Salzburg. Ein „Jedermann“ im Hier und Jetzt: Philipp Hochmair als Turbokapitalist bei den Salzburger Festspielen in Robert Carsens Inszenierung.
Die Rolle seines Lebens, das schreibt sich nicht so leicht über einen Schauspieler und nur eine Partie. Bei Philipp Hochmair aber ist es ganz einfach: Er und dieser „Jedermann“, den der Tod mit nur knapper Vorwarnung aus seinem Luxusleben abholt, das ist ein eindeutiger Fall totaler Rollen-Osmose.
Seit Jahren spielte und verinnerlichte, inhalierte der gebürtige Wiener diese überzeitlich angelegte Klischeefigur, die zu Salzburg gehört wie die Mozartkugeln und der Schnürlregen. Hatte sie schon 2013 in Hamburg am Thalia herausgeballert, mit der eigenen Band räudig verrockt und danach wieder und wieder gegeben, so ziemlich überall. Nun, endlich, war es ganz offiziell Heilsbringer Hochmairs großer Abend auf dem Domplatz, bei den Salzburger Festspielen.
Salzburger Festspiele: Not war ausgerechnet am „Jedermann“
Mehr Urtext-„Jedermann“ als dort, am besten unter freiem Himmel, geht nicht. Vor sechs Sommern war Hochmair kurzfristig für den erkrankten Tobias Moretti eingesprungen, volle Lotte rein ins Risiko, er hatte schon damals längst alle Rollen draufgehabt und bekam einen Knopf ins Ohr, als Fernsteuerung, aber nur fürs Agieren auf der Bühne. Sensation, Jubel, dennoch: zuwarten auf die Gelegenheit, jahrelang.
„Jedermann“-Premiere 2024, Domplatz, wie immer eine beeindruckende Designer-Trachten- und Lederhosen-Dichte auf den harten Holzbänken. Und als wäre man zum Hummeressen auf Sylt eingeflogen und nicht an der Salzach, tragen manche Herren auch dort gern knallrote Hosen zum Janker und als Abrundung braune Wildleder-Slipper.
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Robert Carsen ist für diese Mischung aus harten Fans und neugierigen Touristen nun der neue „Jedermann“-Regisseur. Nach nur einem konzeptionell verunfallten Durchgang mit everybody’s Burgtheater-Darling Michael Maertens, dem Spross einer Hamburger Theater-Dynastie, waren er und der vorherige Inszenierer Michael Sturminger vorzeitig aus ihren Engagements gekegelt worden. Ermüdungsbruch offenbar. Nur schnell zurück aufs Los, anstelle der vorangegangenen One-Jederman-Show mit Lars Eidinger oder einem im Apokalyptischen grübelnden Irgendwiemann. Not war ausgerechnet am „Jedermann“. Arg große Not.
Salzburger Heiligtum: Kanadier Carsen ohne „Jedermann“-Tradition
„Wie graust mir vor dem Tod/der Angstschweiß bricht mir aus vor Not“, bei solchen Rumpelreimen schlagen die Herzen der Hofmannsthal-Ultras zwar sofort im Rhythmus des Versmaßes mit. Der Kanadier Carsen jedoch, als handwerklich solider Opern-Routinier auch bei diesen Festspielen bewährt, hatte nach seiner Verpflichtung entwaffnend betont, dass er keine „Jedermann“-Tradition habe – und genauso unverstellt ginge er auch rein ins Salzburger Heiligtum.
Anstatt zu historisieren oder tiefgründelnd zu generalisieren, hält er der Premieren-Kundschaft zunächst mit viel launiger Gruppendynamik einen genau überzeichnenden Spiegel vor: Hochmairs Wildleder-Slipper zum Sommer-Aufzug sind dunkelblau, sein Aufsagen der altertümelnden Sinnsprüche knattert überdeutlich durch den Text, als sollte bis hinauf in die allerletzte Sitzreihe klar werden, wie sehr Klischee und Klimbim das alles auch ist. Jedermanns Mercedes-Cabrio ist rundumvergoldet (später, bei Jedermanns Kassensturz, werden dessen gesammelte Kunstschätze herbeigetragen: ein Klimt, Munchs „Schrei“, Damien Hirsts mit Diamanten kandierter „For The Love Of God“-Schädel und der womöglich von Leonardo gemalte „Salvator mundi“). Jedermanns Statements vor Kameras und Reportern sind nur hohles Gedröhne. Ein Schelm, der hier bei so viel Understatement nicht an gewisse österreichische Wunderwuzzis denkt, deren windige Immobilien-Deals so gar nicht halten, was sie allen versprachen.
Deleila Piasko als Buhlschaft: mittendrin eine ausdruckspralle Powerfrau
Dann aber: Gehabt euch wohl, ihr edlen Gäste, geht mit Gott, aber geht, ihr auf halb modern gedrehten Minnelieder-Verschnitte früherer Inszenierungen. Die Festgesellschaft lässt es unter großen Discokugeln krachen, in Glitzerfummeln und mit tollen Choreografien ist Jedermanns Party eine astrein versnobte Angelegenheit, schickste Wohlstandsverwahrlosung aus dem Hier und Jetzt durchgepaust, neureich vergoldete Teller und zwei Kokser am Bühnenrand als Pointen-Randbebauung. Und Deleila Piasko als Buhlschaft – nur eine Mini-Rolle, aber immer garantierte Riesenaufregung darum – ist mittendrin eine ausdruckspralle Powerfrau, auf Temperamentshöhe mit ihrem Geliebten. Der Tango wird also, wo sonst, gemeinsam auf dem Tisch getanzt. Der Dicke Vetter (Lukas Vogelsang), normalerweise ein tollpatschig mittelguter Witz, bekommt mit „I Live Until I Die“ eine 1a-Swing-Nummer spendiert und alles amüsiert sich schrecklich.
Bis dann die gar schröcklichen „Jeeedermaaaann!“-Rufe, mehrstimmig, erschallen und es ein Ende haben soll mit der Gier nach Mehr. Frühere Salzburger Tode waren gern formschön verfremdet worden, Carsens Tod hingegen (beeindruckend intensiv: Dominik Dos-Reis) hatte seine Aufwartung anfangs, ganz klassisch, als Priester vor dem Domportal gemacht und überrumpelt sein Opfer nun als einer von vielen Kellnern, der den Wein in Jedermanns Glas in Wasser zurückverwandelt, um ihm den finalen Ernst der Lage zu verdeutlichen.
Ab hier wird es dann endgültig toll mit Hochmair. Er lässt packend sichtbar und mitfühlbar werden, wie seine Figur zerbröselt, wie er schwach, klein, furchtsam jammernd in sich zusammenfällt, weil er, nur in Unterhose, nur ein humpelnder Schatten seiner selbst ist.
Je näher Jedermanns Ableben, desto spiritueller die Umdeutungen der Regie
Für ein rasantes Intermezzo gut erweist sich Kristof Van Boven als Mammon. Am Hamburger Schauspielhaus hatte er zuletzt als Pentheus hoch zu Pferd in Karin Beiers Antiken-Auftakt „Prolog/Dionysos“ beeindruckt, hier wieselt er virtuos überdreht durch seine leider nur kurze Szene.
Je näher Jedermanns angenehm unpathetisches Ableben, desto spiritueller die Umdeutungen der Regie. Als Jedermann der Glaube (Regine Zimmermann) und die Werke (Dörte Lyssewski, schon zu Beginn kurz der Arme Nachbar) erscheinen, nimmt er an einem der ihn beobachtenden Bettlergestalten eine rituelle Fußwaschung vor, wie Jesus an seinen Jüngern. Die letzte Szene bremst Carsen endgültig ins elegisch Raunende ab: Jedermann, geläutert und im weißen Büßerhemd, senkt sich schicksalsergeben in sein Grab. Auch alle anderen, denen der Tod mit einer Handbewegung das Lebenslicht ausknipsen kann, sinken danach zu Boden.
Enormer Jubel, keinerlei Widerspruch gegen die Regie dieses Mal. Könnte also sehr gut sein, dass aus dieser späten „Jedermann“-Chance ein Dauerauftrag für Hochmair und sein Sendungsbewusstsein wird.
TV: ORF 2 sendet am 27.7., 20.15 Uhr, einen Mitschnitt. Die Reise nach Salzburg wurde unterstützt von den Salzburger Festspielen.