Hamburg. Zauberkünstler und Autor Wittus Witt zeigt in seinem neuen Buch die kaum bekannte Geschichte hanseatischer Illusionisten.
Es war einmal eine Hochburg der Magier und Illusionisten. Fauler Zauber? Keineswegs. Ebenso wenig ist es ein Märchen, dass diese Hochburg Hamburg war. Die Geschichte der Zauberkunst in der Freien und Hansestadt ist länger als gedacht, sie reicht einige Jahrhunderte zurück. Es gilt, genauer hinzuschauen, obwohl sich manches wie gute Zaubertricks kaum entschlüsseln lässt.
Wittus Witt hat es dennoch versucht – und er muss es wissen. Der seit 2005 in Hamburg lebende frühere Student der Düsseldorfer Kunstakademie (bei Professor Joseph Beuys), diplomierte Designer und Galerist ist seit Mitte der 70er-Jahre einer der bekanntesten deutschen Zauberer, er war Weltmeister der Zauberkunst in der Sparte Comedy. Jüngst hat Witt ein Buch über die „Zauberstadt Hamburg“ herausgebracht.
Ein Buch aus Anlass des 70. Jubiläums der Magischen Welt
Vorbild, das sagt Witt frank und frei, sei das Buch „Musikstadt Hamburg“ gewesen, das Hermann Rauhe 2008 veröffentlicht hat. In der Tat ähnelt Witts Werk mit der großformatige Hardcover-Ausgabe der „klingenden Chronik“ des Ehrenpräsidenten der Hochschule für Musik und Theater. „Ich habe das ganze Buch selbst gestaltet“, sagt Wittus Witt. Und: Er hat es in seinem eigenen Verlag Magische Welt herausgebracht. Das 70. Jubiläum der ebenfalls vom geschäfts- und recherchetüchtigen Zauberkünstler verantworteten gleichnamigem Fachzeitschrift war willkommener Anlass.
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Auf 228 Seiten und mit mehr als 300 alten, teils verblüffenden Fotos und Abbildungen erzählt Wittus Witt die wenig bekannte Geschichte hanseatischer Zauberkultur bis hin zur Gegenwart. „Ich habe einiges rausgefunden, was selbst Kollegen von mir nicht gekannt haben“, sagt der Autor, dessen Projekt im vergangenen Corona-Jahr reifte. Trotz Kontaktbeschränkungen und monatelanger Schließungen der Theater hatte Witt im September noch seine „Hamburger Zaubernächte“ im Sprechwerk über die Bühne bringen können, zu der er seit 2014 alljährlich Kollegen und Publikum ins Off-Theater nach Borgfelde lädt.
Zum Zirkel zählen auch Manuel Muerte, Constantin Knudsen und Jan Logemann
Dass Wittus Witt ein Mann der Praxis und einer für historische Hintergründe ist, kommt dem Buch zugute. Große Namen von Künstlern und Spielstätten wie der Flora, dem Haus Vaterland oder dem Trocadero ruft der Autor und Herausgeber in Erinnerung, stellt aber auch bis heute existierende Theater wie das Magiculum vor.
Dazu kommen hiesige Mitglieder des Magischen Zirkels wie Manuel Muerte, Constantin Knudsen und Jan Logemann, 2012 Weltmeister im Zaubern mit Spielkarten, sowie das Magier-Paar Möhlmann alias Fredric und Margit. Deren bezaubernde Tochter Alana komplettierte in der Spielzeit 2018/19 mit ihren Auftritten im Hansa Varieté Theater die Familien-Dynastie.
Ohne das Ehepaar János und Rosa Bartl hätte es die „Zauberstadt Hamburg“ nicht gegeben
Ohne das Ehepaar János und Rosa Bartl, das arbeitet Witt heraus, hätte es die „Zauberstadt Hamburg“ wohl nicht gegeben: Bis in die 1960er-Jahre waren beider Zaubergeschäfte am Jungfernstieg und an den Colonnaden Anlaufstelle für Künstler und Zauberfreunde aus aller Welt. Die Witwe Rosa Bartl erfand auch das Kunststück „Etuiso“, das Verschwinden einer Zigarette aus einer Metal-Hülle. Wer ihr Grab im „Garten der Frauen“ auf dem Ohlsdorfer Friedhof besucht, erblickt einen aus Stein gestalteten Zylinderhut, der sich öffnen lässt ...
Und wer hätte geahnt, dass sich 1899 in Hamburg der erste Zauberer-Verein gegründet hat, die Vereinigung zur Förderung der magischen Kunst – ein Vorbild für viele. Eines der Ziele, schreibt Witt, sei das Bestreben gewesen, „gegen das Erklären von Zauberkunststücken in der Öffentlichkeit vorzugehen“. „Simsalabim“ – lang lebe die Illusion!
Dass der Hamburger August Roterberg, 1892 in die USA ausgewandert, den Amerikanern das Zaubern lehrte, überrascht ebenfalls: Dem Zauberei-Unternehmer wird die Erfindung der sich in den Händen der Zauberer vermehrenden Fingerhüte zugeschrieben. Und Roterberg gilt als maßgeblicher Wegbereiter für den weltbekannten Entfesselungskünstler Harry Houdini – er stellte für ihn zahlreiche Spezialschlüssel her.
Showstar Kalanag spielte im Schauspielhaus - aber auch für Hitler
Ein unrühmliches Kapitel spart Witt, vielmehr Malte Herwig als einer seiner Co-Autoren, nicht aus: das des Zauberers Helmut Schreiber (1903-1963). Der war unter dem Namen Kalanag einer der größten Showstars der jungen Bundesrepublik und machte als Magier nach dem Zweiten Weltkrieg Weltkarriere. Seine Zaubervorführungen waren aufwendig und exotisch, zogen die Zuschauer in ihren Bann. Kalanag füllte mit seiner Revue schon 1947 das Deutsche Schauspielhaus, später das Operettenhaus.
Doch sein wohl größtes Kunststück war es, seine zwielichtige Vergangenheit in der NS-Diktatur verschwinden zu lassen. Als Filmproduzent und Präsident des Magischen Zirkels hatte er enge Verbindungen zu Hitler, Göring und Goebbels und für die Nazi-Größen Privatvorstellungen gegeben, derweil viele jüdische Kollegen emigrieren mussten. Ein Faksimile eines Kalanag-Programmhefts und ein Nachdruck der ersten Zauberzeitschrift von 1897 liegen dem Buch bei.
Neue Zauber-Salons
Was die Gegenwart und die Post-Corona-Zeit betrifft, sieht Wittus Witt für die Zauberkunst übrigens gar nicht so schwarz: In den vergangenen Jahren seien in mehreren deutschen Städten, darunter Hamburg, einige neue Zauber-Salons entstanden. „Viele Menschen haben Sehnsucht nach dem unmittelbaren Erlebnis, sie wollen sich verzaubern lassen“, sagt Witt. Sein Buch ist dafür eine kunstvolle Basis – ohne doppelten Boden. Und alles andere als Hokuspokus.
„Zauberstadt Hamburg“ 228 S., Verlag Magische Welt, 47,50 (inkl. DVD und 2 Reprints);
„Hamburger Zauber-Salon“ jeden Fr, 21.00, Galerie-W; www.wittuswitt.de
11. „Hamburger Zaubernächte“ Fr 16.9. bis So 18.9. im Hamburger Sprechwerk