Auch bei Kleidung geht der Trend zum Selbermachen. Da kommt die erste Hamburger Stoffmesse an diesem Wochenende gerade recht. Von Marlies FischerMarlies Fischer

Biesen, Wiener Naht und Rüschen waren gestern. Heute sind es gerade Nähte und Applikationen. Viele haben die neue Lust am Nähen entdeckt. Ein T-Shirt für den Sohn, einen Rock für die Tochter, eine Tasche für sich selbst – immer mehr Frauen setzen sich an die Nähmaschine und zaubern mit Nadel und Faden textile Unikate. Wer Freude an Stoffen, Bändern und Bordüren hat, dem kommt die Stoffmesse Hamburg an diesem Wochenende gerade recht.

Zum ersten Mal finden hier Nähbegeisterte und die, die es noch werden wollen, in der Messehalle Schnelsen ein Paradies. 51 Aussteller, davon 23 aus Hamburg und Umgebung, haben alles rund ums Nähen im Programm: Baumwoll-, Patchwork-, Quilt- und Kinderstoffe, echtes Leder und Imitate, Organza, Seide, Fleece, Applikationen, Knöpfe, Nähmaschinen, Schnittmuster, Nadeln und vieles mehr.

Wer neue Ideen sucht oder noch nicht so viel Näherfahrung hat, der kann an einem der zahlreichen Workshops teilnehmen. Unter professioneller Anleitung lernen Nähbegeisterte Tricks und Kniffe. Gefertigt werden Röcke, Schals und Taschen sowie Masken für den Fasching. Auch Kinder können in speziellen Kursen ihre Leidenschaft für die Welt der Stoffe entdecken.

Klaudia Salamon ist immer wieder gerührt, wenn zehnjährige Mädchen in ihren kleinen Eimsbütteler Laden Frau Stoffe kommen und sich zwischen den rund 350 Stoffballen ihr Objekt der Begierde aussuchen. „Die Mädchen nähen sich Kissen oder Schals“, sagt die 32-Jährige, die lange bei Karstadt in der Mönckebergstraße in der Stoffabteilung gearbeitet und sich im April 2013 selbstständig gemacht hat. „Wer schon geübter ist, versucht sich dann an einfachen Röcken oder Strandkleidern“, weiß Salamon. „Oft natürlich mithilfe der Mutter oder Oma.“

Wer selbst näht, fertigt individuelle Stücke und macht sich Gedanken über die Kleidung. „Es gehört mittlerweile zum guten Ton, für sein Kind selbst zu nähen“, hat Claudia Siebrecht herausgefunden. Die 40-Jährige betreibt zusammen mit ihrer Partnerin Nina Gildhoff den Laden Fräulein Zwirn in Volksdorf. „Unser Hauptpublikum sind Frauen bis Ende 30 mit kleinen Kindern. Für die Kinder fertigen sie T-Shirts, Jacken und Pluderhosen, für sich selbst Taschen oder Loop-Schals“, sagt Siebrecht. „Die Mütter haben mehr Vertrauen in Meterware, die oft in Bio-Qualität und fair hergestellt wird.“

Der Trend, wieder zu kochen und zu backen, die Wohnung mit Deko aus eigener Herstellung zu verschönern und selbst zu nähen, statt von der Stange zu kaufen, kommt wie so vieles aus den USA. Im Internet gibt es unzählige Portale zum Thema Nähen, auf dem Büchermarkt widmen sich viele Nachschlagewerke und Zeitschriften dem kreativen Do-it-yourself. Die Kurse, die private Nähschulen sowie Volkshochschulen und Familienbildungsstätten anbieten, sind schnell ausgebucht. Der Grund: „In unseren Kursen haben die Teilnehmerinnen – vereinzelt sind auch Männer dabei – Lust, etwas Eigenes zu schaffen und Unikate herzustellen“, sagt Brigitte Ambos von der Evangelischen Familienbildung. „Sie wollen kreativ sein als Entspannung und sich nicht immer nur mit Computern oder anderem technischen Gerät beschäftigen.“ Außerdem sei es eine Gewissensfrage, selbst T-Shirts zu nähen und keine zu kaufen, die unter prekären Bedingungen in Asien hergestellt wurden.

Die Evangelische Familienbildung bietet in ihren neun Einrichtungen in Hamburg und Südholstein 200 Nähkurse mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden an. 20 Seminare davon sind speziell für Kinder ab zehn Jahre. Außerdem gibt es 15 Kurse, die Stricken, Sticken, Häkeln oder das Verzieren mit Spitze zum Thema haben. „Es geht um Gemeinschaftsgefühl“, sagt Brigitte Ambos, „und darum, mit Gleichgesinnten ein Hobby zu pflegen und sich dabei aber auch übers Leben zu unterhalten.“

In den Laden Charlotta’s von Karin Fuchs in Eppendorf kommen oft Kundinnen, die sich mit ihrer Kleidung von der Masse abheben möchten. „Viele setzen auf den Aha-Effekt im Freundes- und Familienkreis“, sagt Fuchs. „Sie kaufen zum Beispiel ein schlichtes einfarbiges T-Shirt von der Stange und peppen das mit Applikationen auf.“ Besonders gut gehen im Laden der Fachfrau Stoffe mit Retro-Muster, aus denen dann Röcke, Taschen oder Schals entstehen. Und das möglichst ohne Schnittmuster. „An so etwas trauen sich nur erfahrene und ältere Hobby-Schneiderinnen heran“, sagt Fuchs.

Marktführer bei diesen Vorlagen aus Papier ist der Aenne Burda Verlag. In rund 90 Ländern ist die monatlich erscheinende Zeitschrift „Burda Style“ mit vielen Schnittmusterbögen auf dem Markt, in der damaligen Sowjetunion war die Zeitschrift als „Burda Moden“ in den 80er-Jahren das erste westliche Magazin. „Frauen geht es um die Leidenschaft für Stoffe, besondere Schnitte und Mode“, sagt Dagmar Bily, Chefredakteurin von „Burda Style“. „Es ist eines der schönsten Komplimente, wenn man auf einer Party gefragt wird, woher man das tolle Kleid hat, und sagen kann, man hat es selbst genäht.“

Wer die Stoffmesse an diesem Wochenende verpasst, kann sich im März an mehr als 140 Ständen beim holländischen Stoffmarkt in Alsterdorf Anregungen holen. Ein T-Shirt für die Tochter mit kleinen Hasen, für den Sohn eine Fleece-Jacke mit Automotiven und für sich selbst eine Tasche mit Blumenmuster sind schnell gefertigt. Und der Herr im Haus bekommt ein Kissen in den Farben seines Lieblingsvereins. Je nach Tabellenstand kann Mann dann auch gern hinein weinen.