Eddy Kante ist seit 33 Jahren der Bodyguard des Rockstars. Davor führte er ein Leben voller Gewalt - als Ergebnis einer traurigen Kindheit.
Hamburg. Tief hängt die Sonne am Horizont. Das kleine Städtchen und die Prärie drumherum dösen in der Hitze vor sich hin. Dann: Charles Bronsons Stimme. "Ey Mann, fahr zu deiner Rockerclique und sag der Alten, die du liebst, dass du sie jetzt haben willst." Eine Passage aus "Cowboy Rocker", einem Lied von Udo Lindenberg. "Das war mein Song", sagt Eddy Kante. Damals 1974. Die Musik war seine Zuflucht. "Da war ich immer in meiner Welt - weg von Prügel und all dem Scheiß, der hinter mir lag." Dass sein Idol irgendwann sein bester Freund werden würde, war eine Wunschvorstellung. Eine Wunschvorstellung, die Realität geworden ist.
Dabei ist Freundschaft noch nicht mal das richtige Wort, um die Beziehung der beiden zu beschreiben. Es ist viel mehr. "Udo und ich sind seit 33 Jahren zusammen", sagt der bullige Glatzkopf. Seit mehr als drei Jahrzehnten ist Eddy Kante, der mit bürgerlichem Vornamen Frank heißt, Lindenbergs Bodyguard. Inzwischen ist der 53-Jährige selbst zum Kult geworden, hat Autogrammkarten, ist Musicalfigur, schauspielert. 2013 will er seine Schauspielerkarriere noch weiter voranbringen - und seine Biografie veröffentlichen. Die Idee kommt nicht von ungefähr. Wann immer Kante aus seinem Leben erzählt, finden die Zuhörer es interessant. "Ich bin wahrscheinlich der Einzige, der mein Leben nicht toll findet. Weil es nicht toll war."
1998 hat Kante ein paar Songs aufgenommen. Einer davon war "Die Arme meiner Mutter". Er hat ihn selbst geschrieben - über seine Kindheit, "eine Scheißkindheit":
Die Arme meiner Mutter
waren aus Asphalt;
die Milch, die mich ernährte,
bestand nur aus Gewalt;
Gefühle tief begraben;
das Herz so jung und wild.
Kante wuchs in Hagen auf. Der Stiefvater schlug den Jungen und seine Mutter, sperrte ihn im Keller ein. Oft konnte er nicht zur Schule gehen, weil er entweder nicht laufen konnte oder grün und blau war - oder beides. Häusliche Gewalt also? Kante pustet Zigarettenqualm aus, Unverständnis blitzt in seinen Augen auf. "Das ist aber nett ausgedrückt", sagt er dann. "Viel zu nett. Das passt gar nicht. Der hat mich richtig verdroschen." Die Gewalt wurde zum Alltag. "Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich sage, ich bin ohne Seele aufgewachsen", sagt Kante. "Als Kind denkst du, das ist normal so. Aber du spürst, das ist etwas, was du nicht magst, was du nicht sehen willst und was wehtut. Und du kannst nichts machen. Weil, was willst du gegen so ein Tier machen?" Irgendwann hielt der Junge es nicht mehr aus. Kante weiß nicht mehr genau wann, aber irgendwann im Alter zwischen zehn und 13 Jahren haute er ab. "Nach Tante Hilde und Onkel August", sagt er in Pott-Manier. Dort fand er, was er so lange gesucht hat: Liebe. Und sei es nur in Form eines gemeinsamen Frühstücks am Sonntag.
Etwa zur gleichen Zeit entdeckte Kante das Lindenberg-Album "Ball Pompös", auf dem auch der Song "Cowboy Rocker" ist - Kantes Song. Der zu dem Zeitpunkt schon - wie er es nennt - bockige Teenager hörte das Album ohne Unterlass. "Irgendwie konnte ich mich damit total identifizieren." Und auch infizieren. Kante wurde Fan - aber so richtig. Er besuchte, so oft es ging, Konzerte, erzählte seinen Kumpels, er würde für den Star arbeiten, und machte sich ein Tattoo. "UDO LINDENBERG" steht bis heute in großen Lettern auf seinem rechten Oberarm. Von Tante Hilde gab es dafür erst mal Stubenarrest, keine Schläge.
Die verteilte Kante nun selbst. Als er mit 15 Jahren einmal festgenommen wurde, sagte seine Tante zu den Polizisten "Der Junge ist nicht so, der ist lieb." Kante kann sich noch genau an diesen Moment erinnern. Heute glaubt er es auch selbst. "Niemand kommt böse zur Welt", sagt er. Und so freundlich und ausgeglichen wie er heute in der Raucher-Lounge des Hotels Atlantic sitzt, glaubt ihm das auch jeder andere.
Kantes Mutter starb, kurz bevor er volljährig wurde, bei einem Verkehrsunfall. "Ich habe sie leider nie richtig kennengelernt", sagt Kante. Aus Angst vor ihrem Lebensgefährten besuchte sie den Sohn nur hin und wieder heimlich. Eine emotionale Bindung entstand nie. Ebenso wenig mit dem leiblichen Vater. Nur zu Geburtstagen kam der vorbei, drückte seinem Sohn 20 Mark in die Hand und verschwand wieder. "Ich war verbittert darüber, dass er sich nicht um mich gekümmert hat", sagt Kante. Und darüber, dass er nichts über seine Wurzeln, seinen Vater weiß, dem er doch so ähnlich sehen soll. Raucht er? Was isst er gerne? Womit verbringt er seine Freizeit? Bereits als junger Mann versuchte Kante, Kontakt zu seinem Vater zu halten. Aber als von dem nichts zurückkam, stellte er das ein. Nun aber ist die Neugier zu groß geworden. In den kommenden Wochen will Kante seinen inzwischen 73-jährigen Vater noch mal treffen. Versöhnung sei ein zu großes Wort, sagt er. "Ich will einfach nur meinen Vati kennenlernen."
Mit 18 kaufte Kante sich ein Motorrad und wurde zum Cowboy Rocker. Er schloss sich der Rockergang Freeway Riders an. Diebstahl, Schlägereien, Schutzgelderpressung und Polizei gehörten zu seinem Leben. "Ich war nicht mehr zu bändigen", sagt Kante. Mit 19 heiratete er seine Jugendliebe Ute, die wenig später schwanger wurde. "Weil ich so der Erste war in der Clique", lautet die schlichte Erklärung für beides. Dann wurde Kante zur Bundeswehr einberufen - nach Hamburg, in Udos Stadt. Kante hatte seinen Star inzwischen nach einem Autogramm gefragt, und Lindenberg erkannte seinen treuen Fan aus der ersten Reihe wieder. Von da an unterhielten sich die beiden hin und wieder nach Konzerten. Einmal sagte Lindenberg, dass Kante doch bei ihm vorbeischauen solle, wenn er zufällig in Hamburg sei. Nun war der Moment gekommen. Die beiden trafen sich und unterhielten sich lange. "Eigentlich hat eher Udo geredet, und ich habe mich nicht getraut, viel zu sagen", sagt Kante.
Nach seiner Bundeswehrzeit musste Kante für neun Monate ins Gefängnis. Er war beim Schwarzfahren erwischt worden, und seine Vorstrafenliste war einfach zu lang. Die Perspektiven für die Zukunft schwanden Stück für Stück. Als er wieder draußen war, schaute er wieder bei Lindenberg vorbei, um ihm seinen inzwischen geborenen Sohn Oliver vorzustellen. "Und was machste jetzt?", soll der Star gefragt haben. Schulterzucken. "Willst du nicht mein Bodyguard werden?" Udo Lindenberg, der schon immer ein Herz für Gestrandete hatte, war seine Rettung. "Er war da für mich", sagt Kante. "Zu diesem Zeitpunkt hatte ich entweder die Chance, zum größten Luden zu werden - oder eben die Kurve zu kriegen."
"Ich hatte in meinem Leben einfach das Glück, dass ich Udo Lindenberg getroffen habe", sagt Kante. Er ist nicht stolz auf sein früheres Leben, aber auf sein jetziges. Er weiß, dass ihn all der Mist dahin gebracht hat, wo er nun ist. "Ich will diesen Weg aber keinem empfehlen. Wenn man mich fragt, ob ich noch mal so leben will, sage ich ganz klar Nein. Aber ich sage jetzt auch nicht Entschuldigung dafür, dass ich so gelebt habe. Ich musste so leben, um zu überleben."
Kante erzählt von seinen Stiefbrüdern. Zum einen hatte er lange keinen Kontakt, weil er seinem Vater zu ähnlich sah. Wenn Kante ihm ins Gesicht schaute, sah er den Stiefvater, wie er auf ihn einprügelt. Der andere Bruder wurde Alkoholiker und nahm sich 2001 das Leben. "Weil er mit der Kindheit nicht klarkam", sagt Kante. Alles was man in der Kindheit erlebe, ziehe man sein ganzes Leben irgendwie mit sich. "Er ist Alkoholiker geworden, und ich habe eben die Gewalt weitergegeben." All die Schlägereien seiner Jugend habe er nicht gewonnen, weil er der Stärkste war, "sondern weil ich Angst hatte - Angst, selbst Prügel einzustecken".
Inzwischen hat Kante zwei Therapien gemacht. "Meine Seele ist notdürftig repariert", sagt er. Hauptsächlich hänge das aber mit seiner Familie zusammen, seiner ganz eigenen Interpretation davon. Erst Tante Hilde und Onkel August, dann die Freeway Riders und nun Udo und Kantes Kinder: Oliver, 34, Sharin, 19, und Emily, 9. Eine Frau im Sinne einer Lebensgefährtin für immer hat er derzeit nicht. Er will ein guter Vater sein, will seinem Nachwuchs mitgeben, dass sie erhobenen Hauptes durchs Leben gehen und Respekt vor anderen haben sollen.
Aus dem Jungen mit der großen Klappe, der seinen Kumpel vorlog, er würde für Lindenberg arbeiten, ist ein fürsorglicher Vater und tatsächlich Lindenbergs Bodyguard geworden. "Im Endeffekt lebe ich jeden Tag meinen Traum", sagt er. Udo und ihn verbinde die gleiche Einstellung zum Leben. Manche sagen über die beiden, sie seien schon fast wie ein altes Ehepaar. "Früher krochen mir alle in den Arsch, weil sie Angst vor mir hatten, und jetzt, weil ich Udo Lindenberg so gut kenne", sagt er. Und das führt dann schon mal zu überraschenden Nachrichten ehemaliger Schulkameraden: "Hallo Frank, ich bin der Volker aus der vierten Klasse. Du hast mich doch immer verhauen und mir meine Sachen weggenommen. Da musst du dich doch noch erinnern. Kannst du mir ein paar Konzertkarten besorgen?" Die Vergangenheit schleppt er eben immer mit.