Der Eimsbütteler TV feiert 125-jähriges Bestehen. Andreas Hardt erinnert an die Glanzzeiten der Fußballabteilung, als diese eine nationale Größe war und sogar Schalke 04 (3:2) und den Lokalrivalen HSV (8:3) besiegen konnte.

Das Banner am Dach der Tennishalle verbleicht schon. „125 Jahre ETV“ steht darauf. Sehen kann man die Schrift kaum, wenn man vor den Umkleideräumen steht und Richtung Fußballplatz schaut. Bei Marion und Jürgen in der Clubkneipe Attacke gibt es frische Frikadellen, „reines Rinderhack“, sagt Marion, außerdem Bier und Wurst, 2,30 Euro. Die Landesligakicker des Eimsbütteler TV kämpfen am Lokstedter Steindamm um den Klassenerhalt in der Hammonia-Staffel, etwa 80 Zuschauer sind dabei, einige sind vom Gegner aus Osdorf mitgekommen. „1:0 für den HSV“, ruft Jürgen raus, „Calhanoglu“. Gute Kunde aus Stellingen, aus einer anderen Fußballwelt. Für die hat man hier noch Interesse, aber längst nichts mehr mit ihr gemeinsam. Das war mal anders.

Am 29. April 1934 war in der Zwischenrunde zur Deutschen Meisterschaft Schalke 04 zu Gast beim ETV. Mit Ernst Kuzorra und Fritz Szepan, mit Ötte Tibulski und Ata Urban. Die Knappen, die das folgende Jahrzehnt fußballerisch dominieren sollten mit ihrem flinken Kreiselspiel. Über 10.000 Zuschauer kamen zu dem Spiel ins benachbarte Altona, wohin der ETV ausgewichen war. Nach neun Minuten bereits lagen die Gäste mit 2:0 durch Tore von Ernst Kalwitzki und Szepan in Führung. Doch die Abwehr um Nationalspieler „Ebbe“ Stührk fing sich, der Angriff wurde immer besser. In der zweiten Halbzeit übten die Hamburger Dauerdruck aus. „Das Publikum rast“, notierte die Zeitung „Fußball“. Otto Rohwedder (51. und 61.) glich aus, ehe Willi Reuter zwei Minuten vor Abpfiff tatsächlich der Siegtreffer zum 3:2 gelang. „Eimsbüttel bläst den Schalker Knappen das Licht aus“, heißt es in der zeitgenössischen Berichterstattung. Nicht ganz... Schalke gewann die Gruppe, wurde in der Folge erstmals deutscher Meister und holte den Titel bis 1942 weitere fünfmal.

Dort, wo heute die Tennishalle steht, wo der Autoverkehr Richtung Niendorf in den Feierabend rauscht und das Spielfeld hinter dem kleinen Parkplatz kaum noch zu erkennen ist, dort hat der ETV seit 1911 seine Fußballheimat. Zur Einweihung der Tribüne war am 1. August 1920 der 1. FC Nürnberg zu Gast und gewann mit 3:2. Dass nun am 14. Mai der FC St. Pauli zum „Jubiläumsspiel“ vorbeischaut, ist eine nette Verbeugung vor einem ehemals mehr als gleichwertigen Lokalrivalen.

Zwischen 1934 und 1943 hatten die Eimsbütteler fünfmal die Meisterschaft der Gauliga Nordmark gewonnen. Der HSV gewann in dieser Zeit nur viermal den Titel, und nur der Gauliga-Meister nahm an der Endrunde zur Deutschen Meisterschaft teil, die zunächst in vier Vierergruppen ausgespielt wurde. Sage und schreibe 8:3 siegte der ETV im Dezember 1934 gegen den HSV. „Solch einen Jubel hat der Hoheluft-Platz lange nicht erlebt“, hieß es im Magazin „Fußball“. Die „Rothemden“ aus Eimsbüttel waren eine Macht in Hamburg, mit Spielern aus der Nachbarschaft, eine „goldene Generation“. Hans Rohde, Otto Rohwedder, Erwin Stührk und Herbert Panse wurden sogar in die Nationalelf berufen. Nach dem Krieg, in dem die Tribüne schwer beschädigt wurde, spielten die Eimsbütteler zwar zwischen 1948 und 1956 noch erstklassig in der Oberliga, nach dem Abstieg aber war es vorbei. Die zunehmende Professionalisierung konnten (und wollten) die Vereinsverantwortlichen nicht mitmachen. Es ging stetig bergab.

Als ein Sponsor sich zurückzog, fiel die Mannschaft auseinander

20.000 Zuschauer passten einst in das Stadion. Stehplatzwälle umfassten das Spielfeld. Sie sind noch zu sehen, wenn man genau hinschaut. Einer trennt den Platz Richtung Butenfeld ab, Reste des anderen sind am Lokstedter Steindamm zu erkennen, mit „wildem Baumbewuchs“, der nicht abgeholzt werden durfte, als der Verein Mitte der 80er-Jahre hier seine Tennishalle baute. Da war die Entscheidung gegen Spitzenfußball längst gefallen.

Der ETV mit seinen rund 12.000 Mitgliedern, die das Vereinsjubiläum am 23. Mai mit einer Party im Gebäude an der Bundesstraße feiern, war stets ein Verein mit vielen Abteilungen, wobei die Turner immer die Majorität stellten. „Ich kann eine besondere finanzielle Förderung der Fußballer den Mitgliedern anderer Abteilungen, die auch ambitioniert Sport treiben, nicht plausibel erklären“, sagt der heutige Vereinsvorsitzende Frank Fechner. Das ist eine klare Absage an hochklassigen Fußball, eine Haltung, die seit 50 Jahren gilt. Zwischen 1999 und 2003 spielte die Mannschaft noch einmal in der viertklassigen Oberliga, aber nur, weil ein Sponsor viel Geld ausgab. Als der sich zurückzog, fiel auch die Mannschaft auseinander.

Zuletzt sorgten die Fußballer des ETV im Sommer 2011 für Aufmerksamkeit, als sie die Hauptrunde des DFB-Pokals erreichten. Als das Spiel gegen Greuther Fürth (0:10) aber anstand, hatte praktisch die gesamte Mannschaft den Verein verlassen, weil es Ärger um die Aufteilung der 110.000 Euro Garantie-Einnahmen gab. Das Team wollte einen Bonus von 25.000 Euro, Fechner und der Vorstand verweigerten das. Die Politik heißt eben Breite statt Spitze. Gegenwart und Zukunft der Fußballer sind die Jugend und die Frauen. Rund 900 jugendliche Fußball-Mitglieder gibt und etwa 180 Erwachsene. Seit fünf Jahren sind auch weibliche Kicker dabei, der Erfolg ist gewaltig. „Auf gutem Weg“ sieht Flemming Nielsen, der Abteilungs-Vorsitzende, auch deshalb die ETV-Fußballer.

Das eingangs erwähnte Spiel in der Landesliga gegen TuS Osdorf ging übrigens mit 1:6 verloren. „Wenigstens kämpfen könntet ihr“, fordert ein Rentner. Dann holt er bei Marion noch ein Bier. Die Ligamannschaft des ETV wird im Jahr des Vereinsjubiläums tatsächlich siebtklassig. Es stört nur wenige.