Hamburg. Das Maskentheater seziert mit „Hotel Paradiso“ im Ernst Deutsch Theater böse das Gastgewerbe. Hinter der Niedlichkeit geht es zur Sache.
Zum Beispiel in der englischen Provinz findet man solche Hotels häufiger: Sie sind liebevoll ausgestattet, sie haben motiviertes (aber auch überfordertes) Personal, es gibt eine Besonderheit. Im „Hotel Paradiso“, mit dem die Berliner Maskentheatergruppe Familie Flöz beim Schleswig-Holstein Musik Festival im Ernst Deutsch Theater gastiert, ist diese Besonderheit eine hauseigene Heilquelle. Na ja. Als Alleinstellungsmerkmal ist das ein bisschen armselig.
Überhaupt hat das Hotel schon bessere Tage gesehen. Die Möbel wirken schmierig, der Aufzug ist defekt, die Tapete von ausgesuchter Hässlichkeit, dass der Küchenchef ganze Schweinehälften durch die Lobby schleppt, entspricht auch nicht den Hygienevorschriften. Und die Belegschaft? Nun ja: Die Seniorchefin hat den Laden kaum noch im Griff, der Nachwuchs konkurriert zunehmend aggressiv um die Geschäftsführung, und das Zimmermädchen beklaut die Gäste. Kein Wunder, dass das Haus nach einiger Zeit seine vier Sterne verliert.
Familie Flöz beim SHMF im Ernst Deutsch Theater Hamburg: Hinter der Niedlichkeit gehts zur Sache
Familie Flöz zeigt diesen so bösen wie melancholischen Abstieg der mediokren Hotellerie mit bewährten Mitteln: Das Darstellerquartett spielt stumm hinter übergroßen, starren Masken, was jegliche Mimik verunmöglicht, stattdessen wird die Handlung mittels Gestik, Tanz, immer wieder auch durch scharf gesetzten Slapstick vorangetrieben. Eine alte Frau balanciert da staubwedelnd (und atemberaubend artistisch) auf einem Stuhl, ein Gast wird nach und nach lädiert, ein zartes Getändel zwischen zwei Figuren wird zum groben Kampf. Und dazu gibt es diese typischen Familie-Flöz-Gesichter, die voll trauriger Ungläubigkeit über das Geschehen ins Leere blicken.
Das 2008 in Stuttgart uraufgeführte „Hotel Paradiso“ ist eines der erfolgreichsten Stücke des Ensembles, was auch damit zu tun hat, dass sich das Gezeigte nicht in einer Nummernrevue erschöpft. Nach einer Phase, in der man die sanft desolate Gesellschaft kennenlernte, entwickelt sich nämlich eine handfeste Krimihandlung: Neuankömmlinge werden per Kreissäge zerteilt, tödliche Unfälle häufen sich, und die melancholischen Losertypen des Beginns entdecken unerwartete Bösartigkeiten an sich. Dass der Auftritt zweier Polizeibeamter als komödiantisches Kabinettstückchen inszeniert wird, erweist sich als Rückgriff auf den Beginn, der hier aber plötzlich unpassend wirkt: Es geht geradewegs in den Abgrund, das Paradies aus dem Hotelnamen erweist sich als veritable Hölle.
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Dieses Maskentheater sieht niedlich aus, aber hinter der Niedlichkeit geht es zur Sache – wenn man eine Verbindung zum Hotelmotiv im Film ziehen möchte, dann ist „Hotel Paradiso“ mehr „Der Knochenmann“ als „Fawlty Towers“, die Beschreibung einer heruntergekommenen Gesellschaft, deren wirtschaftlicher und moralischer Niedergang zu drastischer Gewalt führt.
Dass diese Welt wegen der liebevoll gestalteten Masken ziemlich niedlich daherkommt, ist dabei eine ebenso böse Ironie wie die kunstvoll absolvierten Slapstick-Einlagen, der Tanz und die poetische Grundstimmung: Was wir hier sehen, ist zwar furchtbar. Aber wenigstens macht es großen Spaß.
„Hotel Paradiso“ läuft wieder am 19. und am 20. Juli, 19.30 Uhr, Ernst Deutsch Theater, Friedrich-Schütter-Platz 1, Tickets unter www.shmf.de