Hamburg. Lucy Fricke über eine Diplomatin, die sich von ihrer Zunft abwendet – und Andrea Sawatzki schreibt ehrlich über die eigene Kindheit.
Ein Realist sei von Natur aus eher Pessimist als Optimist, heißt es. Aber wünschte man sich für die internationale Top-Diplomatie nicht eigentlich etwas anderes? Jemanden, der mit kühlem Kopf Idealist ist? Oder, in diesem Fall: Idealistin?
Nun, „Die Diplomatin“ (Claassen, 256 S., 22 Euro), nach der die in Hamburg geborene Schriftstellerin Lucy Fricke ihren neuesten Roman betitelt hat, verliert irgendwann den Glauben an die eigene Zunft und deren Wirkung auf das Weltgeschehen: „Es war lächerlich, so zu tun, als könnte man etwas ändern.“ Zwar spricht die Ich-Erzählerin an dieser Stelle über den Verkehr in Istanbul, wohin sie nach einem Scheitern auf der ersten Konsulats-Station verschickt wird – aber dieser Satz wirkt nicht zufällig allgemeingültiger.
Buchkritik: Lucy Fricke liest im Literaturhaus
Ist es desillusionierend, einen Roman darüber zu lesen, wie desillusionierend die Diplomatie („Die mit den freundlichen Lügen“) für jene sein kann, die mal an sie geglaubt haben? Zumal in Zeiten wie diesen? Durchaus. Aber es so fein und klug, so kurzweilig und gegenwärtig, so greifbar und nachdenklich aufgeschrieben zu bekommen, bereitet halt trotzdem ein großes Lektürevergnügen.
Am Dienstag liest Lucy Fricke bei den Hamburger Frühjahrslesetagen „High Voltage“ im Literaturhaus aus „Die Diplomatin“ (12.4., 19.30 Uhr – es gibt auch Streamingtickets) und erzählt davon, wie ihr während ihrer Recherchen der Einblick in Botschaften und Konsulate bereitwillig gewährt wurde.
Sawatzki schreibt ihr persönlichstes Werk
Andrea Sawatzki (sehr rote Haare, sehr breites Lachen) gewährt ebenfalls Einblicke – in ihre eigene Vergangenheit. Sawatzki ist schon lange nicht mehr „nur“ erfolgreiche Schauspielerin. Wie unter anderem Joachim Meyerhoff, Edgar Selge, Matthias Brandt und ihr eigener Ehemann Christian Berkel schreibt auch Sawatzki Romane – und zwar solche, die auch gelesen werden. Schon ihr Debüt „Ein allzu braves Mädchen“ wurde ein „Spiegel“-Bestseller.
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Mit dem jüngst erschienenen „Brunnenstraße“ (Piper, 176 S., 20 Euro) legt Sawatzki nun ihr vermutlich persönlichstes Werk vor, in dem sie sich der eigenen Kindheit als (zunächst) uneheliche Tochter einer Geliebten und mit einem ihr weitgehend fremden, bald schon dementen Vater nähert. „Roman“ hat sie das Buch trotz der verarbeiteten Erfahrungen genannt, die bei aller Nüchternheit spürbar mehr sind als nur autobiografische Grundierung.
Buchkritik: Diese Lektüre wirkt nach
In kurzen Kapiteln wirft sie knappe, ungeschützte, zugleich fatalistische wie zärtliche Schlaglichter auf ein gänzlich überfordertes, andererseits unkonventionelles, geradezu freies Aufwachsen in der Bundesrepublik der engen 1970er-Jahre. Eine Lektüre, die nachwirkt.