exponate, aber mehr noch die Menschen und ihre Geschichten.
Die Geschichten waren es auch, die den Jungen aus Düsseldorf – „da bin ich Eingeborener“ ohne Berührungsängste zum Karneval, mit Wurzeln väterlicherseits im Alten Land – in sein späteres Fach hineinzogen. Geboren wurde er 1952 in einen Künstlerhaushalt, Vater Maler, Mutter Schauspielerin. „Ich bin der klassische Fall einer Monobegabung, ich hab mich von Anfang an für Völkerkunde interessiert.“ Er liest ganz früh die „Märchen der Weltliteratur“, die Diederichs herausgibt, „und zwar alle“ und bis ihm die Ohren glühen. Dann auch die Romane von Gerstäcker und Cooper, später stöbert er gern in alten Lexikon-Bänden, „nur Karl May ließ mich kalt“. Mit acht hört er die ersten Joiken, Lieder der Lappen. Fängt an, entsprechenden Radiosendungen zu lauschen, „wir hatten zu Hause keinen Fernseher, bis ich zwölf war“.
Ihn faszinierte von Anfang an das Andere, Fremdartige – auch in der eigenen Heimat. „Am Niederrhein kannte ich jeden Stein und jede Geschichte dazu.“ Große Reisen sind erst mal nicht drin, aber sein Weg ist vorgezeichnet.
Als er sich mit 16 in der Schule langweilt, lernt er Finnisch, um dann in Finnland in den Sommerferien Deutsch zu unterrichten. Sprachen lernen fällt ihm leicht, in sieben kann er sich unterhalten, neben Finnisch gehören dazu Türkisch, Englisch, Niederländisch, Portugiesisch, Spanisch und Italienisch – jede Sprache die Tür zu einer anderen Welt. „Man schlüpft in eine andere Haut, ist jemand anderes.“ Mit 17 geht er nach Irland, dann folgt eine Kunstreise ins Burgund.
Köpke studiert in Berlin, „in politisch damals noch wilden Zeiten“. Völkerkunde, vergleichende Musikwissenschaften, Altamerikanistik und südosteuropäische Geschichte. Was man damit mal werden kann, fragt er nicht, „ich hab mich einfach reingestürzt, nie etwas geplant“. Sein Studium verdient er sich selbst, im Völkerkundemuseum in Dahlem. Macht Übersetzungen, Führungen, sitzt auch mal an der Kasse, „von Toilette putzen bis Direktor kenne ich im Museum fast jeden Arbeitsplatz“.
Mit dem Hamburger Völkerkundemuseum plant er eine Feldforschung in Südamerika, da kommt 1973 der Putsch in Chile dazwischen. Also ging’s in die Türkei. Nach zwölf Jahren Studium ist seine Dissertation fertig: „Töpferöfen im westlichen Mittelmeergebiet“. Nächstes Forschungsgebiet: Südindien, 1986. Dann wird er Chef der Dahlemer Europa-Abteilung, wo ihn sechs Jahre später der Lockruf von Hamburgs Kultursenatorin Christina Weiss ereilt.
1992 wird er Chef an der Rothenbaumchaussee. Und kann das Konzept vom lebendigen Museum in Angriff nehmen. Jenseits von Vitrinen und Ausstellungsstätten soll das Haus eine Begegnungsstätte zwischen Hamburgern aus Hamburg und Hamburgern von irgendeinem anderen Fleck der Welt werden. „Echte Begegnungen, nicht Eingeborenentänze für Weiße. Wir sind ja Hüter von Weltkulturerbe und nicht Besitzer, wir müssen mit den Menschen etwas machen.“ Denn dann, sagt er, werden die Exponate lebendig. „Mich interessieren die Leute und was sie über unsere Objekte erzählen – und was die Objekte über die Menschen erzählen. Das habe ich ausgebaut.“ Die Besucherzahlen stiegen anfangs von 80.000 in nur drei Jahren auf fast 180.000. Jahrelange Sanierungsarbeiten ließen sie stark sinken, jetzt liegen sie wieder bei 130.000, Tendenz steigend.
Auf 20 bis 25 Prozent schätzt er den Ausländeranteil an seinen Besuchern, das Haus ist darauf eingerichtet. Zum Beispiel mit überall mehrsprachigen Beschriftungen. Das Museum hat Veranstaltungsreihen, Filme und Ethno-Musik. „Fremde Kulturen erschließen sich eben leichter, wenn man sich von Person zu Person kennenlernt.“ Deshalb gibt es auch viele Feste anderer Kulturen: „Oster- und Weihnachtsmarkt, um an christliche Ursprünge zu erinnern“, das mexikanische Totenfest, den Lateinamerika-Herbst, Sonnenwende mit ein bisschen Mystik. „Wir haben das japanische Puppenfest ‚Hina Matsuri‘, über Portugal denken wir nach und noch Korea und Indien.“
Jede Kultur, daran erinnert Köpke gern, hat ihre eigenen Stärken. „Wir wollen den Migranten die Chance geben, ihre eigene Stärken zu zeigen.“ Was das Museum weit über das schiere Ausstellen hinaus leisten kann, erzählt er gern, auch wenn es manchen Ethnologen nicht gefällt, dann aber gern kopiert wird.
Die Portugiesen, zum Beispiel. Als man hier nach vielen Jahren die engere Zusammenarbeit zurückfahren wollte, kam eine Delegation: „Sie müssen bitte weitermachen. Sie haben uns mit Ihrer Arbeit ermöglicht zu erfahren, dass die Deutschen unsere Kultur schätzen, und haben unser Selbstbewusstsein so gestärkt, dass wir uns ermutigt fühlten, uns stärker mit Läden und Restaurants in der Öffentlichkeit zu zeigen.“
Oder eine Frau aus Peru, deren Sohn bei einem Lateinamerika-Festival zum ersten Mal erlebt, wie sich seine Mutter, sonst eher unsicher in der deutschen Umgebung, wohlfühlt wie ein Fisch im Wasser und aufblüht. Der Junge fragt ihn, wie er seine Lehrerin ins Museum bekommt, damit sie sieht, dass auch er eine Hochkultur im Hintergrund hat.
Oder ein pensionierter Schuldirektor, der ihm gestand, die Ausstellung über verborgene Schätze habe sein ganzes Leben verändert. Die Ausstellung untersuchte unseren Begriff vom Schatz und lenkte so die Aufmerksamkeit auf die Frage: Was ist wirklich wertvoll im Leben?
Eine Frage, die auch zu einem von Köpkes weniger glücklichen Momenten passt: zur Ausstellung mit chinesischen Tonkriegern aus Xian im Jahr 2007. Das Museum hatte Räume – und damit seine hohe Reputation – an eine externe Firma dafür vermietet, und dann gab es Ärger: Fälschung, Teil-Fälschung? Ein Krimi, der bis heute nicht ganz aufgeklärt ist. Köpke hat viel aushalten müssen damals, ihm half sicher das fast buddhistisch anmutende freundliche In-sich-Ruhen, das er ausstrahlt. „Es scheint, dass wir von Chinesen damals übers Ohr gehauen worden sind.“ Er sagt auch: „Aber ich bin in 40 Jahren im Museum nur ein einziges Mal auf so etwas reingefallen. Das entwertet ja nicht unsere Arbeit.“
Erholung findet er zu Hause in Ahrensburg, wo er mit seiner Frau Claudia und den beiden Töchtern lebt. Was er da macht? „Ich habe eine kleine Töpferwerkstatt, und ich koche gern.“ Kochbücher hat er aus allen 35 Ländern mitgebracht, in denen er unterwegs war. Die passende Musik auch. „Das ist aber auch das Einzige, was ich sammle.“
Lieber als über chinesische Scherben spricht er natürlich über Glücksmomente. Beispielsweise das Lob der Japaner im Jahr 2002 über die Sammlung, die Hamburger Kaufleute seit 1853 liebevoll zusammengekauft haben: „Die Leute, die das gesammelt haben, müssen unsere Kultur geliebt haben.“ Köpke sagt: Es gibt kein schöneres Kompliment.
Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbild gelten. Wulf Köpke bekam den Faden von Josef Thöne und gibt ihn an Behcet Algan weiter.