Hamburg. Das Theater feiert 30. Geburtstag – mit krachender Unterhaltung und der richtigen Dosis Schwermut.

Corny Littmann ist melancholisch. „30 Jahre Schmidts Tivoli“, sinniert der Theaterleiter zum Jubiläum seines Hauses, „das heißt auch: Alle, die den 1. September 1991 erlebt haben, sind heute 30 Jahre älter. Ich auch.“ Und dann legt sich Schwermut endgültig über die Feierstimmung: „Warum muss ich ausgerechnet heute daran erinnert werden?“ Diese Stimmung prägt die gesamte Geburtstagsgala am Donnerstagabend: Alles will feiern, und Hausherr Littmann ist der missmutige Onkel, der nach ein paar Gläsern Schaumwein anfängt, über die Vergänglichkeit des Daseins zu sinnieren. Reizend.

Diese Schwermut verweist auf das 30-jährige Erfolgsrezept des Theaterkonglomerats am Spielbudenplatz: Ja, man macht hier Unterhaltung. Und, nein, man vergisst dabei nicht das Dunkle, das unter dem Lachen liegt. Im Hit-Musical „Heiße Ecke“ singen entsprechend nicht nur die lustigen Huren vom Einkaufszettelschreiben zwischen zwei Blowjobs, sondern auch die selfieschießenden Touristinnen, die einem vor der Davidswache im Weg rumstehen.

Oder die Junggesellenabschiede, die einem mit ihrer Vulgarität jeden Spaß am Rausch verderben – der Saufhit „Könige der Nacht“ dröhnt dann durchs Galaprogramm und erinnert daran, dass auf dem Kiez eben nicht alles Subkultur, Frivolität und käuflicher Geschlechtsverkehr ist.

Schmidts Tivoli: Eine Achterbahnfahrt des Humors

„Das ist Kleinkunst“, singt Andi Kraus vom Musikcomedy-Trio Eure Mütter dazu, „das ist ganz feine Kunst. Wag bloß nicht zu sagen, das sei keine Kunst!“ Feine Kunst. Die allerdings auch den derben Zwischenklang braucht, um als fein erkannt zu werden: Der kommt von Emmi und Herrn Willnowsky, die ihr „Liebe wird in langjähriger Ehe zu Hass“-Programm zitieren.

„Witze – lieber drunter als drüber“ singt das Duo, nur damit gleich darauf Bodo Wartke in freundlicher Theologiestudenten-Harmlosigkeit einen Rundumschlag gegen Rechtsradikale, Gangsterrapper und religiöse Fundamentalisten unterschiedlicher Ausrichtung vollführen kann. Eine Achterbahnfahrt des Humors, im Schmidt-Programm ebenso wie bei der Gala.

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Was bei einer Gala auch dazu gehört: längliche und lange Dankesreden. Die fallen hier weg beziehungsweise erfreulich kurz aus – Gesellschafter Norbert Aust bedankt sich bei den Mitarbeitern („Ein solch tolles Team sucht man, und wenn man es gefunden hat, behält man es gerne“), Littmann erinnert an verdiente Kollegen wie den Komponisten Martin Lingnau, den Texter Heiko Wohlgemuth und die Kindertheatermacherin und Schauspielerin Carolin Spieß.

Wobei Spieß bei der Gala gar nicht anwesend ist – sie steht auf der Nachbarbühne und spielt das Best-of-Programm „Schmidtparade“. Das ist das Haus nämlich auch: ein Wirtschaftsunternehmen, bei dem der Lappen hochgehen muss. Ein Jubiläum jedenfalls soll den regulären Theaterbetrieb nicht aufhalten.

Begrüßung von Bürgermeister Tschentscher eher frostig

Was den Betrieb aber aufhielt: Corona. Littmann betont immer wieder, dass sie während der vergangenen 30 Jahre keine staatlichen Subventionen erhalten hätten, die Maßnahmen zum Schutz vor der Pandemie hätten allerdings eine mehrmonatige Schließung zur Folge gehabt, und nur die finanzielle Hilfe durch Bund und Stadt während dieser Zeit ermöglichte den Fortbestand des Hauses. Und auch wenn das Schmidt Theater die Distanz zu den Institutionen hochhält: Von der Kulturbehörde fühlt man sich unterstützt. „Von mir aus kann die SPD die Bundestagswahl gewinnen“, meint Littmann, „aber: Kultursenator Carsten Brosda bleibt hier!“ Und damit ist es dann auch gut, mit Liebesbekundungen für die Politik.

Als am späten Abend schließlich Bürgermeister Peter Tschentscher für ein Grußwort reinschneit, ist die Begrüßung entsprechend frostig. „Ein Mann, der in den vergangenen Monaten so manches Leid über diesen Stadtteil gebracht hat“, kündigt Littmann den SPD-Politiker an und erinnert so an Tschentschers Entscheidung für eine Corona-bedingte Sperrstunde ab 23 Uhr, die dem Ausgehviertel fast das Genick brach.

TAuch Hamburgs Erster Bürgermeister wagte sich auf die Tivoli-Bühne.
TAuch Hamburgs Erster Bürgermeister wagte sich auf die Tivoli-Bühne. © Morris Mac Matzen/mmacm.com | Morris Mac Matzen

Doch bevor es zu böse wird: Tschentschers Regierung sorgte auch dafür, dass Gastronomie und Kultur mittlerweile die Wahl haben, ob sie Publikum nach der 2G oder der 3G-Regel begrüßen wollen – entweder, es kommen nur Geimpfte und Genesene und dürfen so fast ohne Einschränkungen teilnehmen, oder man lässt darüber hinaus auch Getestete zu, muss dann aber stärkere Einschränkungen hinnehmen.

Schmidts Tivoli: Corny Littmann ist melancholisch

Die meisten Kulturinstitutionen bleiben zunächst bei 3G, aber das Schmidt traut sich als erstes größeres Theater an 2G: „95 Prozent unserer Gäste sind geimpft oder genesen“, berichtet Littmann von den Publikumsreaktionen auf seine Pläne, also kann er den Schritt wagen, ohne viele Zuschauer zu verlieren. Ein bisschen Gestichel, dann herrscht wieder Harmonie. Tschentscher darf launig erzählen, wie er 1991 als Student auf Kieztour im damaligen Schmidt Theater landete, „einer Bruchbude“. Und dann das große Finale: Das „Heiße Ecke“-Ensemble spielt, singt, tanzt ein Medley, die Konfettikanonen lassen Glitzer regnen, das Publikum von Udo Lindenberg bis Innensenator Andy Grote freut sich. Und nur Corny Littmann ist melancholisch. Schon wieder einen Abend älter.