Vor 25 Jahren ermöglichte die Nobelpreisträgerin Mutter Teresa ein Obdachlosenhaus in Hamburg, indem sie dafür fünf Schwestern ihres Ordens zur Verfügung stellte. Oliver Schirg hat die Geschichte von Haus Bethlehem aufgeschrieben.

Das Gebäude ist ziemlich unscheinbar, doch sein Name verheißt so etwas wie Hilfe, Aufnahme, Geborgenheit. Und tatsächlich: Das Haus Bethlehem in der Budapester Straße, ein paar Steinwürfe von der Reeperbahn entfernt, bietet in Not geratenen Frauen – und im Winter auch obdachlosen Männer – Unterkunft. Dass es das Haus überhaupt gibt, hat Hamburg dem Engagement einiger seiner Bürger zu verdanken – und Mutter Teresa. „Ich habe kein Gold und kein Silber, um es euch zu geben, aber ich gebe euch meine Ordensschwestern“, sagte die Friedensnobelpreisträgerin bei einem Besuch in der Hansestadt vor 25 Jahren. „Denn in diesem wunderschönen Hamburg soll sich kein Mann, keine Frau und kein Kind mehr unerwünscht fühlen.“

Als nicht zuletzt wegen der Wirtschaftskrise Ende der 80er-Jahre die Zahl der Obdachlosen in Deutschland und eben auch in Hamburg deutlich zunahm, gründeten Pfarrer Joachim von Stockhausen aus Bramfeld und Mitglieder seiner Gemeinde im Februar 1989 den Verein Haus Bethlehem. Er wollte ein „Hotel zum Nulltarif“ für Menschen in Not errichten. Von Anfang an war der Hamburger Unternehmer Eugen Block dabei. „Bei der Einweihung des Hotels Elysée habe ich ihm gesagt: Nun müssen Sie uns helfen, ein Heim für Obdachlose zu schaffen“, erzählte Stockhausen später. Block zögerte nicht und sorgte für eine finanzielle Grundlage.

Allerdings hätte die Idee kaum Chance auf Umsetzung gehabt, wenn es nicht prominente Mitstreiter gegeben hätte. Uwe Bernzen, Landesleiter des Malteser Hilfsdienstes, Dieter Ackermann vom Sozialdienst Katholischer Männer und der Gefangenen-Seelsorger Pfarrer Josef Stallkamp unterstützten das Projekt. Ehrenamtliche Mitarbeiter aus beiden Kirchen sollten eine nächtliche Betreuung der Obdachlosen übernehmen. Schnell war aber klar, dass eine derartige Aufgabe nicht mit Freiwilligen zu bewältigen sein dürfte.

Daraufhin lud Stockhausen Mutter Teresa ein, Hamburg zu besuchen. Der „Engel der Armen“, 1979 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, hatte schon so manche Obdachloseneinrichtung unterstützt, indem Schwestern ihrer Kongregation „Missionare der Nächstenliebe“ dort ihren Dienst tun.

Als Mutter Teresa Anfang April 1989 die Hansestadt besucht, erlebt sie einen herzlichen Empfang. „Wir haben ihr vier Orte gezeigt, an denen das Obdachlosenheim entstehen könnte“, erinnert sich Dieter Ackermann. „Als wir vor dem Gebäude in der Budapester Straße standen, entschied sie: Das sei der richtige Ort.“

Für die Vereinsmitglieder ist die Zusage von Mutter Teresa, vier bis fünf Schwestern in den Dienst des Obdachlosenhauses zu stellen, der Startschuss. Der Verein kauft das Mehrfamilienhaus, sucht und findet für dessen Bewohner bezahlbare Ersatzwohnungen. „Einer unserer Spender kaufte einer Familie mit drei Kindern sogar ein Reihenhaus“, erzählt Ackermann.

Als im November 1989 der Eiserne Vorhang fällt, machen sich Zehntausende Ostdeutsche auf den Weg nach Hamburg, um hier ihr Glück zu suchen. Nicht alle finden es, viele stranden und landen auf der Straße. „Es war wie eine Welle, die über Hamburg schwappte“, erzählt Dieter Ackermann. „Mit einem Mal gab es eine Vielzahl mehr Menschen, die nachts kein Dach über dem Kopf hatten.“

Der Verein Haus Bethlehem ist gerade dabei, das Haus in der Budapester Straße herzurichten, als das Bezirksamt Hamburg-Mitte querschießt und dem Verein Zweckentfremdung von Wohnraum vorwirft. Der Verein wird aufgefordert, einen Antrag auf Zweckentfremdung zu stellen. Allerdings wird den Verantwortlichen signalisiert, dass angesichts der herrschenden Wohnungsnot so ein Antrag nicht genehmigt werde. Später verläuft dieser Streit zwar im Sande, aber er wiederholt sich nur ein paar Jahre später. Den Vereinsmitgliedern wird rasch klar, dass der Erhalt des bestehenden Klinkergebäudes auf Dauer zu teuer wird. „Wir stellten 1995 einen Abriss- und Neubauantrag", erzählt Dieter Ackermann. Dieses Mal sind vor Ort lebende Politiker von SPD und CDU dagegen. Sie fürchten, dass ein Obdachlosenheim das Viertel belasten würde, und lehnen das Projekt zunächst ab.

Selbst Interventionen beim damaligen Ersten Bürgermeister Henning Voscherau und Senator Thomas Mirow (beide SPD) hätten zunächst nicht gefruchtet, erzählt Ackermann. Die Anträge des Vereins werden mehrfach abgelehnt. „Wir haben dann in der SPD-Bürgerschaftsfraktion für den Neubau geworben und konnten die Politik überzeugen.“ Im Oktober 1997 feiert der Verein Richtfest für das neue Gebäude; 1998 wird es eröffnet.

In den 25 Jahren seit der Zusage von Mutter Teresa hat der Verein keinen Cent vom Staat erhalten. Doch es wird immer schwieriger, Jahr für Jahr die für den Betrieb der Einrichtung notwendigen 60.000 Euro durch Spenden aufzubringen. 16 Frauen können derzeit in den Wohngemeinschaften leben. „Jede hat ihr eigenes Zimmer“, erläutert Ackermann. Hinzu kommen eine kleine Küche und ein Gemeinschaftsraum. In der Wintersaison bietet das Haus zudem 18 Schlafplätze für obdachlose Männer. Um die Frauen zu schützen, gibt es für sie einen gesonderten Eingang.

An sechs Tagen in der Woche – außer donnerstags – bietet Haus Bethlehem ein kostenloses Frühstück, am Sonntag zusätzlich ein Mittagessen. „Wir arbeiten mit der Hamburger Tafel zusammen, die Essen liefert“, erzählt Ackermann. Außerdem spenden Kleinunternehmer und Privatpersonen.

Aber Dieter Ackermann sieht mit einigem Bangen in die Zukunft. „Es ist schon belastend, weil wir uns immer fragen müssen, ob wir genügend Geld zusammenbekommen.“ Dabei steht der Verein gleich von zwei Seiten unter Druck. Die Betriebskosten, beispielsweise für Energie und Wasser, sind zuletzt deutlich gestiegen. „Aber mehr noch fällt auf, dass die Zahl der Bedürftigen unaufhaltsam wächst.“