Der wichtigste ägyptische Autor Alaa al-Aswani hat mit “Die Republik der Träumer“ einen starken Roman über sein Land geschrieben.

Rund zehn Jahre ist es her, dass am 25. Januar 2011 Zehntausende von Ägyptern gegen Korruption, Folter und den langjährigen Diktator Husni Mubarak demonstrierten. Mitten in Kairo, auf dem Tahrir-Platz, dem Platz der Befreiung. Eine Protestwelle, die sich im ganzen Land ausbreitete und tatsächlich zur Abdankung des Präsidenten führte. Nach ähnlichen Protesten zuvor in Algerien überzog ein nie dagewesener Freiheitsdrang immer mehr Staaten in Nordafrika und dem Nahen Osten. Sodass man bald vom „Arabischen Frühling“ sprach, in Anlehnung an den Prager Frühling, was freilich schon das Scheitern der Freiheitsbewegung vorwegnahm. Nun, zum zehnten Jahrestag, hat der ägyptische Schriftsteller Alaa al-Aswani den Helden des Tahrir-Platzes ein Denkmal gesetzt mit seinem Roman „Die Republik der Träumer“. Auch dieser Titel freilich deutet das Scheitern an.

Es ist ein breit angelegtes Epos, das die damaligen Ereignisse aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet. Da ist ein armer Medizinstudent und seine reiche Kommilitonin, die sich auf dem Platz verlieben und verlieren. Da ist ein junger Bauingenieur, der für entrechtete Arbeiter kämpft, und eine Lehrerin, die sich für Bildung für alle einsetzt. Da ist auch ein älterer reicher Kopte, der nur seiner Lust frönte und plötzlich seine politische Erweckung erlebt. Während ihnen die Sympathie des Erzählers gehört, werden aber auch die anderen gezeigt und mit feiner Ironie gezeichnet: die eiskalte Fernsehmoderatorin, die berechnend ihren Weg nach oben geht und dafür Fake News gegen die Revolution lanciert. Bigotte Religionsvertreter, sowohl bei den Kopten als auch bei den Muslimen, die gegen die Unruhestifter wettern. Und der Geheimdienstchef, der Männer foltern und Frauen vergewaltigen lässt, um das Volk einzuschüchtern. Es ist dessen Tochter, die den armen Medizinstudenten liebt. Und es ist dieser Student, der auf dem Platz kaltblütig vor aller Augen erschossen wird und dessen Ermordung doch nie geahndet wird.

al-Aswanis Geschichte spielt auf dem Tahrir-Platz

Mit seinem reichen Figurenensem­ble zeichnet Alaa al-Aswani, der wichtigste Schriftsteller Ägyptens, ein vielschichtiges Bild seines zerrissenen Landes. Immer wieder hat der 63-Jährige in seinen Büchern Vertreter der unterschiedlichsten Schichten auf engstem Roman aufeinanderprallen lassen: im „Automobilclub von Kairo“ etwa oder in seinem berühmtesten Roman „Der Jakubiyân-Bau“ in einem Wohnhaus, stets als Querschnitt der Gesellschaft.

So auch in seinem neuen Roman. Und wieder auf engstem Raum: diesmal auf dem Tahrir-Platz im Herzen von Kairo, auf dem sich alle Hoffnungen auf Veränderung und Erneuerung entzünden. Und dann doch wieder brutal unterdrückt werden.

Anfangs ist die Gesellschaft in tiefer Agonie erstarrt. Wer etwas werden will, muss zur reichen und das heißt auch: zur korrupten Minderheit gehören oder sein Glück in den Golfstaaten suchen. Alle anderen verharren in Armut, Aussichtslosigkeit und Zynismus. Dann aber werden immer mehr Stimmen, überwiegend der jungen Generation, laut, die in den sozialen Medien eine neue Möglichkeit der Kommunikation finden. Dass das Militär auf die Demonstranten, auf das eigene Volk schießen lässt, führt letztlich zur Abdankung von Mubarak.

Das Militär aber und die Polizei bleiben an der Macht. Und sie kontern mit einer massiven Gegenkampagne in den alten Massenmedien: dem Fernsehen, in dem lauter Lügen erzählt werden, und die Demonstranten, ein altes Lied, als Handlanger des Westens diffamiert werden. Gefängnisse werden geöffnet, Verbrecher gezielt laufen gelassen, um für Destabilisierung zu sorgen, die man den Umstürzlern vorwirft. Bis man schließlich das eigene Volk mit Panzern überrollt. Und heimliche Absprachen mit den Muslimbrüdern trifft. All das erzählt der Autor mit steten Perspektivsprüngen und wechselnden Stilmitteln, in die auch heimliche Briefwechsel und Zeugenaussagen eingewoben werden.

Alaa al-Aswani war selbst Aktivist

Alaa al-Aswani gehörte selbst zu den Aktivisten. Er engagierte sich in der Oppositionsbewegung Kifaya, die Tage auf dem Tahrir-Platz bezeichnet er als die glücklichsten seines Lebens. Auch wenn er danach, wie so viele seiner Landsleute, das Heil des Landes zunächst bei den Muslimbrüdern sah. Aber auch mit diesen rechnet er in seinem Roman ab. Seinen sexsüchtigen Parvenü lässt er anfangs ein Pamphlet mit dem Titel „Die Dienerin ist die Lösung“ schreiben. Eine Anspielung auf den Slogan der Muslimbrüder: „Der Islam ist die Lösung“. Den hat al-Aswani schon in seinen politischen Kolumnen noch zu Mubarak-Zeiten abgewandelt, die er stets mit den Worten „Demokratie ist die Lösung“ enden ließ. Seit 2018 lebt der Schriftsteller im Exil und schreibt aus den USA über sein Land. In dem werden seine Bücher nicht gedruckt, sogar für den Besitz könne man verhaftet werden, sagt al-Aswani: „Wenn man nach Ägypten reist, sollte man das Buch also nicht dabeihaben.“

„Die Republik der Träumer“ ist ein Buch, das erst wütend und dann traurig macht. Immer wieder ist da von dem Stolz die Rede über die lange Geschichte dieses Landes. Immer wieder heißt es aber auch, dass die Ägypter das einzige Volk waren, das seine Herrscher einst als Götter verehrt hat. Und dass sie es bis heute nicht wagen, sich gegen ihre Herrscher aufzulehnen. Bitter im Roman ist deshalb die Entwicklung von Asma, der Lehrerin, die so viel verändern wollte, und am Ende ihr Land, wie al-Aswani, verlassen muss. Nicht nur, weil die Staatsobrigkeit sie erniedrigt und „entehrt“ hat, sondern weil sie den Glauben an ihre Landsleute verloren hat.