Hamburg. Tsitsi Dangarembga kommt nach Hamburg. Hier spricht die Autorin über ihr Heimatland, die dortige Lage von Frauen und Machtmissbrauch.
Sie gilt als eine der wichtigsten weiblichen Stimmen Afrikas. Als Filmemacherin hat sich Tsitsi Dangarembga auch einen Namen gemacht. Im vergangenen Jahr erhielt die Frau aus Simbabwe den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Damit wuchs auch hierzulande das Interesse am Werk Dangarembgas.
Am Donnerstag stellt die 63-Jährige nun ihre viel gepriesene Romantrilogie, in der es um das Schwarze Mädchen Tambudzai geht, im Literaturhaus vor. Es dürfte für Dangarembga eine willkommene Abwechslung von den Geschehnissen in ihrer Heimat sein. Dangarembga muss sich in Simbabwe vor Gericht verantworten: Im Juli 2020 hatte sie zur Teilnahme an einer Anti-Korruptions-Demonstration aufgerufen und war anschließend vorübergehend verhaftet worden.
Hamburger Abendblatt: Wie geht es Ihnen derzeit in den für Sie persönlich komplizierten Zeiten?
Tsitsi Dangarembga: Alles, was mich von meinem Kerngeschäft fernhält, dem Schreiben und anderer kreativer Arbeit, ist eine Belastung . Zwei Jahre lang mit Anklagen konfrontiert zu sein, gehört definitiv zu diesen ablenkenden Dingen. Aber ich halte mich dennoch gut und behalte all meine kreativen Projekte im Auge. Natürlich nicht alle zur gleichen Zeit.
Derzeit müssen Sie sich vor Gericht in Simbabwe verantworten. Der Grund dafür ist Ihre Verhaftung am 31. Juli 2020 bei einem Protest gegen die Regierung. Wie wahrscheinlich ist eine Verurteilung?
Dangarembga: Ich kann nicht sagen, wie wahrscheinlich eine Verurteilung ist. Das liegt in den Händen des Richters.
Ihre Kritik richtig sich gegen Präsident Emmerson Mnangagwa. In welche Richtung hat er das Land geführt, seit er Präsident ist?
Dangarembga: Ich kann mich eigentlich nicht daran erinnern, Präsident Emmerson Mnangagwa kritisiert zu haben. Bei einigen wenigen Gelegenheiten habe ich eine Frage gestellt oder eine Meinung zu Geschehnissen geäußert. Meine Sorge zielt auf die Beschaffenheit unserer Institutionen in Simbabwe. Ich würde mir wünschen, dass unsere Systeme und Institutionen mehr für die Bürger Simbabwes leisten, um die Lebensqualität der Mehrheit der Bürger zu verbessern.
Wie groß ist die Opposition in Ihrem Land?
Dangarembga: Ich weiß nicht, wie groß die Opposition in Simbabwe ist. Ich gehöre keiner politischen Partei an. Ich bin einmal vor etwa anderthalb Jahrzehnten einer politischen Partei beigetreten. Diese Erfahrung hat mich von dem Gedanken geheilt, jemals wieder einer politischen Partei anzugehören. Was ich weiß, ist, dass immer mehr Menschen über die Probleme reden, mit denen sie konfrontiert sind, wenn sie ihr Leben leben und sich nur die bescheidensten Träume erfüllen wollen. Dies gilt sowohl für Menschen innerhalb als auch außerhalb Simbabwes. Innerhalb des Landes gilt der Kampf dem täglichen Überleben. Außerhalb des Landes sind viele Menschen bis an ihre Grenzen und darüber hinaus belastet, weil sie zunächst einmal arbeiten müssen, um in ihren Gastgeberländern zu überleben, und in zweiter Linie, um genug Geld zu verdienen, das sie nach Hause schicken können, um ihre Familien und oft auch andere Verwandte am Leben zu erhalten und zu versorgen.
Ihr Prozess zeigt das entschlossene Handeln von Präsident Mnangagwa. Befürchten Sie, dass er die Opposition in Simbabwe durch Einschüchterung zum Schweigen bringen könnte?
Dangarembga: Ich kann nicht sagen, ob mein Prozess ein Beweis für das entschlossene Handeln von Herrn Mnangagwa ist oder nicht. Der Zusammenbruch von Recht und Ordnung im Land ist – wie der jüngste schreckliche Mordfall von Moreblessing Ali zeigt – systemisch. Moreblessing Ali war Mitglied der größten Oppositionspartei, der Citizens Coalition for Change. Sie wurde am 24. Mai von einem bekannten Mitglied der Regierungspartei ZanuPf vor Augenzeugen entführt, die den Entführer identifizierten. Ein öffentlicher Aufschrei wurde laut. Aber die Polizei suchte nicht nach ihr und behauptete, der Mann, der sie entführt hatte, sei ein ehemaliger Freund gewesen, weshalb es sich um einen häuslichen Streit gehandelt habe. Ihre verstümmelte Leiche wurde am 11. Juni gefunden. Meldungen aus Simbabwe zufolge wurde vergangene Woche der angebliche Mörder verhaftet.
Wie konnte es dazu kommen?
Dangarembga: Ein solcher Zusammenbruch von Recht und Ordnung geschieht nicht über Nacht. Herr Mnangagwa kam 2017 durch einen Putsch an die Macht. Der Zusammenbruch hatte bereits begonnen, bevor er an die Macht kam. Sein Handeln führt seitdem dazu, dass der Abwärtstrend anhält. Teil dieses Abwärtstrends ist ein Wiederaufleben der Einschüchterung und das Vorgehen gegen abweichende Meinungen. Ich denke, diese Entwicklung wird sich fortsetzen, es sei denn, es gelingt den Menschen in Simbabwe, Druck auszuüben.
Sie haben in den vergangenen Jahren mehrere renommierte Preise erhalten. Gibt Ihnen das eine gewisse Macht in Simbabwe?
Dangarembga: Preise machen in Simbabwe niemanden mächtig. Was einen Menschen in Simbabwe mächtig macht, sind politische oder andere institutionelle Ämter und Geld.
Was erwarten Sie von der deutschen Politik in Bezug auf Simbabwe?
Dangarembga: Neulich hatte ich ein Gespräch mit einem jungen Aktivisten. Wir waren uns einig, dass die politische Arena nicht mehr der Bereich ist, in dem Veränderungen herbeigeführt werden können; weil Recht und Ordnung in Simbabwe aus einer Reihe von Gründen generell erodiert sind. Was wir brauchen, sind effektive Praktiken, die den Aufbau von Wissen und die Veränderung von Denk- und Handlungsweisen in der Bevölkerung fördern. Eine stärkere Förderung solcher Praktiken wäre ein guter Weg, positivere Ergebnisse zu haben, als dies bisher der Fall war.
Wie ist das Alltagsleben in Simbabwe derzeit?
Dangarembga: Das alltägliche Leben in Simbabwe ist derzeit sehr schwierig. Die Inflation ist hoch. Waren und Dienstleistungen sind so teuer, dass sie für viele unerschwinglich sind.
Englisch ist Ihre erste Sprache, Sie haben mehr als ein Jahrzehnt in Deutschland gelebt, wo Sie auch Ihren Mann kennengelernt haben. Wie groß ist der europäische Anteil an Ihrer Identität und an der Identität Ihrer Kinder?
Dangarembga: Es gibt keine europäischen Anteile in meiner Identität. Das ist nicht möglich, da ich die meiste Zeit meiner Kindheit und meines Erwachsenenalters in Simbabwe gelebt habe, und dazu kommt, dass ich melanisiert (dunkel pigmentiert) bin. Das hat dazu geführt, dass ich nicht als Europäer wahrgenommen wurde, und so konnte ich keine europäische Identität entwickeln, selbst wenn ich es gewollt hätte.
Ihre Romane wurden von der Kritik gelobt, sie porträtieren das afrikanische Frauenleben in einem Patriarchat. In Ländern wie England und Deutschland ist die Lage offensichtlich nicht ganz die gleiche. Wie beobachten Sie die weiblichen Kämpfe in der westlichen Welt?
Dangarembga: Je älter ich werde, desto mehr stelle ich fest, dass jeder Mensch auf der Welt seine Kämpfe auszufechten hat. Die Unterschiede liegen in der Art des Kampfes und im Grad seiner Schwierigkeit. Im Allgemeinen haben Frauen in anderen Teilen der Welt ähnliche geschlechtsspezifische Kämpfe wie die Frauen in Simbabwe, denn auch diese Frauen sind Personen, die sich ihres weiblichen Körpers in einer patriarchalischen Welt bewusst sind. Der Unterschied liegt im Ausmaß und in der Art und Weise, wie das Geschlecht mit anderen demografischen Variablen wie Rasse, Klasse, Nationalität und sexueller Orientierung zusammenwirkt. Dies hat einen verstärkenden oder verringernden Effekt darauf, wie hart eine Frau kämpfen muss, um am Leben zu bleiben und diesem Leben einen Wert zu geben, während sie dabei Freude, Frieden und Zufriedenheit erfährt.
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Gibt es Fortschritte in den Lebensumständen afrikanischer Frauen?
Dangarembga: Ich würde sagen, dass es Fortschritte gibt. Aber sie sind sehr langsam und sehr klein. Im Vergleich zu den Fortschritten in der Welt generell sind sie sehr langsam. Ich habe den Eindruck, dass die Kluft zwischen afrikanischen Frauen und anderen demografischen Gruppen insgesamt, relativ gesehen, größer wird und afrikanische Frauen zurückbleiben.
Tsitsi Dangarembga stellt am 23.6. ihr literarisches Werk im Literaturhaus vor. Beginn 19.30 Uhr, Alexandra Antwi-Boasiako moderiert. Infos unter literaturhaus-hamburg.de