Schüler bringt Legofiguren zum Sprechen. Jetzt tritt er als jüngster Teilnehmer beim Festival in Rostock an. Er hat eine große Fangemeinde bei YouTube hat und gilt bereits als “Meister des Animationsfilms“.
Hamburg. Wunderkind. Das Wort kann Midas nicht leiden. Absolut nicht. Und seine Eltern, Anna Hinz und Björn Kempcke, können es nicht mehr hören. Bloß weil ihr zwölfjähriger Sohn seit gut einem Jahr eine ziemlich große Fangemeinde bei YouTube hat und bereits als "Meister des Animationsfilms" gehandelt wird. Bloß weil er ab heute gleich mit zwei neuen Trickfilmen im Wettbewerb des "Festivals im StadtHafen Rostocks" als jüngster Teilnehmer vertreten ist und bloß weil ihm die Schule ein wenig leichter fällt und ihm das Lernen vermutlich Spaß macht.
"Sprachen finde ich gut - und Kunst", sagt der Junge, während er sich beinahe schon cool der Kamera des Fotografen präsentiert. Aber wer dann auch noch die dritte Klasse überspringt, und jetzt wohl auch noch die achte, kriegt diesen Stempel.
Das ZDF war bereits da, auch das Magazin "Geolino", und sogar das russische Fernsehen hat schon in der Erdgeschosswohnung des Eilbeker Klinkerbaus gedreht. Auf der Kommode in seinem aufgeräumten Zimmer stehen die Trophäen der Filmpreise, die er bisher mit seinen insgesamt acht Trickfilmen abräumen konnte. Dafür hat Midas das Ladenbüro, das seine Eltern nutzen - Mutter Anna gehört der Silberfuchs-Hörbuchverlag, Vater Björn ist freischaffender Musiker und Toningenieur - okkupiert, und wie: Mitten im Raum türmen sich Hunderte von Legosteinen, -figuren und -gebäuden - die Grundausrüstung für Midas Kurzfilme, die freilich nicht spontan entstehen, sondern nach einem richtigen Drehbuch produziert werden.
"Stop-Motion" bedeutet, dass Midas jedes einzelne Bild des Films mit einer Digitalkamera aufnimmt und dann jede Bewegung einer oder mehrer (Lego-)Figuren sowie ihre Umgebung (falls dies nötig ist) immer wieder um eine winzige Nuance manuell verändern muss, damit später nach dem Zusammenschnitt der Eindruck entsteht, dass sich die Figuren bewegen und verändern. Sieben Standbilder "passen" in eine Sekunde Film. Für einen zweiminütigen Kurzfilm benötigt er also 840 Einzelbilder. Die Stunden, die allein das Aufbauen und ständige Verändern dauern dürfte, hat die Familie nicht gezählt. Hinzu kommt dann noch der Schnitt auf Papas Computer inklusive einer gewissen "Veredelung" mithilfe vieler spezieller Softwareprogramme wie zum Beispiel "Crazy Talk", mit dem Midas einer Legofigur ein sprechendes Gesicht aufdrücken kann.
Aufwendig ist auch sein neuer Animationsfilm, den Midas mit einer Playmobil-Figur erstellt hat. Der Titel des Wettbewerbsstreifens lautet "In die Tasche gesteckt", und darin thematisiert Midas sein zweites "Steckenpferd": Tischtennis. Die Playmobil-Figur ist im Film der Gegner von Midas. Sie wächst im Verlauf des Matches über sich hinaus und wird wieder kleiner. Wie das eben so ist, wenn man verliert ...
"Ja, ich habe auch Freunde", lacht der Jungfilmer, der nebenbei noch in einem Club Schach spielt und einmal pro Woche "Non Classical Gung Fu" trainiert; eine asiatische Kampfsportart, "mit der man vermutlich auch das Selbstbewusstsein stärken kann", sagt sein Vater Björn. "Na ja, in meiner ersten Schule bin ich manchmal ganz schön gehänselt worden", sagt Midas. Was zum Schicksal der schulischen Überflieger leider häufig dazugehöre, seufzt seine Mutter. Jetzt besuche er jedoch zum Glück eine sogenannte Springer-Klasse am Gymnasium Grootmoor, aber auch hierfür muss Midas einen Preis bezahlen: Mindestens je 45 Minuten Schulweg hin und zurück. "Manchmal nervt mich das ein bisschen", gibt er zu.
Er ist einer von insgesamt fünf Hamburger Teilnehmern beim Filmfestival. Seine (hanseatischen) Konkurrenten heißen Janco Christiansen ("Irgendwas mit Medien"), Valentin Gagarin ("Reverie"), Lars Kokemüller ("Utoya, Utopia") sowie ein Projekt vom Jugendfilm e.V. Hamburg, "Hunger" und "Liebe - was ist das?" Aber Midas denkt am Tag vor der Abreise nach Rostock weniger an die öffentliche Abstimmung von Publikum und Preisjury: Er macht sich lieber Gedanken darüber, dass er noch für zwei anstehende Klausuren - Chemie und Französisch - lernen muss. Wenn Midas ein bisschen Glück hat, könnte er für den "Film des Jahres" 7000 Euro Preisgeld gewinnen. "Was ich mit dem Preisgeld machen würde? - Ich weiß es nicht. Vielleicht einen neuen Computer?" Sein Vater Björn nickt sehr, sehr heftig.