Beim HSV-Friseur Ernst Schmidt in Eimsbüttel dreht sich alles um die Raute. Der frühere HSV-Masseur Hermann Rieger wurde Stammkunde.

Hamburg. An der Wand hängen Bilder mit den Stürmern Paolo Guerrero und Mladen Petric. Auch blau-weiße Trikots, Fahnen mit HSV-Raute und Autogrammkarten schmücken den kleinen Salon, selbst die Visitenkarte von Friseur Ernst Schmidt, 85, ist in den Vereinsfarben des Hamburger Sportvereins (HSV) gedruckt. Kein Wunder, dass sein Arbeitsplatz schon oft mit einer Kartenvorverkaufsstelle verwechselt wurde. "Es kommen häufig Fans, die Karten für das nächste Heimspiel kaufen wollten", sagt Schmidt. "Dann sind sie ganz erstaunt, wenn sie hereinkommen und sehen, dass hier nur Haare geschnitten werden."

Schon seit 60 Jahren ist Ernst Schmidt seinem Verein treu. Den Bund fürs Leben ist er doppelt eingegangen - das erste Mal mit seiner Frau Friedel (gestorben 2001) und das zweite Mal mit dem HSV. Von seiner Leidenschaft zeugt nicht nur die auf sein Hemd gestickte Raute, sondern auch der Ring mit dem Vereinslogo an seiner Hand. Sein Autokennzeichen beginnt passenderweise mit HH-SV.

In Eimsbüttel und in der Imtech-Arena ist der Friseur nur unter dem Namen "Schmiddl" bekannt. "Meine Dauerkarte besitze ich seit 1963 und werde sie auch behalten, solange ich lebe", sagt der Friseur. Sonnabend ist traditionell Fußballtag, und der gehört ganz dem Sportverein. Das wissen auch Familienangehörige und Bekannte. "Wegen des HSV mussten schon einige Geburtstage und Feiern ausfallen", sagt Schmidts 61-jährige Tochter Gabrielle Thomsen, die ihren Vater gerne bei der Arbeit im Salon besucht.

+++ Zu den Quartieren +++

In Schmidts Salon kommen vorwiegend Stammkunden, mit denen er nebenher die letzten Spiele Revue passieren lässt oder mögliche Mannschaftsaufstellungen diskutiert. Der Rentner Erich Held, 81, besucht den Haare schneidenden Fußballfachmann schon seit 30 Jahren. Er vertraut zwar auf Schmidts Fähigkeiten mit der Schere, die bedingungslose Fanliebe kann er jedoch nicht teilen: "Er ist einer dieser Verrückten, die immer noch an den HSV glauben", sagt der 81-Jährige über Schmidt. Die meisten Salon-Kunden sind aber eingefleischte Fans wie der 85-Jährige selbst. So kam es auch schon dazu, dass Schmidt die Vereinsraute in die Haare seiner Klienten rasierte. St.-Pauli-Fans könnten glauben, dass Schmidt beim Bedienen der Erzfeinde "aus Versehen" mal die Schere ausrutscht, aber Anhänger anderer Vereine müssen sich keine Sorgen über unangenehme Überraschungen beim Friseurbesuch machen. Schmidt behandelt alle Kunden gleich, denn er ist ein fairer Sportsmann: "Ich bin professionell und mache keine Unterschiede bei meinen Kunden. Alle werden gleich versorgt, egal, ob Fans oder nicht."

HSV-Sympathisanten fühlen sich aber am wohlsten in Schmidts kleinem Salon. Sogar Fußballprominenz war schon bei ihm. Dem ehemaligen Torhüter Horst Schnoor verpasste Fußballexperte Schmidt schon einen Haarschnitt. Und auch der frühere HSV-Masseur Hermann Rieger, 69, gehörte bis zu seinem Umzug nach Bremervörde zu seinen Stammkunden. "Ernst und ich sind gute Freunde", sagt Rieger. "Er hat mir auch Hausbesuche abgestattet, wenn ich es mal nicht in seinen Salon nach Eimsbüttel geschafft habe."

Kunden, die beim Friseurbesuch über Fußball und den HSV reden wollen, sind bei Schmidt an der richtigen Adresse: Einmal auf seinen Lieblingsverein angesprochen, sprudelt es nur so aus ihm heraus, und er könnte ewig über den HSV sprechen. Stolz erzählt er, wie er vor fünf Jahren im Stadion zum Ehrenmitglied des Vereins ernannt wurde. Die Ehrung wurde vor Spielbeginn auf der Leinwand übertragen, und HSV-Kultsänger Lotto King Karl ("Hamburg, meine Perle") interviewte ihn. Seine langjährige Treue wurde auch jetzt belohnt: Zum 40-jährigen Bestehen seines Salons kam nicht nur Fanbeauftragter Oliver Scheel, um persönlich zu gratulieren. Schmidt wurde zudem von seinem Lieblingsverein mit einer Reise nach Rügen überrascht.

Der Friseur trägt den HSV in seinem Herzen, an erster Stelle stehen für ihn jedoch Familie und Gesundheit. "Zwar gab es so manche familiäre Auseinandersetzungen wegen seiner Fußball-Euphorie, aber trotzdem war mein Vater immer für uns da, und er kümmert sich immer noch liebevoll um uns", sagt seine Tochter Gabrielle. Seine Enkel und Söhne habe er bereits mit seiner HSV-Liebe angesteckt. Sein Enkelsohn Christopher, 23, verpasst keine Bundesligapartie und fährt sogar mit dem Fanbus zu allen Auswärtsspielen.

Zur Ruhe setzen will sich Ernst Schmidt noch lange nicht. "Mein Beruf macht mir Spaß, und solange ich gesundheitlich noch in der Lage bin, werde ich in meinem HSV-Salon stehen und Haare schneiden."