Innenarchitekt und Designer Klaus Neumann kann oft nur erahnen, wie seine Kunden Wohnungen, Büros oder Läden gestaltet haben wollen. Was ihm dabei hilft und warum er Mohammed Atta kannte.

Schwarz-Weiß-Fotografien von Herbert Tobias dominieren die Wände des Wohnzimmers. Klaus Neumann steht in der Mitte des Raumes, blickt nachdenklich auf die Bilder des Hamburger Fotografen. Auf einem spaziert ein Paar an einem zerbombten Haus vorüber. „Herbert Tobias ist derselbe Jahrgang wie mein Vater“, erzählt Neumann. So, als müsste das als Begründung reichen, warum er diese Fotografien liebt.

Nach eine kleine Pause wird er dann doch etwas deutlicher. „Mich interessiert, wie die Generation meiner Eltern mit dem Desaster ‚Zweiter Weltkrieg‘ umgegangen ist.“ Und Herbert Tobias habe es abgebildet, dieses Desaster. „Einfach aufgenommen, sich umgeschaut.“ Diesen Blick habe er beibehalten, sagt Klaus Neumann. „Herbert Tobias war immer so ein Rebell, das hat mich fasziniert. Denn rebellisch war ich nie.“

Wer vor Klaus Neumann steht, muss zu ihm aufschauen. Der 52-Jährige ist sehr groß. Zwei Meter und einen Zentimeter, um genau zu sein. Körperlich große Menschen wirken immer beeindruckend. Dafür können sie nichts. Bei Klaus Neumann steht seine Größe jedoch im Widerspruch zu seiner Zurückhaltung. Wenn er antwortet, tut er das überlegt. Wie jemand, dessen oberste Priorität nicht darin besteht, sich in den Vordergrund zu drängen. Klaus Neumann ist ein leiser Mensch.

Im Jahr 2000 hat er zusammen mit einer Geschäftspartnerin das Unternehmen artifact hamburg gegründet. „Ich beschäftige mich mit Räumen“, sagt er in einem Tonfall, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, fügt dann aber erklärend hinzu: „Ich richte Wohnungen, Büros oder Läden ein. Und wenn jemand einen speziellen Küchentisch benötigt, dann designe ich den für ihn.“

Was auf den ersten Blick wie das Leben eines Künstlers wirkt, der vor allem in seiner eigenen Welt lebt, ist auf den zweiten Blick weit weniger spektakulär und hat in erster Linie mit Einfühlungsvermögen zu tun. „Es reicht nicht, meinen Kunden genau zuzuhören.“ Oft hätten diese nur eine vage Vorstellung von dem, was sie wollten. „Manchmal ist es eine Nebenbemerkung, die mir hilft. Manchmal ein Ahnung. Und manchmal ist es einfach Intuition.“

Wer in der Dienstleistungsbranche geschäftlich aktiv ist, weiß, wie viel Sensibilität im Umgang mit Kunden notwendig ist. Klaus Neumann wirkt auf andere Menschen angenehm. Er drängt sich nicht in den Vordergrund und schafft so eine vertrauliche Atmosphäre. „Oft sind mir meine Kunden auch persönlich angenehm. Das hilft mir, herauszufinden, was sie wollen.“

Womöglich liegt diese besondere „Sensibilität“ auch daran, dass Klaus Neumann eine Grenze zieht. Er vergisst nie, dass er ein Auftragswerk erstellt. „Der Kunde redet mit mir, und ich versuche, mich in ihn hineinzuversetzen.“ Ja! Aber es gehe ihm in erster Linie nicht darum, sich selbst zu verwirklichen, auch wenn viel von ihm in jeder Arbeit drinstecke.

„In dem Moment, wo ich das Projekt beendet habe, gebe ich es ab. Dann habe ich damit nichts mehr zu tun.“ Die Frage, ob es ihm am Ende als Designer oder Innenarchitekt hundertprozentig gefalle, stelle sich nicht. „Es ist ja nicht meines. Der Kunde hat es gekauft, es ist etwas, das er möchte und das ihm gefällt.“

Vielleicht ist es diese Bodenständigkeit, die es Klaus Neumann ermöglicht, sich immer wieder auf neue, andere Vorstellungen – die seiner Kunden – einzulassen. Der 52-Jährige zuckt mit den Schultern. „Zuhören können ist sicher eine meiner Stärken.“ Kompromisslos ist er dagegen bei der handwerklichen Qualität. „Ein Tisch muss nicht nur in den Raum passen, sondern auch alltagstauglich und sauber gearbeitet sein.“

Neumanns Bodenständigkeit rührt möglicherweise vom Beruf seines Vaters her. „Wir lebten damals in Worms, und er war Gerichtsvollzieher.“ Da das Büro im Hause seiner Familie lag und Schuldner wie Gläubiger dort ihre Aufwartung machten, wurde der junge Klaus mit „viel Elend“ konfrontiert, wie er sagt. „Manchmal kam ich nach Hause, und da saß meine Mutter mit einer fremden Mutter und deren Kindern in unserem Wohnzimmer, und alle weinten.“

Solche Erlebnisse prägten ihn und machten ihm schon früh deutlich, „dass man auch unverschuldet in eine schwierige Situation kommen kann“. Klaus Neumann entwickelte in jenen Jahren Sensibilität für das Schicksal anderer. So kann er heute kein Verständnis für jene aufbringen, die gegen Flüchtlinge auf die Straße gehen. „Es ist gar nicht die Dummheit, die mich stört, sondern die Engstirnigkeit, die verhindert, dass jemand sich in das Schicksal eines anderen hineinversetzen kann.“

Neben den schrecklichen Momenten erlebte er aber auch, wie der Vater für viele der Schuldner gekämpft hat. „Oft haben ein paar Wochen Aufschub gereicht, um die Menschen aus der bedrohlichen Situation herauszuholen – auch das war bei uns präsent.“

Angesichts dieser Erlebnisse könnte man meinen, dass Klaus Neumann einen Beruf im Sozialbereich angestrebt hätte. Stattdessen hat vieles in seinem Leben mit dem zufälligen Lauf der Dinge zu tun. „Ich habe oft das gemacht, was sich gerade ergab.“ Das Besondere allerdings war: „Was ich dann machte, habe ich mit ganzer Kraft durchgezogen.“

Zu seiner Tischlerlehre kam er, weil er die Lehrstelle als Kaufmann nicht bekam und auch das Angebot des Arbeitsamtes, als Schaufensterdekorateur zu arbeiten, am Ende nicht zustande kam. Um so mehr faszinierte ihn in der Lehre die Möglichkeit, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen. „Holz ist ein schönes Material, bei dessen Bearbeitung man rasch das Ergebnis seiner Arbeit sieht.“ In jener Zeit entdeckte Klaus Neumann sein Faible für Möbelstücke, vor allem für jene, die aus Skandinavien stammen. „Ich hätte fast eine Ausbildung in Kopenhagen angefangen, doch dann verließ mich der Mut.“

Vor allem aber lernte Neumann in seiner Tischlerlehre, was die Qualität eines Möbelstücks ausmacht „Es geht um die Genauigkeit von Millimetern und um eine exakte Planung, damit am Ende auch das herauskommt, was man sich am Anfang vorstellte. Beim Tischlern darf man nicht viel falsch machen, sonst wird es nichts.“

Nach seiner Lehre holte Klaus Neumann das Fachabitur nach, absolvierte danach seinen Zivildienst, studierte in Mainz Architektur und schließlich an der TU Harburg Stadtplanung. Wie schon früher war es auch diesmal nicht der ganz große Plan, den er verfolgte. Aber er spürte, dass er auf dem richtigen Weg war.

Ein Weg übrigens, der ihn mit einem Menschen zusammenbrachte, der als Terrorist und einer der Attentäter des 11. September 2001 weltbekannt werden sollte. „An der TU Harburg arbeitete ich in den 90er-Jahren ein Jahr lang in einer Projektgruppe mit Mohammed Atta zusammen“, erzählt Klaus Neumann. Atta sei ein „unglaublich intelligenter Mensch“ gewesen, der die „deutsche Sprache innerhalb kürzester Zeit in Wort und Schrift“ beherrschte. Allerdings sei ihm damals auch aufgefallen, wie empfindlich der Ägypter darauf reagiert habe, wenn innerhalb der Arbeitsgruppe Kritik geäußert wurde. „Diese bezog er unnötigerweise ganz schnell auf sich.“

Als er dann von der Beteiligung Attas an den Terroranschlägen in New York hörte, sei er geschockt gewesen. „Für mich war unvorstellbar, dass jemand so etwas überhaupt macht und man denjenigen auch noch kennt.“ Zumal Neumann eine wichtige Eigenschaft seines Vaters geerbt hat: „Mein Vater mochte die Menschen und hatte immer Vertrauen zu ihnen.“

Nach seiner Zeit in Harburg arbeitete Klaus Neumann bei dem Hamburger Bühnenbildner Raimund Bauer als Assistent. Er erstellte die Zeichnungen und baute Modelle für Aufführungen in Chicago, San Francisco, London und Zürich. „Ein Bühnenbild hat immer mit Raum zu tun, und als Architekt hatte ich gelernt, mir Räume zweidimensional vorzustellen.“

Wenn Neumann sich über den Grundriss einer Wohnung oder eines Büro beugt, entsteht vor seinem geistige Auge, wie der Raum aussieht und welche Möglichkeiten der Gestaltung er bietet. „Ich weiß, dass Kunden das oft nicht können und habe mir deshalb angewöhnt, stets ein Modell zu bauen. Das habe ich bei der Bühne gelernt.“

Der Schritt in die Selbstständigkeit ergab sich fast beiläufig. „Neben meiner Tätigkeit als Bühnenbildner gestaltete ich auf dem Friedhof Ohlsdorf die Gedenkstätte für Menschen, die an Aids gestorben waren und entwarf zudem ein größeres Familiengrabmal.“ Später gestaltete er mehrere Schaufenster und Einkaufspassagen.

Die Arbeit als Selbstständiger sei nicht planbar, sagt Klaus Neumann. „Am Anfang beunruhigte mich das, schließlich gab es in meiner Familie immer nur Beamte mit einem geregelten Einkommen.“ Inzwischen habe er sich daran gewöhnt, zumal seine Dienste über Mundpropaganda mehr und mehr nachgefragt werden.

„Ich will einen Auftrag stets gut zu Ende bringen“, beschreibt Klaus Neumann das, was ihn antreibt. Reibereien mit Handwerkern bleiben da genauso wenig aus wie die Tatsache, dass Geld am Ende immer ein limitierender Faktor ist. „Selbst wenn der Kunde am Anfang sagt: ‚Geld spielt keine Rolle.’“

Dabei lächelt er. Aber einen schöneren Beruf kann er sich nicht vorstellen. Trotz der fehlenden Planbarkeit? „Es war immer jemand da in meinem Leben“, sagt er und fügt hinzu: „Das gibt Sicherheit.“

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbild gelten. Klaus Neumann bekam den Faden von Sabine Falkenhagen und gibt ihn an Boris Herrmann weiter