Stadtteilreporter Philip Kühn hat mit Bewohnern aus St. Pauli gesprochen und den berühmten Stadtteil genauestens unter die Lupe genommen.
St. Pauli. St. Pauli ist der Stadtteil, der niemals schläft. 24 Stunden am Tag pulsiert hier das Leben. Tagsüber kommen viele Angestellte in das Quartier, in dem sich viele Büros angesiedelt haben, nachts wird es von Feierwütigen belagert. Und die Touristen sind ohnehin zu jeder Zeit da. Die rund 27 000 Einwohner müssen ihren Kiez - wie der Stadtteil oft genannt wird - also ständig mit anderen teilen. Dafür kennen sie sich aus und wissen, wo die schönsten und typischsten Plätze des Quartiers sind. Stadtteilreporter Philip Kühn ist einer davon. Nun stellt er seine sieben persönlichen St.-Pauli-Geheimnisse vor. Kommende Woche geht es dann nach Eimsbüttel. Schreiben Sie uns Geschichten aus Ihrem Quartier an: stadtteilreporter@abendblatt.de . Und für Hinweise und Beobachtungen aus St. Pauli wenden Sie sich an den Autor: philip.kuehn@fm-abendblatt.de
+++Hier geht's zu den Quartieren+++
1. Das Original
"Kurze Hose, halber Preis." Die Sprüche scheinen ihm nie auszugehen. Kein Wunder, denn Kapitän Blaubär, der seinen richtigen Namen nicht verraten will, leistet bereits seit über 30 Jahren Überzeugungsarbeit - als "Anschnacker" an den Landungsbrücken. Das lang gezogene "Haaafenrundfahrt" klingt aus dem Mund des 73-Jährigen, als hätte er es persönlich erfunden. Bereits 1955 ist er aus Würzburg nach St. Pauli gekommen, um als Schiffsjunge bei der Afrika-Linie anzuheuern. "Ich habe dann 20 Jahre die ganze Welt bereist, bis ich die Seefahrt aufgegeben habe", sagt er. Heute lebt er - wie sollte es anders sein - auf einem Hausboot.
2. Die perfekte Bank
Die Aussicht an den Landungsbrücken ist unschlagbar. Ob im "Park Fiction", an der Jugendherberge auf dem Stintfang oder direkt an den Brücken. Die Sitzgelegenheiten hier sind ähnlich hart umkämpft wie die Plätze im Millerntor-Stadion. Wer vom Ufer aus das Panorama genießen möchte, muss früh aufstehen - oder eben spät ins Bett gehen. Eine Ausnahme findet sich aber noch: Auf der Promenade zwischen Davidstraße und Stintfang ist meist ein Plätzchen frei, denn hier gibt es mehrere Bänke mit dem perfekten Blick in Richtung Elbe. Ein idealer Ort, um zu lesen oder den unverstellten Blick auf vorbeifahrende Containerschiffe und Hadag-Fähren zu genießen.
3. Die schönste Wasserstelle
Es ist tatsächlich kein leichtes Unterfangen, auf St. Pauli eine Wasserstelle zu finden. Die Elbe vorzustellen, wäre zu einfach. Und idyllische Seen, Brunnen und Teiche sind nicht typisch genug St. Pauli. Vielleicht hilft es weiter, um die Ecke zu denken. Schließ-lich gibt es ja auch noch andere "Stellen", an denen jede Menge Wasser fließt. Zum Beispiel bei den "Wäsche-Feen" an der Friedrichstraße. Seit über 30 Jahren gibt es den kleinen Waschsalon mit der auffällig bunten Fassade. Die Feen haben immer gut zu tun und legen trotzdem viel Wert auf guten Service. "Für einen geringen Aufpreis bringen wir die Wäsche bis vor die Tür", sagt die Angestellte Sandra Schwede. Von diesem Service machen Studenten, Hotels und Kasinos Gebrauch - auch einige Damen aus der Herbertstraße. Eine nicht ganz gewöhnliche Wasserstelle, die dafür aber perfekt zu St. Pauli passt.
4. Die fieseste Ampel
Eine besonders nervige Ampelkreuzung befindet sich an der U-Bahn-Station St. Pauli. Egal von wo man als Autofahrer kommt: An mindestens einer Ampel muss man immer halten. Eine echte Geduldsprobe wird das, wenn abends Partygänger direkt vor die Motorhaube torkeln und Fetenhits anstimmen. Auch für Fußgänger birgt die Ampel hier Risiken. Man sollte nie bei Rot die Straße überqueren, nur weil man den Eindruck hat, dass gerade kein Auto kommt. Es taucht immer irgendwie ein Taxi auf.
5. Die interessanteste Straße
Fragt man alteingesessene St. Paulianer nach einem besonders plump klingenden Straßennamen im Viertel, bekommt man häufig die Otzenstraße genannt. Doch was so unschön klingt, hat einen sehr besinnlichen Ursprung. Benannt ist die Straße nämlich nach Johannes Otzen (1839-1911), einem Architekten und Kirchenbaumeister, der zeitlebens mehr als 20 Kirchen entwarf und baute. So zum Beispiel auch die in der Straße gelegene Friedenskirche.
Weniger solch sakraler, sondern eher humoristischer Natur war der Namensgeber vom Hein-Köllisch-Platz . Hein Köllisch, seines Zeichens Humorist und Liedtexter, bespaßte Ende des 19. Jahrhunderts die Hamburger Bürger - unter anderem in "Hein Köllischs Universum" (später "Köllischs Lachbühne") am Spielbudenplatz. Aufgewachsen ist er am Pauls-Platz, der 1949 nach ihm benannt wurde.
6. Der bekannteste Bewohner
Der wohl bekannteste St. Paulianer ist männlich und weiblich zugleich: Oliver Knöbel, besser bekannt als Olivia Jones. Die selbst ernannte Bürgermeisterin des Viertels führt mehrmals in der Woche Kiez-Touristen über die Reeperbahn und hat zwei Bars im Viertel. Die Olivia Jones Bar und Olivias Wilde Jungs (Große Freiheit).
Schwer zu überhören ist derzeit der Rapper Nate 57, der bei den unter 20-Jährigen sehr beliebt ist. Seine Kiez-Hymnen "Blaulicht" und "Waffenfreie Zone" tönen einem auf der Straße regelmäßig aus deren Mobiltelefonen entgegen.
7. Das Ärgernis
St. Pauli ist anders. Und das ist gut so. Hier gibt es zwar keine schicken Boutiquen und Cafés, dafür aber viele Sexshops und Spelunken. Hauseingänge sind beschmiert, es wird wild plakatiert und so manches Gebäude wirkt baufällig. Das entspricht oft nicht der Norm, erzählt aber eine Geschichte. Deshalb ist es ärgerlich, wenn Interessen von Investoren überhandnehmen und das Viertel deshalb an Charme verliert - siehe Bernhard-Nocht-Quartier. Jeder Versuch, das Viertel schicker und hochwertiger zu machen, ist schade, denn so verliert St. Pauli seinen ganz eigenen Charakter.