Hamburg. ... und der wieder alles verlor. Die unglaubliche Geschichte von Helmut Dunken, Günter Netzer, einem Lotto-Schein und reichlich Naivität.

Der Weg in die Vergangenheit führt über verschlissene Teppichbrücken. Mühsam holt Helmut Dunken mit dem rechten Bein etwas Schwung und steuert seinen Rollstuhl zur braunen Schrankwand. Vorsichtig zieht er eine Klarsichtfolie mit einem vergilbten Schreiben aus der obersten Schublade.

„Dieser Brief“, sagt der 62-Jährige dann stolz, „ist mein Beweis.“

In dem Einschreiben vom 16. August 1988 gratuliert Nordwest Lotto und Toto Hamburg der „Spielgemeinschaft Netzer, G + Dunken, H“ zu einem Gewinn von 150.989,90 Mark. Nun suchen Woche für Woche Tausende Tippgemeinschaften das große Lotto-Glück. Doch keine dürfte so gegensätzlich sein wie Helmut Dunken und Günter Netzer. Hier der gelernte Isolierklempner aus Borgfelde, Spitzname „Schotti“, vorbestraft, lange arbeitslos, inzwischen Frührentner nach der Amputation des linken Beins. Dort der erste Popstar des deutschen Sports, Idol einer Fußball-Generation, dann als Manager Architekt der großen HSV-Zeiten, später geadelt als ARD-Experte mit dem Grimme-Preis, Millionär, auch mit 70 noch immer erfolgreich unterwegs im internationalem Sport-Business. Dunken. Und Netzer. Zwei, die eigentlich nichts gemeinsam haben. Außer einem Lottoschein. Und die eine der verrücktesten Episoden des deutschen Fußballs schrieben.

Die Geschichte begann 1966. Ludwig Erhard regierte die Republik, Herbert Weichmann führte den Senat, und Uwe Seeler stürmte für den HSV. Als Borussia Mönchengladbach am 18. September 1966 im Volkspark gastierte, schwenkte der damals zwölfjährige Helmut Dunken die Fahne mit der Raute in der Westkurve, so wie bei jedem Heimspiel des HSV. Und doch war diesmal alles anders. Fasziniert verfolgte der Schüler jeden Schritt von Günter Netzer, dem jungen Dirigenten der Gladbacher. Und während 50.000 Fans die Tore zum 5:0-Sieg über den Aufsteiger bejubelten, wuchs bei Helmut Dunken die Wut auf Willi Schulz, der ein ums andere Mal den Ball-Ästheten unsanft von den großen Füßen holte. „Wie habe ich den Willi gehasst“, sagte Dunken. Mit dem Abpfiff endete seine HSV-Liebe, bei jedem Gastspiel der Gladbacher stand er fortan im Gästefanblock. Die Zehn, die Netzer-Rückennummer, wurde für Dunken, – selbst ein passa­bler Kicker, der es bis in die Hamburger Jugendauswahl brachte –, zur magischen Zahl: „Wenn mein Trainer mir die Zehn nicht gab, hatte ich schon vor dem Spiel die Schnauze voll.“ Ein paar Jahre später, Dunken verdiente auf dem Bau das erste Geld, folgte er seinem Idol quer durch die Republik. Bundesliga, Pokal, Europacup – kein Weg war Dunken zu weit. Am Ende kostete es ihn den Job, der Chef wollte nicht mehr tolerieren, dass sein Isolierklempner ständig blau machte.

Mit der 37 und der 6 war Dunkens Netzer-Formel komplett

Die Selbstgedrehte verglüht im Aschenbecher, als Dunken von seiner Leidenschaft erzählt. Er zeigt das Tattoo auf seinem linken Arm, gestochen 1972 im Jugendgefängnis Hahnöfersand, wo er einsaß wegen Haschisch-Dealerei: „Hatte ich ja versprochen, wenn Netzer uns zum Europameister macht. War aber schwer, da wir ja im Knast die Nadel sofort unterm Bett verstecken mussten, wenn die Wärter kamen.“ Am Ende war das Netzer-Konterfei so verschmiert, dass sich Dunken einen Puma drüberstechen ließ: „Puma war damals Ausrüster der Gladbacher.“ Wieder in Freiheit gönnte sich Dunken ein neues Netzer-Tattoo auf dem rechten Arm.

Dunken tippt auf die Wechselrahmen an den vergilbten Wänden mit den Tickets der großen Gladbach-Spiele, den Zeitungsausschnitten mit Jubel-Schlagzeilen über Netzer, den Fotos vom Spielmacher, wechselweise im DFB-Dress oder Gladbach-Trikot. „Einige waren doll auf die Beatles oder die Stones, ich war vom Netzer-Bazillus infiziert“, sagt Dunken.

Der Netzer-Bazillus übertrug sich auf die zweite große Leidenschaft seines Lebens: Lotto spielen. Schon als Lehrling marschierte er jeden Freitag mit seiner Lohntüte zur Lottobude. Und tippte die Zahlen seines Idols. Gesetzt waren immer die 9, die 14 und die 44 für den 14. September 1944, das Geburtsdatum Netzers sowie die 47 für dessen Schuhgröße, später dann die 2 für die beiden Auszeichnungen zum Fußballer des Jahres. Als Netzer seine Karriere 1977 beendete, war Dunkens Siebener-Reihe für den Systemschein komplett: Mit der 37 für die Zahl der Länderspiele, mit der 6 für die Zahl der Länderspieltore. 2, 6, 9, 14, 37, 44, 47 – diese Ziffern wurden Dunkens magische Netzer-Formel. Doch der erhoffte Hauptgewinn blieb aus.

Bis zu jenem Tag im August 1988, nach dem in Dunkens Leben nichts mehr so sein sollte wie zuvor.

Es ist ein Donnerstagabend, als Dunken mit einem Freund zum Millerntor fährt, Günter Netzer, inzwischen erfolgreicher TV-Rechtehändler, kickt dort mit der Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft, Ehrensache, dass Schotti dabei ist. Den Lottoschein hat er längst abgegeben, dennoch macht er spontan an der Lottobude am Rathaus noch einmal Station. „Der Günter hat doch Geburtstag, da schenke ich ihm einen Schein mit unseren Zahlen“, denkt er sich. Ausgerechnet Dunken, der vielleicht größte Netzer-Fan auf diesem Planeten, hat in der Vorfreude auf das Spiel den Geburtstag seines Idols um einen Monat vorverlegt. Nach dem Benefizspiel schlägt sich Dunken an den Spielfeldrand durch, drückt dem von Autogrammjägern umringten Netzer einen Briefumschlag mit dem Schein in die Hand: „Günter, für Dich, zum Geburtstag.“

Drei Tage später fährt Dunken zu einer Einweihungsparty eines Freundes, ausnahmsweise kann er die Tagesschau mit den Lotto-Zahlen nicht gucken. Gegen 21 Uhr ruft er aus dem Schlafzimmer seines Kumpels die Hotline der Lotto-Gesellschaft an, hört die Zahlenreihe auf dem Band. Dunken muss keinen Schein abgleichen, seine Netzer-Formel hat sich längst ins Hirn eingebrannt. Fünf Richtige mit Zusatzzahl. Dunken genehmigt sich einen Wodka, ruft eine Stunde später noch mal an, weil er es einfach nicht glauben kann. Dieselbe Ansage, dieselben Zahlen. Als Dunken die Party gegen zwei Uhr morgens verlässt, mischt sich in die Spannung auf die Quote, auf die Höhe des Gewinns, ein banger Gedanke: Was hat der Günter mit dem verdammten Schein gemacht? Hat er ihn weggeschmissen? Ist der gemeinsame Gewinn futsch?

Am Sonntag telefoniert Dunken quer durch die Schweiz, schaltet sogar die Polizei ein. Vergebens. Niemand will ihm Netzers Geheimnummer geben. Am Montag ruft Dunken dann beim HSV an, sagt, dass er als Journalist dringend die Telefonnummer von Netzer brauche – nur eine halbe Notlüge, für die „Welt“ hat er Jahre zuvor über Amateurfußball geschrieben. Und dann, endlich, erreicht Dunken sein Idol. Und sagt: „Günter, hier ist der Helmut aus Hamburg, ich bin der Typ, der dir am Millerntor den Lottoschein gegeben hat. Und stell dir vor, wir haben gewonnen. Fünf Richtige mit Zusatzzahl.“

Knapp 27 Jahre später ruft das Abendblatt bei Günter Netzer an, in dessen Büro im Schweizerischen Zug. Dunken? Helmut Dunken? Netzer schaltet sofort. Und sagt: „Das war nun wirklich die verrückteste Geschichte, die ich je erlebt habe.“

An das Telefonat mit dem Hamburger erinnert sich Netzer als wäre es gestern gewesen. „Mein erster Verdacht war, dass mich jemand reinlegen will. Versteckte Kamera oder so. Ich dachte, der Typ muss verrückt sein. Behauptet, er sei mein größter Fan und weiß nicht mal mein Geburtsdatum.“ Halbwegs überzeugt, sagt Netzer, habe ihn erst ein Blick in die Zeitung, der Abgleich mit den Zahlen.

Was das Problem mit dem Schein allerdings nicht mehr löste. Denn den hatte Netzer in der Tat schon zerrissen: „Ich hatte nie mit einem Gewinn gerechnet, zumal mich Lotto nicht wirklich interessiert hat.“ Mit zwei Mitarbeitern wühlte sich Netzer durch den Müll im Büro und puzzelte den Schein wieder zusammen. Denn weder er noch Dunken wussten, dass die Kopie des Scheins sicher verwahrt in der Lottozentrale lag.

Drei Tage mussten die beiden gebannt auf die Quoten warten. Dann stand fest, dass sich die Tippgemeinschaft knapp 151.000 Mark teilen durfte, Dunken selbst gewann mit seinem eigenen Tippschein mit den Netzer-Zahlen noch einmal 146.000 Mark. Insgesamt 221.000 Mark wurden auf das Sparbuch überwiesen, Dunken hatte nicht einmal ein Girokonto.

„Und dann“, sagt Dunken, „begann eine richtig geile Zeit.“

Nur eine Woche nach dem Fünfer-Glück mit Zusatzzahl lädt Netzer ihn und einen Freund ins feine Elysée-Hotel an die Rothenbaumchaussee, am Nachmittag spielen die Bayern im Volkspark, Netzer hat sogar VIP-Karten organisiert. Natürlich ist zunächst der Schein das große Thema. „Schotti, warum hast du die 16 nicht auch noch getippt?“, will Netzer wissen. Denn dann hätte es den ganz großen Schluck aus der Pulle gegeben, über drei Millionen Mark, für sechs Richtige mit Zusatzzahl. „Aber Günter, die 16 hat doch nichts mit Deinem Leben zu tun“, entgegnet Dunken. „Überleg mal, wie lange mein größter Erfolg zurückliegt, die Europameisterschaft: Genau 16 Jahre“, sagt Netzer.

Aber Dunken hat dennoch den Hauptgewinn gezogen. Das Idol und sein größter Fan. Endlich ein Team. Mit dem Taxi fahren die Lotto-Sieger vom Interconti in die Osteria Due beim Interconti, zum Promi-Italiener. Zum Nudeln mit Scampi essen. Genau wie einst Ernst Happel, die Trainer-Legende. Als Netzer noch Autogramme für den Taxifahrer schreibt, stapfen Dunken und sein Kumpel mit speckigen Lederjacken und abgewetzten Jeans schon mal ins Restaurant. Dort will man die beiden erst nicht reinlassen: „Aber Ihr könnt euch nicht vorstellen, was der Kellner für Augen gemacht hat, als der Günter plötzlich auf der Matte stand.“

Dann das Spiel gegen die Bayern im Volkspark, Ehrengastbereich, die einstigen Jungs aus der Kurve sind auf einmal eine ganz große Nummer. Irritiert beobachten die Honoratioren die seltsame Entourage des früheren HSV-Managers. „Die haben gedacht, wir wussten es doch immer, dass der Netzer ein seltsamer Vogel ist. Und jetzt ist er endgültig durchgedreht“, sagt Netzer.

Die Neider kann Dunken noch abwehren, an den Schnorrern kommt er nicht vorbei

Dass die Bayern an diesem Tag mit 1:0 im Volkspark siegen, ist Dunken völlig egal. Mit dem HSV hat er eh nicht mehr viel am Hut, längst ist er zum Rivalen St. Pauli konvertiert: „Da gab es noch richtiges Bier und nicht dieses alkoholfreie Zeug wie beim HSV.“

Dennoch leisten sich Dunken und sein Kumpel immer mal wieder HSV-VIP-Karten, Geld ist ja genug da. Sie kreuzen in St.-Pauli-Trikots im Ehrengastbereich auf, tapezieren die Toiletten mit gefakten Beileidsanzeigen des FC St. Pauli, als der große HSV zwischendurch in Abstiegsgefahr gerät. Mit dem Konkurrenten vom Kiez fährt Dunken durch die Republik, reist immer einen Tag vor den Spielen an, wohnt natürlich im Mannschaftshotel. Abends klönen mit Trainer Helmut Schulte und Torwart Volker Ippig, am nächsten Tag auf Top-Plätzen Fußball gucken, mehr geht nicht. Mit Schulte darf er sogar ins Fernsehen, in eine Fußball-Rateshow. Das Leben, es ist in diesen Monaten für Dunken ein einziger Rausch. „Mit so viel Kohle gehst du auch anders durch die Stadt“, sagt Dunken: „Wenn du beim Juwelier eine schöne Uhr siehst, nimmst du sie einfach mit.“ Seinen Eltern spendierte er eine Luxus-Rundreise für 20.000 Mark in die USA. Davon, sagt er, hätten Mama und Papa doch immer geträumt.

Und doch steckt Dunken mit seinem Lotto-Glück auch in einem Dilemma. Einerseits genießt er den Aufstieg zum VIP, andererseits fürchtet er den Ruhm. Dunken kennt schon durch seine Zeit als aktiver Kicker halb Hamburg. Und er weiß, wie seine Kumpels ticken. Fotografen, die Netzer und ihn ablichten wollen, wehrt er ab. Den Lotto-Chef, der den Gewinner mit dem Netzer-Tick unbedingt kennenlernen will, beschwört er, sogar die Initialen bei der Weitergabe des Gewinners an die Presse zu verändern. Aus Helmut D. wird Horst G.

Das Manöver nützt nichts. Als „Bild“ exklusiv „Armer Fan schenkt Netzer Lottoschein“ titelt, rufen die Kumpels im Minutentakt an: „Die wussten ja alle, dass dieser Netzer-Bekloppte nur ich sein konnte.“ Die Neider kann Dunken noch abwehren: „Sucht euch doch selbst einen Star und tippt dessen Zahlen.“ An den Schnorrern kommt er indes nicht vorbei. Dunken schmeißt Lokalrunden, löst Kumpels sogar im Bordell aus, großzügig war er ja schon immer. Vergebens warnt Netzer vor falschen Freunden, die ihn nur abzocken wollten. Irgendwann, sagt Dunken, „war die ganze Kohle dann leider weg.“

Der Lotto-König kehrte wieder zurück auf Anfang.

Haben ihm die fünf Richtigen mit Zusatzzahl am Ende doch kein Glück gebracht? „Tja“, sagt Dunken, „das kann man so sehen.“ Petra, seine große Liebe starb 1991 auf einer Rockerparty: „Sie wollte unbedingt die Nacht durchfeiern, ich war einfach zu müde und bin nach Hause. Sie hatte dann Stress mit einem Typen, der was von ihr wollte und ihr dann so eine gescheuert hat, dass sie das nicht überlebt hat.“ Netzer schickte einen Kranz, die Trauerschleife mit dem Aufdruck „Ein letzter Gruß von Günter“ hängt noch immer im Wohnzimmer.

Auch beruflich ging fortan alles schief. Ein paar Jahre arbeitete er noch als selbstständiger Fuger auf dem Bau: „Doch dann waren die Preise durch die Konkurrenten aus dem Osten so weit im Keller, dass es sich nicht mehr gelohnt hat.“ Dann die gesundheitlichen Probleme. Magengeschwüre, Durchblutungsstörungen. Vor zwei Jahren amputierten die Ärzte das linke Bein, mehrfach musste der entzündete Stumpf operiert werden.

Aber Dunken will nicht jammern. Dafür habe er ja auch richtig gute Zeiten erlebt. Allein die Nacht mit Günter Netzer nach einem Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft in Rotterdam im Spielcasino, wo sie natürlich die Netzer-Zahlen tippten. Inzwischen allerdings, gibt Dunken zu, sei das Verhältnis „ziemlich eingeschlafen“.

An seiner Netzer-Leidenschaft zerbrach sogar seine Fanliebe zum FC St. Pauli

Aber bitte, das sei auf keinen Fall ein Vorwurf, die Beziehung sei „ja nun in erster Linie geschäftlich“ gewesen. Das, sagt Dunken, habe er inzwischen kapiert. Kapieren müssen. Und ein Hauch von Bitterkeit und Enttäuschung schwingt in seiner Stimme mit.

Und dennoch lässt er auf sein Idol nichts kommen, stolz trägt er weiter das Gladbach-Emblem an einer ledernen Halskette. An seiner Netzer-Leidenschaft zerbrach 2002 sogar seine Fanfreundschaft zum FC St. Pauli. Da hatte doch glatt ein St.-Pauli-Anhänger gewagt, Dunken zu widersprechen, als der am Tresen seine Theorie auseinanderbreitete, dass die besten deutschen Fußballer aus Kriegszeiten gekommen seien. Wie Seeler, wie Overath. Und eben Netzer. Der Streit endete fast in eine Massenschlägerei, seitdem meidet Dunken das Millerntor.

Ohnehin kommt er ja kaum noch raus. Für ihn, der einst zu Fußball-Spielen durch Deutschland flog, ist die Treppe vom vierten Stock runter ins Erdgeschoss inzwischen ein fast unüberwindbares Hindernis. „Auf Krücken packe ich die Stufen nicht mehr“, sagt er. Zweimal am Tag huscht der Pflegedienst durch die 50 Quadratmeter große Zwei-Zimmer-Wohnung. Ein Kumpel kauft jeden Tag für ihn ein, „Bild“, Bier, ein paar Lebensmittel. Runter kommt er nur noch, wenn er zum Arzt muss. Oder ins Krankenhaus. Dann wuchten ihn zwei Sanitäter durchs Treppenhaus. Viele Freunde seien gestorben, „alle so um die 50, ich verstehe das nicht.“ Die Eltern sind schon lange tot, Elke, seine letzte Freundin, starb vor zwei Jahren nach zwei Schlaganfällen. Dunken schläft schlecht, Phantomschmerzen plagen. Meistens flimmert ab 5 Uhr morgens in seinem Wohnzimmer RTL 2.

Einer aus den alten Bundesliga-Tagen, immerhin, hält ihm noch die Treue. Helmut Schulte, beim FC St. Pauli einst Trainer und Manager. Die beiden telefonieren öfter, ab und an schaut Schulte vorbei. Wenn Schulte dann im vierten Stock klingelt, öffnet sich zugleich die Tür zu Dunkens alter Welt wieder einen Spalt. Schulte hockt sich auf das abgewetzte, mit Pflastern geflickte Sofa, während Dunken Kassette für Kassette in den betagten Grundig-Videorekorder schiebt.

Und für ein paar Stunden reisen die beiden zurück in die Vergangenheit, gucken sich große Netzer-Spiele an, Sportstudio-Auftritte Schultes und die gemeinsame Rateshow. Wie Dunken so richtig auf dem Schlauch stand, sich das Hirn zermarterte bei der Frage nach dem Spitznamen des ehemaligen HSV-Stars Hasan Salihamidzic – „Brazzo“, wie jeder HSV-Fan weiß – , um schließlich zu antworten: „Salami“. „Dann“, sagt Schulte, „schmeißen wir uns vor Lachen weg.“

Seine Wohnung ist für Dunken Gefängnis und Zuflucht zugleich

Zwischendurch wird Schulte immer ernst, mahnt: „Schotti, du musst raus aus dieser Bude, damit du auch mal wieder ohne Probleme in deinem Rollstuhl vor die Tür kannst.“ Einen Antrag auf eine behindertengerechte Wohnung hat Dunken gestellt, aber eigentlich will er nicht weg: „Der Mensch ist ja auch ein Gewohnheitstier.“ Und Dunken weiß genau, dass das Sammelsurium aus Zeitungen, Bildern, Tickets und Gläsern, dieses ebenso verstaubte wie chaotische Museum seiner Erinnerungen einen Umzug nicht überleben würde. Die 50 Quadratmeter im vierten Stock für 400 Euro kalt, sie sind für Dunken Gefängnis und Zuflucht zugleich. Als beim Abendblatt-Besuch ein Kissen auf dem Sofa verrutscht, mahnt Dunken sofort: „Kannst du das bitte wieder richtig hinlegen.“ Beim Abschied fällt im Flur der Blick noch einmal auf die vielen Jackpot-Poster, die die Lottobude um die Ecke Dunken spendiert hat. Er ist ja nach wie vor einer der besten Kunden. Rund 150Euro seiner Frührente von 1000 Euro investiert Dunken jeden Monat in seinen großen Traum. Bescheiden im Vergleich zu früher. Zwei Millionen Kästchen, sagt Dunken, werden es im Laufe seines langen Tipper-Lebens schon gewesen sein. Er fischt stolz ein Foto aus seinem Portemonnaie, das einen Berg Tausender Tippscheinen auf einem Heizkörper zeigt, Dunken bewahrte über Jahre sogar die Nieten auf. „Andere fahren Auto, ich habe Lotto“, sagt Dunken trotzig.

Allein, die Netzer-Formel will nicht mehr so recht funktionieren. Sicher, zweimal gewann er noch ein paar Tausend Euro, Kopien der Schecks hängen an der Wand. Aber irgendwie kommen immer die falschen Zahlen. Genau wie bei seinem Vater, der angefixt vom Erfolg seines Sohnes über Jahre manisch die Kennziffern seines Idols Wolfgang Overath tippte.

Nein, dieser Fünfer mit Zusatzzahl wird ein einmaliger Coup bleiben. Und damit das Lotto-Glück vom kleinen Schotti. Und dem großen Netzer.