Dagmar König verkauft Möbel und Accessoires und bringt so Farbe in den Alltag der Menschen. Aber in ihrem Geschäft wird nicht nur verkauft sondern auch musiziert und gefeiert. Jan Haarmeyer hat sie in ihrem Königreich besucht.
Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbildgelten. Dagmar König bekam den Faden von Ivano Bertazzo und gibt ihn an Ina Hattebier weiter
Was macht denn die Frau da oben auf der roten Kommode? Der Kunde ist ein wenig irritiert, als er den Laden in der Ottensener Friedensallee betritt und Dagmar König entdeckt. Die zierliche Dame thront fröhlich auf einem blauen Stuhl, und den hat der Abendblatt-Fotograf auf ein rustikales altes Möbelstück gestellt. Davon gibt es in diesen Räumen eine ganze Menge. Tische und Teller, Sitze und Sofas, Leuchten und Lampenschirme, Stühle und Schränke, Kissen und Küchenutensilien. In jeder Form und in jeder Farbe. Nur ist hier alles etwas schräger und bunter und eigenwilliger als anderswo. Und deshalb sorgt auch die Frau auf der Kommode bei dem Besucher nicht wirklich für größeres Erstaunen. Der Kunde will nur einmal schauen, ob die beiden Leuchter, die er sich letzte Woche zum Kauf ausgesucht hat, noch da sind. Ja, sind sie.
Hier roch es mal sehr intensiv nach Fett und Motoröl. Über viele Jahre lang wurden in diesen alten Hallen in Ottensen Autos und Motorräder repariert. Als Dagmar König den Laden vor drei Jahren übernommen hat, haben sie die zwei großen Räume in mühevoller Arbeit restauriert. Ein komplett neuer Holzfußboden wurde gelegt, einige Türen und Fenster entfernt, die Steinwände bekamen einen hellen Anstrich, offene Rundbögen schufen neue Freiräume. Es dauerte vier Monate, bevor das Königreich in Altona fertig war.
An diesem Ort war auch mal ein Kühne-Reich. Vor mehr als 100 Jahren ließ Wilhelm Kühne hier an der Friedensallee Senf produzieren. Vorne zur Straße hin hausten die Arbeiter in kleinen Wohnungen, hinten im Hof waren die Lagerstätten. An dieser geschichtsträchtigen Hamburger Stätte ging es stets um Handel und Wandel. Und nun hat auch noch die Kultur Einzug gehalten. Genauer gesagt: die französische Kultur. Davon zeugt gleich vorne am Eingang ein kleiner blauer Eiffelturm, der als Lampe dient.
Als Dagmar König vier Jahre alt ist und bei ihrem Vater auf dem Schoß sitzt, will er von seinem kleinen Mädchen wissen, was es später einmal werden will. „Ich habe meinem Vater gesagt, dass ich entweder einmal ein eigenes Hotel haben werde – oder dass ich den Leuten dabei helfen werde, ihre Wohnungen einzurichten“, sagt sie. Sie wächst in Blankenese auf, geht dort aufs Gymnasium. Ihre Mutter ist zu Hause und immer für sie und ihre Schwester da. „Das war ganz großartig.“
An Frankreich faszinieren sie Freiheit, Frivolität und Farbenfreude
Ihr Vater ist Fleischimporteur, er reist viel nach Südamerika, Afrika, Australien. Mit 25 Jahren begleitet Dagmar König ihren Vater nach Argentinien. Sie fahren zusammen nach Buenos Aires. „Ich musste einmal wissen, wo mein Vater war, wenn er weg war.“ Sie ist ziemlich überrascht. „Ich dachte, bei den Leuten, die in der Fleischbranche arbeiten, handelt es sich um gröbere Naturen.“ Sie lernt sehr kultivierte Menschen kennen, die sich trotz ihrer Arbeit vor den Tieren verneigen. „Das ist heute in Argentinien sicherlich auch nicht mehr so.“ Aber sie ist froh, dass sie das kennenlernen durfte. Fast 30 Jahre ist das her.
Dagmar König macht nach dem Abitur eine Hotelfachlehre im Vier Jahreszeiten. Eine wunderbare Menschenschule sei das gewesen. Sie lernt, „dass Geld nicht immer den Charakter verdirbt“. Es gebe sehr viel reiche Menschen, die nicht viel Aufhebens um sich machen. Stille und bescheidene Leute. Bis heute ist die Liebe zu den Menschen ihre Triebfeder, sagt sie. Nach einem Touristik-Studium in München arbeitet sie noch vier Jahre in der bayerischen Landeshauptstadt, bevor sie an die Elbe zurückkehrt und in einem Einrichtungsgeschäft arbeitet. Zwei Jahre später nimmt sie einen Kredit in Höhe von 60.000 Mark auf und eröffnet in der Waitzstraße ihr erstes Königreich.
Sie verkauft Möbel und Accessoires – und entdeckt auf den Messen in Paris allmählich ihre Liebe zu Frankreich. Was sie an dem Nachbarland so fasziniert? „Die Freiheit, die Frivolität und die Farbenfreude.“ Diese Lebenseinstellung, sagt sie, entspreche auch ihrem Wesen. Sie lässt sich inspirieren von den Franzosen, die in der Gestaltung sehr viel mutiger, freier und opulenter seien als die Menschen hierzulande. „In Frankreich ist bei der Einrichtung von Wohnungen viel mehr erlaubt als in Deutschland“, sagt sie. Ein uralter Tisch und eine supermoderne Lampe – kein Problem. Ein alter Werkstattstuhl, knallrot gestrichen und für den heimischen Wohnzimmertisch einfach etwas reduziert – warum nicht?
Und Dagmar König mag genau das. Etwas ausprobieren, mutig sein, losleben. Sie sei sehr bedacht und kein Schnellschießer, sagt sie. „Aber im Leben zu wachsen, das geht nur, wenn man was wagt.“ So sei das ja auch mit Beziehungen, die man eingeht, obwohl man nicht weiß, ob daraus was wird.
Als sie im Abendblatt die Anzeige mit der zu vermietenden Autowerkstatt gelesen hat, griff sie zu. Hat eine große Küche im hinteren Raum einbauen lassen, um auch Veranstaltungen durchzuführen. Möbel verkaufen, Räume vermieten oder selbst dort wohnen – sie hat das offengelassen. Mal sehen, wie sich das Königreich entwickelt.
Was ist das Schöne daran, den Menschen beim Einrichten zu helfen? „Das Zuhause ist doch der wichtigste Lebensraum“, sagt sie. Was gebe es Tolleres, als den Leuten Anregungen zum Wohlfühlen zu geben. Sie versuche immer, den Kunden zu helfen, ihren eigenen Stil zu finden. Das ist ihr ganz wichtig. Sie will niemandem etwas aufdrängen. Sie will sich erst einmal rantasten an das, was die Leute selbst möchten.
Daraus entwickeln sich im Laufe der Jahre oft engere Beziehungen. Kinder, Taufen, Scheidungen – manchmal geht es dann auch darum, wie man sich in seinem Leben einrichten kann.
Am Sonnabend werden vor den Laden im Hof Tische und Stühle rausgestellt, dann gibt es französischen Kaffee und Apfelkuchen aus der Normandie. Immer mehr Menschen kommen zu ihr und fragen sie, ob sie hier nicht ihre Hochzeit oder Konfirmation, ihren Geburtstag oder Firmenfeste feiern können. Dann werden nicht etwa alle Möbel zur Seite gestellt, sondern nur die Tische abgedeckt und neu geschmückt. „Die Leute lieben diese Wohnzimmeratmosphäre.“
Einmal im Monat gibt es Caféhaus-Musik und Chansons, Swing vom Cafe Royal Salonorchester oder Akkordeonmusik von Arne Gloe mit Wein und französischen Köstlichkeiten. Hamburg, sagt sie, könne mehr davon vertragen. Würde gerne Kulturstadt sein, sei aber immer noch eher Handelsstadt. So gerade, so praktisch, so preisbewusst. Alles müsse sich rechnen. So mancher komme in den Laden, schleiche um einen Schrank herum, frage nach dem Preis und schaue, ob da nicht noch irgendwo eine Schramme sei.
Diese deutsche Gründlichkeit hat auch ihr zu schaffen gemacht. Sie ist immer an und auch über ihre Grenzen gegangen. War ein Arbeitstier und dachte, sie sei „ein Alles- und ein Ewigkönner“. Bis es nicht mehr ging. Woher dieser Druck kam, den sie sich ständig gemacht hat, weiß sie nicht so recht. „Als Kinder hatten wir alle Freiheiten, nach der Schule konnten wir machen, was wir wollten, unsere Eltern haben uns in allem unterstützt“, sagt sie. Vielleicht war es die Selbstständigkeit, die Möglichkeit zu scheitern. Existenzängste. „Ja klar“, sagt sie, „obwohl sich das ja häufig nur im Kopf abspielt.“
Nach einer längeren Krankheit war ihre Schwester an ihrer Seite. Und weil sie so froh war, dass da jemand gewesen ist, der sie wieder ins Leben reingestellt hat, macht sie das jetzt auch. „In einem ganz kleinen Rahmen“, fügt sie schnell hinzu. Sie hat das in einem Schweizer Hotel gesehen, in dem Frauen angestellt waren, die in kritischen Lebensumständen waren und sich behutsam und freundlich wieder an den Alltag rangetastet haben. Nun arbeiten auch im Königreich einige Frauen still vor sich hin, streichen Möbel, helfen bei Veranstaltungen, haben eine Aufgabe und versuchen wieder Tritt zu fassen.
„Es ist manchmal ein langer Weg, bis man gelernt hat, gut mit sich selbst umzugehen“, sagt Dagmar König. Sie hat Kurse zur Stressbewältigung besucht, und es lässt sie nicht kalt, dass da manchmal schon 24-Jährige sitzen, die mit dem täglichen Druck nicht mehr alleine umgehen können und sich Hilfe auf ihrem Weg holen müssen.
Auf ihrem Weg ist seit fünf Jahren Tonci an ihrer Seite. Er kommt aus Kroatien und teilt mit ihr die Liebe zu den Farben, zur Kunst – und zum Tangotanzen. Nächstes Jahr soll Hochzeit sein. Damit das Königreich dann auch einen König hat.