Hamburg. Sängerin Nina Chuba setzt auf zeitgemäße Hochglanzbeats. Klinger widmet sein Projekt jenen, die von Corona besonders betroffen sind.
Die gute alte Popkultur setzt ja von Natur aus auf Distinktion. Welcher Vogel hat die bunteren Federn, den schrilleren Schrei, den schöneren Tanz? Insofern ist es ein hübscher Twist, wenn Sängerin Nina Chuba ihre neue EP „Average“ nennt (Mag Musik). Durchschnittlich ist die Karriere der in Hamburg aufgewachsenen Wahlberlinerin jedoch keineswegs. Als Schauspielerin bedient sie von den „Pfefferkörnern“ bis aktuell zu „Bettys Diagnose“ den öffentlich-rechtlichen Mainstream.
In ihrer Musik setzt sie auf zeitgemäße wie clubtaugliche Hochglanzbeats, über die sie ihre Stimme mal soft verzerrt, mal punktgenau rappend schickt. Ihre sechs neuen Popsongs entfalten einen dunkel-hypnotischen Sog. Und mit cooler Ironie kritisiert sie auf „Average“ die Machtmechanismen in den sozialen Medien ebenso wie die Doppelmoral zwischen Öko-Lifestyle und bourgeoisem Bling. Im Video zur aktuellen Single „Beluga“ zeigen Nina Chuba und ihr Team zudem, dass sie in Sachen Inszenierung über dem Mittelmaß fliegen. Die Künstlerin bewegt sich da durch diverse Luxusstereotype und kontrastiert sie lässig rappend im Overall.
Noch eine Spur mehr von der Seite blickt Fritzi Ernst auf die Schräglagen des Alltags. Einst sorgte die Hamburger Musikerin als eine Hälfte des Duos Schnipo Schranke für derbe tiefsinnige Ohrwürmer. „Pisse“ hieß damals ihr munterer Indiehit, der zwischen Genialität und Genitalbereich pendelte. Ihr Gespür für eingängige Popsongs sowie hintersinnige Geradeaustexte hat Fritzi Ernst auf ihrem Solodebüt „Keine Termine“ weiter verfeinert (Bitte Freimachen Records).
Ein eindringlich gespieltes Piano ist die Basis ihrer Daseinsstudien, die sie mit dramatischer Ernsthaftigkeit vorträgt. Nur ab und an reichert sie ihre Lieder mit Produzent Ted Gaier (Die Goldenen Zitronen) mit Geige, Sounds und Beats an. Ob sie nun mit „Trauerkloß“ die Pein des ersten Schultags besingt oder in „Ich flirte mit allen“ die Tarnversuche der Liebe – stets schaut Fritzi Ernst mit viel Menschlichkeit auf unsere ungelenke Existenz. Der Titelsong „Keine Termine“ wirkt weniger wie der perfekte Lockdown-Song, sondern vielmehr so, als sei Antriebslosigkeit die wahre Revolution in unseren effizienzgetriebenen Tagen. Anarchismus, Ängste und Abgründe packt sie in spröde Chansons, die bittersüß nachhallen.
Einen anderen Ansatz mit seinem Klavierspiel wählt der Musiker und Produzent Klinger. Der Hamburger, der unter anderem für Künstlerinnen wie Alin Coen und Vivie Ann arbeitet, widmet sein Projekt „Persona : Perseverance“ jenen, die von der Corona-Krise besonders betroffen sind. In kurzen YouTube-Filmen zeigt er Persönlichkeiten des Hamburger Lebens wie Kneipenbesitzer „Crazy“ Horst oder Schauspieler Daniel Schütter und porträtiert die Protagonisten musikalisch mit reduzierten, intensiven Piano-Stücken.
Der Minimalismus von Musik und Bild entfaltet eine immense emotionale Wucht. Intensiviert durch die freien Kompositionen Klingers kann sich die Wahrnehmung auf die Personen konzentrieren, die einen unter der Regie von Timmi Davis ganz offen anschauen. Die Einzelschicksale von der Risikopatientin bis zur Altenheimbewohnerin, vom Polizisten bis zur Pflegerin münden so in ein kollektives, aber nie kitschiges Empfinden. Eine kunstvolle Aufarbeitung des Pandemie-Geschehens. Und ein schöner Vorbote für Klingers Debütalbum, das im Herbst erscheinen soll.