Hamburg. Zum 100. Geburtstag des bedeutenden Performance-Künstlers soll ein großes, unvollendetes „Gesamtkunstwerk“ im Hafen wieder aufleben.

Pünktlich zum großen Gedenktag haben sich Bettina Steinbrügge, Direktorin des Hamburger Kunstvereins, und Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard zusammengesetzt, um über ein Projekt zu sprechen: das „Gesamtkunstwerk Freie und Hansestadt Hamburg“. Es ist das vielleicht größte, unvollendete Projekt von Joseph Beuys (1921–1986). Jenes vor genau 100 Jahren geborenen Kunstrevolutionärs, der wie kaum ein anderer das Nachkriegsdeutschland geprägt und polarisiert hat mit Fettinstallationen, Filzanzügen und Pflanzaktionen.

Der für die Demokratie geboxt, einem toten Hasen Bilder erklärt und eine „Auschwitz-Vitrine“ errichtet hat. Der bis heute wegen seiner Vergangenheit bei der Hitlerjugend angegriffen, von anderen als Prophet verehrt wird. Der die Grünen mitbegründete, aber als Politiker scheiterte, Familienmensch war, doch bei der Arbeit nur Männer beachtete.

Aber bei allem, und das ist es, was Bettina Steinbrügge besonders interessant an dieser „kontroversen Figur“ findet, gibt es „den ökologischen Beuys, der mit seiner Arbeit nachhaltig gedacht hat, lange bevor dies ein gesellschaftliches Thema war“.

Hamburgs größten ökologischen Problemfall angehen

Joseph Beuys hatte Anfang der 1980er-Jahre den Wettbewerb „Stadt-Natur-Skulptur“ gewonnen und verlangt, „man solle ihm (...) den größten ökologischen Problemfall Hamburgs zeigen, da wolle er ansetzen“. Beuys entschied sich für die Spülfelder im Hafengebiet, der Sonderdeponie für hochgiftigen Elbschlick; 1973 war das Fischerdorf Altenwerder dafür abgerissen worden.

In einem ersten symbolischen Akt sollte eine Basaltsäule aus der Serie „Das Ende des 20. Jahrhunderts“ auf die Felder geworfen und durch das Aufspritzen samenvermischter Erde eine erste Wiederbelebung eingeleitet und das Grundwasser vor Giftstoffen geschützt werden. Doch das mit einem Etat von 400.000 D-Mark bedachte Projekt wurde vom damaligen Bürgermeister Klaus von Dohnanyi gestoppt und 1984 vom Senat abgelehnt. Hamburg und Beuys – keine Erfolgsgeschichte also?

Kooperation von Kunstverein und Kampnagel

Eine Kooperation von Kunstverein und Kampnagel will in diesem Jahr „über Formen der Aktualisierungen nachdenken“ und das Projekt, das als Auftakt zur „ökologisch orientierten Umgestaltung des Stadtstaates“ gedacht war – und damit den Künstler – weiter leben lassen.

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Mit Diskussionsrunden, zu denen auch von Dohnanyi eingeladen werden soll, und einem eigenen Büro in der City, wo sich Vertreter aus Politik, Verwaltung, Umweltverbänden, Fakultäten der Universität und Kultur an einem permanenten runden Tisch treffen – wie Beuys es einst geplant hatte. „Vielleicht wird daraus eine echte neue Ausschreibung“, sagt Steinbrügge. Das Umweltbewusstsein sei heute schließlich ein ganz anderes als vor 40 Jahren.

Ausstellung zum großen Jubiläum in Lüneburg

Die Kunstverein-Direktorin hat in Kassel studiert und dort den großen Erfolg der Beuys-Aktion „7000 Eichen. Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ miterlebt, durch die Kassel „grün wurde“. Diese Langzeit-Performance, die der in Krefeld geborene Künstler zur documenta 1982 initiierte, gilt als eine der bedeutendsten der gegenwärtigen Kunst und ist heute aktueller denn je. Sie steht auch im Zentrum der einzigen norddeutschen Ausstellung anlässlich des Beuys-Jubiläums. Die Kunsthalle der Sparkassenstiftung Lüneburg präsentiert bis zum 1. August Plakate und Multiples.

Fotografien zeigen „den Beuys“ in seiner typischen Kluft aus Hut, Anglerweste, Hemd und Stiefeln, lachend, mit seinen Studentinnen und Studenten an der Düsseldorfer Akademie diskutierend. Dort lehrte er bis 1972 Bildhauerei und brachte Künstlerpersönlichkeiten wie Jörg Immendorf oder Blinky Palermo hervor. Mit seiner Forderung „Jeder Mensch ist ein Künstler“ wollte er die Zulassungsbeschränkungen zu seiner Klasse niederreißen – was die Akademie mit seinem Rausschmiss quittierte.

Gastprofessur an der Hochschule für bildende Künste Hamburg

Im Wintersemester 1974/75 erhielt er an der Hochschule für bildende Künste Hamburg eine Gastprofessur. Man kannte sich bereits von einem Seminar, das Beuys 1970 am Lerchenfeld abgehalten hatte. Die Hamburger Künstlerin Lili Fischer, die zu der Zeit an der HfbK studierte und den Künstler in ihr Fuhlsbüttler Atelier einlud, um ihm „Wassertreten als aktuelle Kunst“ vorzustellen, erinnert sich: „Ich sehe noch Josephs Hut wippen von seinem schallenden Gelächter“.

 Sein vermutlich letzter öffentlicher Auftritt war im Rahmen der Friedensbiennale, bei der Beuys als Telefonstimme bei einer Performance von Nam June Paik und Henning Christiansen am 29. November 1985 in Hamburg mitwirkte, knapp zwei Monate vor seinem Tod.

Joseph Beuys war Humor, Sprachvermögen, Aktion, Protest

Für Brigitte Kölle, Leiterin der Galerie der Gegenwart, wird Joseph Beuys immer „ein wichtiger Künstler sein, der mit seinen Werken das Prozesshafte, Performative vorangetrieben hat. Und ich mag auch den Menschen hinter der Marke, seinen Humor, der bei allem Pathos immer wieder aufblitzte“. In der von ihr kuratierten Ausstellung „Unfinished Stories“, die ab Dienstag wieder zugänglich sein wird, werden auch eine Vitrine, ein Filzanzug und das „Plastisch/thermische Urmeter“ gezeigt.

Die Düsseldorfer Künstlerin Katharina Sieverding, die bei Beuys studiert hat und aktuell in der Sammlung Falckenberg ausstellt, schätzte an ihm „Protest, Aktionen, sein Sprachvermögen“. „Eine Figur, an der man sich reiben kann“, findet Bettina Steinbrügge. „So jemand wie Joseph Beuys fehlt heute.“