Hamburg. Das aktuelle Stück von Verena Brakonier über ihr Aufwachsen in der Provinz verblüfft nicht nur durch einen ungewöhnlichen Spielort.

Pillig ist ein Dorf. 459 Einwohner, Kreis Mayen-Koblenz, Rheinland-Pfalz. „Wie billig, nur mit p“, erzählt Verena Brakonier von ihrem Herkunftsort, das Publikum lacht, und Brakonier lacht mit. Pillig, billig, diese Herkunft ist ein Witz, was soll aus so einem Dorf denn für nennenswerte Kunst kommen? Brakonier hat für „Auto-Fiktion – Der Struggle So Real“ einen ungewöhnlichen Spielort gewählt: eine Autowerkstatt in Altona, hinter dem Wohlerspark. In solch einer Werkstatt sei sie aufgewachsen, erzählt sie, zwischen Hebebühne, Druckluftpistole und Altöl-Ablassgerät.

Aber: Der Vater habe ihr zum Beispiel aus einem Eisenrohr eine Ballettstange gebaut, so konnte sie in der Werkstatt trainieren, als ihr Weg zur Kunst zu führen begann. Eine ziemlich coole Socke, dieser Vater. Und nicht unbedingt das, was man sich vorstellt, wenn man sich über die ländliche Arbeiterherkunft der Künstlerin lustig macht. Brakonier leckt Schmieröl, schnuppert an Handwaschpaste: „Die erinnert mich so an meinen Vater!“

„Auto-Fiktion“: Brakonier arbeitet seit 2008 in Hamburg

Studiert hat sie an der Folwang Universität der Künste in Essen, seit 2008 arbeitet sie in Hamburg als Tänzerin und Choreografin, sie erhielt die Nachwuchsförderung der Stadt Hamburg, war Residentin auf K3 und Stipendiatin bei ImPulsTanz Wien. Und doch: „Ich hatte immer Angst, dass ich auffliege.“ Angst, dass man ihr die Künstlerin nicht abnimmt, Pillig, Autowerkstatt, schon klar. Den Pfälzer Dialekt hat sie sich erfolgreich abtrainiert, aber hilft das?

Die Kunstszene ist nicht tolerant. Dass man wenig Geld hat, ist okay, aber das fehlende kulturelle Kapital lässt sich nicht verdienen. Einmal öffnet sie die Schublade an der Werkbank, und darin findet sie: Nüsschen. Einen Hammer. Und ein Buch des französischen Philosophen Pierre Bourdieu, „Die feinen Unterschiede“, in dem beschrieben wird, wie sich eine kulturaffine Schicht durch Habitus und Insiderwissen abzugrenzen weiß. Ein Tipp: Wenn man den Danyel-Gérard-Schlager „Butterfly“ mitsingen kann, dann gehört man nicht dazu. Da kann man noch so versiert eine klassische Tanzeinlage unter der Hebebühne performen.

„Auto-Fiktion“ tut auch weh

„Auto-Fiktion“ tut weh, weil der Abend die Selbstgewissheiten des per Fahrrad angereisten Publikums in Frage stellt. Brakonier hingegen stellt sich vor einen blauen Micra und bekennt stolz: „Das ist mein Auto!“ Und, ja, es gibt gute Gründe, gegen privaten Autobesitz zu sein, aber wenn man das Leuchten in Brakoniers Blick vor dem Kleinwagen sieht, dann merkt man, dass diese guten Gründe ein Glücksgefühl nicht abdecken. Und, natürlich kann man das Glücksgefühl eines anderen Menschen einfach ignorieren. Sympathischer wird man dadurch aber nicht.

„Wann warst du das erste Mal im Theater?“, fragt die Künstlerin im Programmheft. „Und wann in einer Autowerkstatt?“ Ein Publikum, das diese Fragen zu schnell beantwortet, braucht sich auf seine Toleranz nicht allzuviel einzubilden.