Hamburg. Arno Luik ist bekannt für seine Interviews: In seinem Buch stellt er Menschen wie Ina Müller, Angela Merkel oder Markus Lanz neu vor.

„Als die Mauer fiel, war ich in der Sauna“ – der Titel ist gut, verdammt gut. Automatisch spielt das Politgedächtnis dem Leser einen Streich, weil man an Helmut Kohl denkt, der einst mit dem russischen Präsidenten Michail Gorbatschow in der Sauna verhandelte.

Das Zitat aber stammt von seiner Nachfolgerin Angela Merkel. Entlockt hat es der „Stern“-Reporter Arno Luik im Frühjahr 2000 der damals frisch gebackenen CDU-Chefin. Es kommt nicht oft vor, dass 22 Jahre alte Gespräche noch so faszinieren – aber dem Schwaben und Wahl-Hamburger Luik gelang es, die oft vorsichtige und zurückhaltende Politikerin zu „knacken“.

Buchtipp: Arno Luik ist ein Virtuose des Wortes

Autor Arno Luik.
Autor Arno Luik. © Unbekannt | Andreas Herzau

Arno Luik, Reporter für „Tempo“ und „Wochenpost“ und Mitte der Neunzigerjahre Chefredakteur der „taz“, ist ein Virtuose des Wortes und ein Großmeister des Gesprächs. Seine Einstiege genügen dem Hollywood-Gesetz, mit einem Erdbeben zu beginnen und dann langsam zu steigern. „Über den ersten Satz denke ich sehr lange nach und formuliere sie aus“, erzählt Luik. Sahra Wagenknecht begrüßt er im Gespräch mit „Schatz, vergiss nicht, wer den Kalten Krieg gewonnen hat“.

Das Gespräch mit Inge Jens über ihren dementen Ehemann Walter beginnt mit dem Satz: „Frau Jens, Sie sind die Witwe eines Mannes, der noch lebt.“ Und das Interview mit Ina Müller eröffnet – man ahnt es schon – gleich mit Ina Müller und ihrem ganz persönlichen Wehklagen: „Nackig in der Nordsee könnte ich jetzt schwimmen, drüben am Strand sein, vier, fünf Stunden unterm Schirm in den Dünen liegen, Eis essen, aber nun sitze ich hier, ich opfere Ihnen jetzt diesen herrlichen Tag, ist Ihnen das eigentlich klar, dass ich Ihnen einen Strandtag schenke?“

„Irgendwann in einem Luik-Interview war jeder weich"

Es ist nicht unbedingt ein Vergnügen, mit Arno Luik zu sprechen. Es ist aber ein Vergnügen, ihn zu lesen. Markus Lanz, den der Schwabe 2013 in Hamburg grillte, schreibt im Vorwort: „Irgendwann in einem Luik-Interview war jeder weich und bettelte um Gnade.“ Manchmal spielt sich der 67-Jährige die Bälle mit seinem Gesprächspartner zu, dann jagt er ihn übers Feld und schmettert ihm die Fragen um die Ohren. Das alles ist großes Tennis. Und fehlt dem „Stern“ seit dem Tag, als sich der Autor in den Ruhestand verabschiedet hat.

Luik ist ein akribischer Interviewarbeiter. „Ich bereite mich so auf die Gespräche vor, dass ich stundenlang reden kann“, sagt er dem Abendblatt. Mit Martin Walser wurden es gut neun Stunden am Stück, mit dem Bergsteiger Reinhold Messner sogar elf Stunden, mit Boris Becker gleich mehrere Tage.

„Ich will den Leser verblüffen, überraschen"

Entsprechend langwierig ist die Vorbereitung: Vier Wochen hat er sich vor dem Treffen mit Angela Merkel befasst, Wegbegleiter getroffen, hat sie fast „kriminalistisch durchleuchtet“. Vor dem Interview mit Roland Kaiser besuchte er dessen Konzert, vor dem Treffen mit Ina Müller fuhr er in ihr Heimatdorf Köhlen im Landkreis Cuxhaven. „Ich wollte ein Gefühl für sie bekommen, deshalb bin ich raus aufs Land – diese Gegend, wo die Kühe mürrisch im Morast versinken.“

Auch Quasselstrippe Ina Müller wurde interviewt (Archivbild).
Auch Quasselstrippe Ina Müller wurde interviewt (Archivbild). © picture alliance / | dpa Picture-Alliance

Für das Gespräch überlegt er sich Gags, um Spannung aufzubauen. „Ich will den Leser verblüffen, überraschen – so dass er Lust bekommt, weiter zu lesen. Er soll nicht wegzappen.“ Er versucht, die Antworten vorzuempfinden und sich seine Reaktion zurechtzulegen. „So ein Gespräch ist für mich Stress wie beim Staatsexamen: Ich lerne Fragen auswendig und Zitate, die zum Thema oder der Person passen können.“

Buchtipp: Luik beschreibt Briefwechsel mit Küng

Spannend sind auch die Werkstattblicke, die leider im Buch zu kurz kommen und mehr Platz verdient hätten. Er beschreibt den Briefwechsel mit dem Theologen Hans Küng, in dem er um jede Formulierung ringt, oder zeigt ein Fax, in dem der Gesprächspartner mit der Autorisierung das Interview nachträglich neu erfindet.

Es hätte sich gelohnt, noch ein wenig mehr Bonusmaterial zum „Making of“ zu bekommen – schließlich erschließen seine Interviews neue Welten. Welten der Politik mit dem früheren griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, Welten der Literatur mit Ferdinand von Schirach, der Show mit Roland Kaiser oder der Gesellschaft mit Oswald Kolle. Lesenswert sind sie alle – so wie das Buch.