Hamburg. Zoë Beck und Jan Karsten finden ihre Bücher da, wo andere manchmal gar nicht erst suchen. Nun erhalten die Hamburger den Zillmer-Preis.

Rowohlt? Hoffmann und Campe? Machen gute Bücher. Der CulturBooks-Verlag tut dies auch, aber im viel kleineren Maßstab: Anders als die beiden großen in Hamburg beheimateten Player ist er ein unabhängiger Verlag. Für ihr verlegerisches Tun erhalten die CulturBooks-Macher Zoë Beck und Jan Karsten nun den mit 20.000 Euro dotierten K.-H. Zillmer-Verlegerpreis 2024. Ein Gespräch mit Jan Karsten über den Verlag – und eines seiner neuen Bücher.

Hamburger Abendblatt: Mögen Sie Pferde, Herr Karsten? Ich frage aus Gründen.

Jan Karsten: Es geht so. Als Kind hatte ich Reitunterricht, und gleich am zweiten Tag wurde mir kräftig in den Magen getreten. Seitdem bewundere ich die Tiere nur noch aus der Ferne. Später haben sie mir aber gewissermaßen mein Amerikanistik-Studium finanziert: Ich kam gerade aus den USA zurück, hatte zu viel Bukowski gelesen und fing in einem der ältesten Pferdewettbüros der Stadt an. Ich habe bestimmt Tausende von Rennen gesehen. Übers Studium hinaus habe ich auch als Buchmacher gearbeitet, sogar meine Lizenz gemacht und damit eine Zeit lang meine literarischen Aktivitäten querfinanziert. Irgendwann bin ich dann aber doch ganz zur Literatur und dem Verlegen gewechselt, sozusagen von einer Glücksspielbranche in die andere. Vom Buchmacher zum Büchermacher. Aber ich bin immer noch fasziniert von der Szene und dem Wettmilieu. Insofern hat die Übersetzung von „Boxenstart“ ganz besonders viel Spaß gemacht.

Warum liest man „Boxenstart“ auch dann mit Gewinn, wenn man kein Pferdenarr ist?

Weil dieser Roman vor allem die Lebensgeschichte einer faszinierenden Frau ist, Sonia, einer Pferdetrainerin aus dem Mittleren Westen der USA, die sich in der harten Welt amerikanischer Rennbahnen ihren Platz erobert. Das Besondere: Sonia gibt es wirklich. Die Autorin, Kathryn Scanlan, hat aus vielen Gesprächen mit der echten Sonia einen eindrucksvollen Roman über das Leben einer Frau auf der Rennbahn komponiert, der alles enthält: harte Arbeit, Gewalt, Leidenschaft, Freude. Er führt uns einfach auf sehr bewegende Weise vor, was es heißt, ein Mensch zu sein.

CulturBooks aus Hamburg: Bücher, die unverwechselbar sind

Würden Sie sagen, es ist typisch, dass in Ihrem CulturBooks Verlag mit „Boxenstart“ ein Titel erscheint, der mit einem Preis für „Innovative Literatur“ ausgezeichnet wurde?

Vielleicht schon. Uns ist es wichtig, dass eine Autorin, ein Autor etwas zu erzählen hat über unsere sich ständig ändernde Welt, aber vor allem auch, dass dies mit einer unverwechselbaren und ganz eigenen literarischen Stimme geschieht. Das ist dann manchmal sehr frisch und neu, wie etwa im Fall der koreanischen Autorin Bora Chung, die für ihre hochaktuellen literarischen Gesellschaftsdiagnosen koreanische und japanische Mythen mit europäischen Märchen und Legenden zusammenschließt und so faszinierende Literatur schafft, die weltweit anschlussfähig ist – so landete sie auf der Shortlist des International Booker Prize, und die deutsche Übersetzung von Ki-Hyang Lee wurde mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Am Ende zählt für uns aber immer, dass uns ein Text fasziniert, unterhält, auch zur Auseinandersetzung einlädt.

Kathryn Scanlan ist eine amerikanische Autorin. Ihren Verlag zeichnet aus, dass er auch in andere weit entfernte Weltgegenden blickt und dort Autorinnen und Autoren findet, die andere unter Umständen nicht finden. Ist das schwer?

Es erfordert vor allem eine gehörige Portion Größenwahnsinn. Wir fanden es von Anfang an interessant, unsere Nase in alle möglichen Literaturen zu stecken, uns überall auf der Welt umzusehen. In Europa natürlich, den USA. Aber eben auch in Weltgegenden, deren Literatur auf dem deutschen Buchmarkt nicht so präsent ist. Dabei hilft es, sich neben der klassischen Lektoratsarbeit und dem Austausch mit Agenturen auch vor Ort umzusehen, Literaturfestivals zu besuchen, mit Verlagen, Autorinnen und Autoren, Buchhändlern zu sprechen. Sei es beim Jaipur-Literaturfestival in Indien, in Singapur, Korea oder zuletzt auf den Philippinen. Oft sind wir von dort mit ziemlich großartigen Büchern zurückgekommen.

Boxenstart
Das Cover von Kathryn Scanlans Roman „Boxenstart“, CulturBooks-Verlag, 180 Seiten, 22 Euro © CulturBooks | Culturbooks

Ihre letzte Entdeckung?

In Indien fanden wir gerade einen großen Roman von Devika Rege, der den Aufstieg der Hindunationalisten um Modi nachzeichnet und generell etwas über den Aufstieg autoritärer Strömungen in den großen Demokratien erzählt. Auf den Philippinen stießen wir auf das wichtigste Buch von Patricia Evangelista, die in „Some People Need Killing – eine Geschichte der Morde in meinem Land“ von Rodrigo Dutertes „War on Drugs“ erzählt, dieser unglaublichen Periode staatlicher und halbstaatlicher Gewalt, und nachzeichnet, wie gewaltvolle politische Rhetorik durch Staatenlenker in ganz hemmungslose Gewaltorgien auch gegen politische Gegner umschlagen kann. Ein angesichts der Weltlage erschreckend aktuelles Buch. Uns sind diese Perspektivwechsel wichtig, die uns internationale Literatur ermöglicht. Ein Kennenlernen über Kulturgrenzen hinweg. Es ist diese universelle Kraft der Literatur, die uns zeigt, was uns trennt – die uns aber vor allem vor Augen führt, wie viel uns überall auf der Welt miteinander verbindet. Wie viele Kämpfe, Wünsche, Ängste und Wonnen.

Zillmer-Preis für CulturBooks-Verlag: „Nicht besonders romantisch“

Sie führen den Verlag zu zweit. Ist das auch ein Wettkampf: Wem gelingen die besten Entdeckungen?

Es ist eher ein gegenseitiges Anstacheln. Zoë und ich sind in vielen Dingen sehr unterschiedlich, was sehr bereichernd sein kann, als positive Reibung. Und zum Glück sind wir uns bei der Art von Literatur, die uns elektrisiert, die wir unbedingt verlegen wollen, dann doch sehr einig. Uns gefallen sehr oft dieselben Texte, sonst ginge es auch auf Dauer nicht.

191148_164_cover.jpg

Sally Rooney: Ist ihr Stern eigentlich schon am Verglühen?

Next Book Please - Der Bücher-Podcast

Indie-Verlage wie Ihrer haben es schwer, Autoren am Markt durchzusetzen. Ihr Etat ist auf Kante genäht. Ist dieses gewissermaßen Prekäre mehr produktiver Kitzel oder mehr lähmender Faktor?

Leider sind die Schwierigkeiten, mit denen sich die unabhängigen Literaturverlage rumschlagen müssen, nicht besonders romantisch. Insofern ist es kein positiver Kitzel, sondern eher ein Hemmnis, weil mangelnde finanzielle Mittel spannende Projekte verlangsamen oder verhindern und es erschweren, kreative, vielversprechende Ideen umzusetzen. Da fehlt dann manchmal die Möglichkeit, einfach so zu investieren, selbst wenn es sich am Ende auszahlen würde.

Hamburger Kleinverlag: Das Spaß-Haben beim Aufbau von etwas Eigenem

Warum macht es mehr Spaß, CulturBooks zu leiten als Rowohlt?

Wir sind große Fans von Rowohlt! Aber es macht tatsächlich sehr viel Spaß, etwas selber aufzubauen. Und kurze Entscheidungswege sind gut, einfach machen zu können, was wir wollen. Wir können sicher auch ein höheres literarisches Risiko eingehen als viele große Verlage, da unsere Bücher keinen riesigen Apparat finanzieren müssen. So sind vielleicht schneller Titel möglich, von denen man vorher weiß, dass sie nicht unbedingt auf der Bestsellerliste landen werden, die aber literarisch relevant sind. Und zum Glück gelingt es einem ja auch als kleiner Verlag mit dem richtigen Riecher immer mal wieder, den literarischen Diskurs mitzugestalten.

Was machen Sie mit dem Preisgeld?

Natürlich Bücher.  Wir haben noch viele Ideen.

Sternstunde oder Reinfall? Jeden Monat rezensieren wir für unsere Abonnentinnen und Abonnenten mehr als 100 Konzerte, Theatervorstellungen, Choreografien, Bücher, Ausstellungen, Serien oder Filme. Hier finden Sie alle Kritiken – was Sie in Hamburg gesehen, gehört oder gelesen haben müssen!