Als Videotechniker fing Beckmann an, plötzlich stand er selber vor der Kamera. Im Interview gibt er überraschende Einblicke in sein Leben.
Der dicke Schal und die belegte Stimme verraten es sofort: Die Erkältungswelle im Hamburger Nieselwetter hat auch Reinhold Beckmann erwischt - so sehr, dass er ein paar Tage später sogar Konzerte mit seiner Band absagen muss. Dennoch nimmt er sich an diesem Abend zwei Stunden Zeit für das Abendblatt. Anlass des Gesprächs mit dem Talker und Sportmoderator der ARD ist ein höchst erfreulicher. Am 25. Februar - zwei Tage nach seinem 57. Geburtstag - wird Reinhold Beckmann mit dem Ehrenpreis der Hamburger Sportgala im Börsensaal der Handelskammer ausgezeichnet. Beckmann bekommt den Preis, die vor ihm Sportgrößen wie Uwe Seeler, Uli Hoeneß, Günter Netzer und Franziska van Almsick erhielten, für seine jahrelange Arbeit für NestWerk. Die Stiftung engagiert sich für Kinder und Jugendliche in sozialen Brennpunkten. NestWerk genießt inzwischen bundesweite Anerkennung, auch durch den publikumswirksamen "Tag der Legenden" am Millerntor. Jedes Jahr im September kicken ehemalige Fußballgrößen, darunter frühere Weltklassespieler wie Kevin Keegan oder Felix Magath, für die gute Sache. Mit dem Abendblatt spricht Beckmann indes nicht nur über NestWerk und seinen Talk in der ARD, sondern auch über seine schwierige Schulzeit in der niedersächsischen Provinz, die Gewissensprüfung als Kriegsdienstverweigerer und Schützenfeste.
Hamburger Abendblatt: Herr Beckmann, würden Sie als Gast in Ihre eigene Sendung gehen?
Reinhold Beckmann: Ja, ich denke schon. Durch die ruhige nachdenkliche Atmosphäre ohne Publikum im Studio gibt es die Chance, wirklich miteinander zu reden. Die Sendung ist mehr ein Kammerspiel, mit Zeit für längere Gedanken und ernsthafte gesellschaftspolitische Themen.
Wirklich bergab ging es in Ihrer Karriere nie. Mit gerade 34 wurden Sie Sportchef beim Pay-Sender Premiere, sieben Jahre bauten sie als Programmchef bei Sat.1 "ran" und "ranissimo" auf. Jetzt sind Sie seit 15 Jahren bei der ARD als Talkmaster und Sportmoderator. Es gab nicht einmal den sonst üblichen Streit zwischen altem und neuem Arbeitgeber. Wo sind die Bruchstellen in Ihrem Leben?
Beckmann: Keine Sorge, ich kann liefern. Für Sat.1 habe ich mal die Talkrunde "No sports" gemacht. Die Idee war gut, aber Sat.1 war ungeduldig und hat sie nach zehn Sendungen abgesetzt. Das war aber auch in Ordnung, weil ich mich rein körperlich total übernommen hatte. Es war falsch von mir zu glauben, in Hamburg eine Sportredaktion zu führen, die gerade mit "ran" und "ranissimo" nach oben kam, und gleichzeitig in Köln jeden Freitagabend eine Late-Night-Sendung zu machen. Auf Dauer wäre ich durch die zeitliche Doppelbelastung wohl ein Burn-out-Kandidat geworden.
Wollten Sie eigentlich immer zum Fernsehen?
Beckmann: Nein, das war eher Zufall. Ich habe in Köln vor dem Studium eine Ausbildung zum Fernseh- und Videotechniker gemacht. Damals glaubte ich noch an das gute alte Handwerk.
Sie können wirklich Fernseher und Radios reparieren?
Beckmann: Vergessen Sie es, ich habe alles verlernt, obwohl ich damals der zweitbeste Lehrling in Köln war. Ich habe noch irgendwo die Urkunde, die ich dafür bekommen habe. (lacht)
Hat Ihnen diese Ausbildung später dennoch genutzt?
Beckmann: Beim WDR und anderen Filmproduktionen hatte ich einen kleinen Vorteil in Sachen Technik. Zu dieser Zeit stellte man gerade von Zelluloid auf Video um. Ich konnte die entsprechenden Geräte bedienen und zur Not auch reparieren. Im Gegenzug habe ich von alten Hasen gelernt, wie man gute Filme macht. Und irgendwann hat mich dann ein Kulturredakteur vom WDR vor die Kamera geschubst.
Kaum jemand weiß noch, dass Sie mit einer ziemlich absurden Livesendung namens "Off-Show" gestartet sind. Reinhold Beckmann an der Seite des Anarcho-Entertainers Helge Schneider, das kann man sich heute gar nicht vorstellen.
Beckmann: Das waren noch mutige Zeiten. Die "Off-Show" lief sogar Primetime am Sonnabendabend im dritten Programm des WDR. Wir konnten so lange senden, wie wir wollten, manchmal war erst nach vier bis fünf Stunden Schluss. Bei den Gästen gab es die totale Mischung. Das ging von Heinz Schenk bis Rosa von Praunheim. Dazu spielte eine wilde Combo Free Jazz. Und zwischendurch kamen Fußballer wie Frank Mill vorbei und interpretierten die Ausstellung "Fußball in der Kunst". Helge kochte ständig Tee, machte Musik und scherte sich ansonsten nicht um den Ablauf der Sendung. Ich habe die Interviews geführt. Heute würden sich Kulturredakteure über so ein Format die Haare raufen.
Vermissen Sie diese Freiheit? Bei der ARD ist es nicht mehr vorstellbar, dass Sie mit Helge Schneider einfach Quatsch-TV machen. Jetzt sind Sie der seriöse Talkmaster und Sportmoderator.
Beckmann: Das ist heute ein anderer Job, aus einer anderen Position, aus einer anderen Blickrichtung, in einer veränderten Fernsehwelt. Aber keine Sorge, wir gönnen uns mit meiner Produktionsfirma immer noch das Vergnügen, auf ein bisschen Wahnsinn zu setzen, wie etwa "Inas Nacht" aus dem "Schellfischposten" und demnächst mit noch weiteren Comedy-Formaten. Wir sind eine kleine Hamburger Firma mit ein paar verrückten Vögeln aus der Hansestadt.
Womit haben Sie Ihr erstes Geld verdient?
Beckmann: Bei meinem Vater im elterlichen Futtermittelbetrieb in Twistringen. Genau wie meine älteren Brüder habe ich Säcke geschleppt, habe später mit dem Lkw das Futter zu Bauern oder zur Hundefutterfabrik nach Verden gefahren. Dafür gab's vom Alten 4,50 Mark die Stunde.
Twistringen liegt in der Nähe von Bremen, oder?
Beckmann: Ja, 30 Kilometer südlich. 7000 Einwohner, streng katholisch. Wir waren umzingelt von Nichtgläubigen, wie wir damals die Protestanten scherzhaft genannt haben. Im Gegensatz zu meinen älteren Brüdern durfte ich dann zum Gymnasium nach Syke. Das war zu dieser Zeit noch völlig ungewöhnlich. Gymnasium, das war doch nichts für uns in Twistringen. So hieß es immer. In meiner ersten Deutschstunde sagte der Lehrer zu mir: "Du kommst doch aus Twistringen, da reden die alle Plattdeutsch. Und du weißt, ein Schüler von dort wird bei mir nie besser als ,Vier.'"
Haben Sie sich gewehrt?
Beckmann: Klar. Wir haben mit einer verschworenen Truppe damals eine Schülerzeitung gemacht. "Speed" hieß die. Erschienen sind leider nur zwei Ausgaben. Die sorgten für mächtig Ärger, weil wir gegen die Prügelstrafe und die Wendehalsigkeit eines Landrates geschrieben hatten, der gerade von der FDP zur CDU gewechselt war. Wir lebten in einem sehr konservativen Umfeld und fanden Bundeskanzler Willy Brandt großartig, "Willy wählen" war damals unser Slogan.
Wie fanden das Ihre Eltern?
Beckmann: Na ja, eher seltsam. In Twistringen wählten damals 80 bis 90 Prozent die CDU. Und vor Wahlen predigte der Pfarrer von der Kanzel: "Liebe Gemeindemitglieder, ihr wisst, wo ihr anzukreuzen habt, da, wo das 'christlich' steht."
Entstand Ihre Sympathie für Brandt aus dem natürlichen Reflex, jetzt mal zu opponieren?
Beckmann: Nein, die SPD stand für Aufbruch, die Öffnung aus dem muffigen Gestern, und Brandt war eine charismatische Figur für Jugendliche.
Die Schule werden Sie später nicht vermisst haben ...
Beckmann: Das Abitur war für mich einer der befreiendsten Momente meines Lebens. Endlich nicht mehr Schule, und dann bin ich für sechs Monate nach Amerika und Mexiko abgehauen ...
Mussten Sie nicht zur Bundeswehr?
Beckmann: Ich habe den Kriegsdienst, wie es damals noch hieß, verweigert. Beim ersten Mal bin ich durch die Gewissensprüfung gerauscht, wusste nicht die richtigen Antworten auf Fragen wie: "Was machen Sie, wenn Ihre Mutter bedroht wird, und da liegt zufälligerweise ein Gewehr?" Wir fühlten uns durch solche Fallen schikaniert. Beim zweiten Mal hatte ich mehr Glück, da habe ich mit dem Vorsitzenden fast nur über Musik geredet. Und bekam danach meine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer.
Wo haben Sie dann Ihren Zivildienst absolviert?
Beckmann: In einer Jugendbildungsstätte in der Nähe von Oldenburg. Die Arbeit hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich freiwillig noch vier Monate drangehängt habe.
War das der erste Impuls für Ihre Initiative NestWerk, mit der Sie Kinder und Jugendliche in sozialen Brennpunkten fördern?
Beckmann: Ja, seit meinem Zivildienst habe ich einen starken Bezug zur Jugendarbeit. Da war die Antwort schnell klar: Wenn ich mich sozial engagiere, dann muss es mit Jugendlichen sein.
Wie entstand der Name?
Beckmann: Wir haben lange überlegt, "Stiftung Reinhold Beckmann" wollte ich nicht. Und dann hatte mein Freund Christian Hinzpeter die Idee. NestWerk, das passt!
Findet es ein 17-jähriger Schüler aus Wilhelmsburg wirklich cool, wenn in seinem Viertel plötzlich einer der bekanntesten deutschen TV-Moderatoren auftaucht? Oder denkt er, da will sich einer nur aus PR-Gründen um uns kümmern?
Beckmann: Die Frage stellt sich überhaupt nicht. Die jungen Leute brauchen nicht meine tägliche Präsenz, sondern unsere Verlässlichkeit. Wir müssen dafür sorgen, dass die Sporthallen abends fürs Basketball geöffnet werden, dass die Musikprojekte laufen. Und viele andere Dinge.
Aber wenn Sie in einem sozialen Brennpunkt auftauchen, ist es doch in etwa so, als wenn ein Raumschiff aus einer besseren Welt in einem Problemviertel landet. Und dann wieder entschwebt.
Beckmann: Das ist eine konstruierte Vorstellung. Es geht hier um harte soziale Probleme, die wir mit unseren Hilfsangeboten versuchen zu mildern. Der Fernsehfritze Beckmann spielt da überhaupt keine Rolle.
Der Grat zwischen Hilfe und Gutmenschentum ist schmal. Im Vergleich zu Ihrer Jugend gibt es heute viel mehr Gymnasien. Von der Lehrmittelfreiheit ganz zu schweigen. Macht es Sie nicht wahnsinnig, wie viele Jugendliche trotzdem nur rumhängen?
Beckmann: Wir sollten uns da nicht zum Richter aufspielen! Wir haben Schulen in unseren Vierteln, da gleicht die Schülerschaft eher den Vereinten Nationen. Viele Kinder können nicht ausreichend Deutsch, wenn sie in die Schule kommen. Wie sollen die auf einen guten Abschluss vorbereitet werden? Und wer es nicht schafft, ist ganz schnell raus. Der kriegt keine Lehrstelle und kann sich als Hilfsarbeiter verdingen. Hartz IV als Lebensperspektive!
Viele Kinder in sozialen Brennpunkten sind von klein auf fast völlig auf sich allein gestellt.
Beckmann: Deshalb öffnet unsere Partnerschule in Barmbek bereits morgens um 7 Uhr, um Frühstück anzubieten. Wer in Winterhude, Eppendorf, den Walddörfern zu Hause ist, kann sich diese Situation gar nicht vorstellen.
Fehlt im Gegensatz zu früher nicht auch der Wille der Eltern, dass ihre Kinder es mal besser haben sollen?
Beckmann: Schön wär's, wenn es so einfach wäre. Aber das ist zu schlicht und dazu noch ein falscher Ansatz. In den sozialen Brennpunkten leben Familien mit Migrationshintergrund, die in Hamburg überhaupt nicht verwurzelt sind. Die sind mit den einfachsten Dingen des Alltags überfordert. Wir erleben es, dass Kinder ihre Eltern zum Amt begleiten, um für sie zu übersetzen. In Hamburg gibt es ganze Viertel, die sich vom normalen Leben abgekoppelt haben. Da entstehen Parallelwelten. Und die Menschen registrieren sehr genau, dass es trotz aller Krisen immer noch große Gewinner gibt, die absurde Millionenbeträge für sich abschöpfen, während Verluste sozialisiert werden.
Was macht Ihnen Mut?
Beckmann: Zum Beispiel unsere Lehrstelleninitiative. Wir haben jetzt ein Netzwerk mit Hamburger Unternehmern aufgebaut, die gezielt Jugendlichen aus unseren Projekten die Chance auf einen Ausbildungsplatz geben. Und das läuft gut. Eine Ausbildung zu bekommen und abzuschließen erscheint vielen Jugendlichen als ein fast unerreichbares Ziel. Wir versuchen, ihnen Selbstvertrauen zu geben und sie auf diesem für sie oft nicht leichten Weg zu begleiten. Noch hat keiner seine Ausbildung abgebrochen, und die Ersten haben bereits ihren Abschluss. Das ist ein großer Erfolg für die Jugendlichen.
Dennoch gibt es sicher auch Probleme. Was passiert, wenn sich ein Jugendlicher in Ihren Projekten völlig danebenbenimmt?
Beckmann: Wir haben sehr klare Regeln. Alkohol und Drogen sind in unseren Turnhallen absolut tabu. Wer sich nicht daran hält, fliegt raus. Und wenn es wirklich schwere Verstöße gibt, machen wir die Halle auch mal dicht. Das führt zu einem Prozess der Selbstregulierung. Denn die, die sich einwandfrei benommen haben, knöpfen sich die Übeltäter vor.
In bestimmten Kulturen haben es die Mädchen traditionell eher schwer. Wie reagieren Sie in Ihren Projekten?
Beckmann: Es gibt da die eine oder andere Möglichkeit. Beim Fußballspielen etwa zählen wir die Tore der Jungs gern erst dann, wenn die Mädels einen Treffer erzielt haben. Wobei bei uns inzwischen viele Mädchen besser spielen als die Jungs.
NestWerk finanziert sich stark durch den Tag der Legenden, wo jedes Jahr im September ehemalige Topspieler am Millerntor kicken. Brauchen Sie große Überredungskünste, um die Stars nach Hamburg zu holen?
Beckmann: Nein, längst nicht mehr. Schon im März rufen die Ersten an und fragen: Bin ich wieder dabei, kriege ich wieder eine Einladung? Viele Spieler sind seit Jahren dabei, für die ist das wie ein Klassentreffen.
Gibt es noch einen ehemaligen Weltstar, von dessen Engagement Sie träumen?
Beckmann: Wir haben über Jahre versucht, Kevin Keegan ans Millerntor zu holen. 2011 ist uns dies dann gelungen. Ruud van Nistelrooy ...
... der ehemalige HSV-Star ...
Beckmann: ... wäre auch ein wunderbarer Kandidat. Wir hatten ihn schon für 2012 eingeladen. Später hat er mir geschrieben, dass er nach seinem Karriereende für zwei Monate komplett auf Handy und E-Mails verzichtet hat, um mal ganz abzuschalten. Aber für dieses Jahr bin ich sehr optimistisch. Ein absoluter Traum wäre natürlich ein Auftritt von Zinedine Zidane. Erste Kontakte haben wir geknüpft.
Jeder Tag der Legenden endet mit der Nacht der Legenden im Tivoli, wo Künstler wie Marius Müller-Westernhagen, Udo Lindenberg oder Olli Dittrich auftreten. Da dürfte es hinter der Bühne zickiger zugehen als am Nachmittag unter den Fußballern.
Beckmann: Überhaupt nicht. Die sind auch völlig unkompliziert und freuen sich auf diesen Abend. Allüren gibt es nicht. Sänger Tim Bendzko, der vergangenes Jahr seinen Auftritt wegen einer Stimmbandentzündung ganz kurzfristig absagen musste, hat mir sogar ein ärztliches Attest geschickt. Dabei zahlen wir keinen Cent Gage.
Aber für den Showtitanen Thomas Gottschalk, der letztes Jahr moderierte, haben Sie sicherlich eine etwas größere Suite buchen müssen, oder?
Beckmann: Nein, Thomas will keine Sonderbehandlung. Der hatte ein Standardzimmer im Hotel East und hat sich nach der Show noch bei mir bedankt, dass er dabei sein durfte.
Sie könnten mit der Nacht der Legenden auch eine wesentlich größere Halle füllen. Warum verzichten Sie auf die zusätzlichen Einnahmen?
Beckmann: In einer größeren Arena würde die sehr besondere Atmosphäre des Tivoli verloren gehen. Nein, wir bleiben lieber auf dem Kiez.
Aber Sie könnten das hochkarätige Programm meistbietend einem TV-Sender anbieten.
Beckmann: Es gab durchaus entsprechende Anfragen. Doch unsere Gäste sollen sich einen Abend mal wirklich unbeobachtet fühlen.
Herr Beckmann, in der TV- und Unterhaltungsbranche gibt es fast jeden Tag Schlagzeilen über Seitensprünge und zerbrochene Ehen. Bei Reinhold Beckmann findet man da nichts.
Beckmann: Meine Frau und ich haben erst Anfang 30 zueinandergefunden. Das ist vielleicht ein kleiner Vorteil gegenüber Paaren, die sich schon mit 17, 18 kennenlernen. Ich habe meine spätere Frau Kerstin nach vielen Jahren um 2 Uhr nachts an der Theke bei einem Schützenfest in unserer Heimat Twistringen wieder getroffen. Wir waren beide auf Heimaturlaub und haben uns gegenseitig nach Hause geholfen, nur sind wir dort nie angekommen ...
Sie gehen auf Schützenfeste?
Beckmann: Ich bin seit vielen Jahren sogar Mitglied im Schützenverein Twistringen. Ein richtiger Männerclub, der immer noch keine Frauen aufnehmen will. Und das als Kriegsdienstverweigerer (lacht). Aber für mich ist das jedes Mal erlebte dörfliche Solidarität, wenn Sie wissen, was ich meine. Ein Stück Zuhause.
Sie mussten in den vergangenen Jahren zwei schwere Schicksalsschläge verkraften. Zunächst starb Ihr ältester Bruder, dann Ihr Vater. Wie sehr haben Sie diese Verluste geprägt?
Beckmann: Der Tod ist seitdem ein Teil meines Lebens. Wobei beide Ereignisse ganz unterschiedlich waren. Mein Vater ist mit 96 gestorben, er war der älteste Mann im Dorf. Wir hatten auch an seinem letzten Tagen noch schöne und sogar heitere Momente. Wir konnten uns richtig verabschieden.
Ihr Bruder starb nach einer schweren Lungenkrankheit, einer Lungenphibrose
Beckmann: Er ist zweimal transplantiert worden, hat insgesamt zwei Jahre im Krankenhaus gelegen. Es war eine harte Zeit.
Der älteste Bruder ist doch immer auch ein Beschützer, oder?
Beckmann: Ja klar. Er war derjenige, der bei uns die Musik nach Hause gebracht hat. Auf unserem alten Dual-Plattenspieler hat er die Beatles, die Stones und die Beach Boys aufgelegt, für mich damals fast heilige Momente. Er war ganz vernarrt in die Beach Boys, kannte jede Zeile auswendig. Als er schon schwer krank war, sind wir beide noch einmal zum Brian-Wilson-Konzert ins CCH gefahren. Es war ein wunderbarer Abend. Noch einmal spielte Brain Wilson alle Stücke des legendären "Pet Sounds"-Albums der Beach Boys. Unvergessene Erinnerungen an meinen Bruder.
Wie haben diese Schicksalsschläge Ihre Einstellung zum Leben verändert?
Beckmann: Es war für mich ein Anstoß, bewusster zu leben. Ich hatte mich aber schon zuvor öfter mit der Frage beschäftigt, warum wir permanent in diesem Dauerstress unterwegs sind. Warum fühlen wir uns nie wirklich vollständig? Wir leben kaum gegenwärtig. Die Buddhisten würden uns auslachen, dass wir uns ständig damit quälen, was wir gestern verpasst haben und was wir in Zukunft noch alles tun müssen. Ich habe mittlerweile ein bisschen mehr Gegenwärtigkeit gelernt und lasse mich nicht mehr so leicht von den Beliebigkeiten des Alltags jagen.
Auch nicht von der Quote der letzten Sendung?
Beckmann: Nein, das ist längst vorbei, sonst hätte ich bestimmte Dinge des Lebens nicht kapiert. Inhaltlich und handwerklich gut gemachte Sendungen, die wichtige Themen hinterfragen und im besten Fall vielleicht etwas bewegen, darauf kommt es an.
Ist Ihre Band, mit der Sie jetzt bundesweit mit Ihren Liedern touren, so etwas wie ein Lebenstraum?
Beckmann: Eher ein ganz normaler Alltagstraum. Die Initialzündung war ein Auftritt bei Ina Müller, als ich in ihrer ersten Sendung mit ihr gespielt habe. Nach der Sendung haben mir zwei Musiker aus Inas Band gesagt: Mach das doch mal richtig. Schreib Lieder, du kannst das. Ich habe dann Musiker gesucht, wir haben uns auf einem Bauernhof eingeschlossen und drei Tage lang experimentiert. Dann wusste ich, das mach ich.
Jetzt haben Sie bundesweit Auftritte.
Beckmann: Ja, wir reisen gemütlich mit Bahncard zweiter Klasse, die Anlage fährt im kleinen Lkw vorneweg, das ist wunderbar. Wir tingeln durch kleine Theater und Kulturhäuser. Diese unmittelbare Begegnung mit dem Publikum genieße ich, diese Direktheit kann Fernsehen nicht leisten.
Sie werden jetzt 57. Planen Sie den Ausstieg? Nur noch Musik machen?
Beckmann: (lacht) Ein Jahr Brasilien, nur Bossa nova auf der Gitarre spielen, das wäre nicht schlecht. Nein, im Ernst, ich möchte schon zunächst so weitermachen, derzeit passt es einfach.
Können Sie sich vorstellen, auch noch mit Mitte 60 zu talken?
Beckmann: Auf jeden Fall. Wir machen ja keine klassische Talkshow, sondern eher eine Gesprächssendung, die unaufgeregt daherkommt. So eine Sendung, denke ich, wird mit steigender Lebenserfahrung eher noch interessanter und vielleicht auch besser.
Können Sie ohne TV-Engagement überhaupt richtig leben? Fernsehen ist doch auch eine Droge.
Beckmann: In Sachen TV kann man leicht zum Junkie werden, aber mein Entzug läuft seit Jahren mit großem Erfolg. Daher weiß ich schon länger, dass ich auch ohne Fernsehen glücklich sein kann. Das ist eine schöne Erfahrung.