Berlin. Pilotprojekt: Am Sonnabend laden die Philharmoniker zu einem Live-Konzert vor getestetem Publikum. Wie funktioniert das?

Zuerst habe sie Medizin studieren wollen, erzählt Andrea Zietzsch­mann beiläufig beim Fototermin im Kammermusiksaal. Sie entschied sich anders, aber in der Pandemie ist die gelernte Musikwissenschaftlerin und Betriebswirtin – früher Managerin des NDR Elbphilharmonie Orchesters, heute Intendantin der Berliner Philharmoniker – nun trotzdem massiv mit medizinischen Fragen beschäftigt.

Ihr Kammermusiksaal wird gerade in ein Testzentrum fürs Publikum umfunktioniert. An diesem Sonnabend laden die Berliner Philharmoniker und ihr Chefdirigent Kirill Petrenko dort zu einem Livekonzert – mit Publikum vor Ort. Im Rahmen des Berliner Pilotprojekts Testing sind Zuschauer nach Schnelltests und mit Masken zugelassen. Das Berliner Ensemble, das Konzerthaus Berlin, die Clubcommission, die Volksbühne, die Staatsoper Unter den Linden und die Deutsche Oper sind ebenfalls beteiligt. In Hamburg blickt man nun interessiert auf das Kultur-Experiment der Hauptstadt.

Bereits vor dem zweiten Lockdown gab es Konzerte unter strengen Hygieneauflagen. Welche Regeln werden übernommen, was kommt hinzu?

Andrea Zietzschmann Für das Konzert am 20. März gilt eins zu eins, was unser Publikum zwischen Ende August und Ende Oktober erlebt hat. Es gibt keine Konzertpause, keine Gastronomie, und es gilt die Maskenpflicht. Die Saalbelegung erfolgt im Schachbrettmuster, wodurch wir 1000 Leute ins Konzert einladen können. Wirklich neu ist, dass ein negativer Corona-Schnelltest aus einem der Partnertestzentren vorliegen muss.

Wer ist das Publikum, das sich in nur wenigen Minuten die Tickets online gesichert hat?

Das ist die schönste Botschaft: Die Menschen haben große Sehnsucht nach Kultur! Unsere Karten waren nach drei Minuten ausverkauft. Uns erreichen viele Anrufe und Zuschriften von Menschen, die keine Karten mehr erstehen konnten. Das Pilotprojekt basiert darauf, dass alles digital funktionieren muss. Wir sehen, dass die Konzertbesucher von der Altersstruktur her wesentlich jünger sind, das Durchschnittsalter liegt zwischen 40 und 50. Aber das wird alles nach dem Konzert genau analysiert. Perspektivisch wollen wir natürlich niemanden ausschließen, nur weil er kein Smartphone besitzt.

Was ist das Komplizierteste an diesem Pilotprojekt?

Es ist die noch ungelernte und sehr aufwendige Logistik. Wir hatten zwar bereits ausgefeilte Hygienekonzepte und haben diese nun um die Schnelltests erweitert. Daran hängen natürlich neue Herausforderungen, Kosten und zusätzliches Personal. Wir mussten in nur zwei Wochen neue Abläufe entwickeln, den Kartenverkaufsprozess anpassen und Kommunikationsleitlinien entwickeln, um den Ticketkäuferinnen und -käufern die veränderten Richtlinien und Bedingungen für den Besuch des Pilotkonzerts transparent zu vermitteln.

Wer führt die Tests durch?

Mit der Think.Health GmbH und Goodlive GmbH haben wir für alle logistischen und medizinischen Aspekte zwei äußerst kompetente Partner. Gemeinsam bauen sie vier Teststationen auf, in denen in anderthalb Stunden 480 Leute getestet werden sollen. Wir bauen darauf, dass unser Publikum pünktlich zu den vereinbarten Slots kommt. Wenn viele zu spät kommen sollten, könnte es ein Problem mit der Anfangszeit des Konzertes geben.

Haben Sie Furcht, dass es doch zu Infektionen kommt?

Wir hatten schon im Herbst hervorragende Hygienekonzepte. Wir haben Analysen im Haus gemacht, dass wir mit unserer Klimaanlage, die mit Frischluft betrieben wird, sehr gut aufgestellt sind. Wir platzieren die Besucherinnen und Besucher im Schachbrettmuster, wodurch die Abstände eingehalten werden. Alle tragen durchgehend medizinische Masken. Zusätzlich ist die Zuverlässigkeit von den verwendeten Schnelltests sehr hoch.

Wir wollten neben den dezentralen Teststationen auch die Machbarkeit eines eigenen Testzentrums im Haus ausprobieren. Das Kammermusiksaalfoyer bietet sich an, weil der Saal momentan nicht bespielt wird und er vom Wegeleitsystem her sehr praktisch ist: Man geht zum Vordereingang hinein und in Richtung Künstlereingang wieder hinaus. Falls jemand positiv getestet wird, haben wir sofort medizinisches Personal vor Ort.

Wenn alles gut geht, was genau soll aus dem Pilotprojekt hervorgehen?

Wir schauen auf die Logistik, auf die Ressourcen, die es für den normalen Spielbetrieb braucht. Für uns geht es nicht nur um die Konzerte der Berliner Philharmoniker, sondern auch um unsere Mieter, denen wir ein händelbares Szenario anbieten möchten, das finanzierbar ist. Es ist eine Machbarkeitsstudie für den Regelbetrieb. Auch wollen wir Vorreiter sein für den gesamten Sektor, der hoffentlich von unseren Erkenntnissen profitiert.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Wie ist das Testing bei den beteiligten Philharmonikern organisiert?

Wir machen schon seit Monaten zweimal in der Woche ein PCR-Testing. Für dieses Projekt erfolgt eine zusätzliche Testung der Musiker und des gesamten Personals, das im Einsatz ist. Wir haben uns von wissenschaftlicher Seite her abgesichert.

Die Stimmung in der Kulturszene ist gedrückt. Wie haben Chefdirigent Kirill Petrenko und die Philharmoniker das nur einmalige Pilotprojekt aufgenommen?

Man kann gar nicht in Worten ausdrücken, wie glücklich es die Musiker und Musikerinnen macht, dieses Konzert vor Publikum spielen zu können. Endlich sitzt wieder jemand auf den Rängen. Es ist für alle eine Hoffnung nach den langen Monaten, in denen es nur digital übertragene Konzerte im leeren Saal gab.

Ist das Programm lange geplant gewesen oder ist es extra für den Anlass zusammengestellt worden?

Es ist extra für diesen Abend entstanden. Tschaikowskis „Romeo und Julia“ wurde schon einmal im Januar im Streamingkonzert gespielt. Rachmaninows zweite Symphonie studieren wir jetzt dafür ein. Es sind zwei wunderbare Stücke, die für den Anlass gut gewählt sind.

Lockdowns, ein Pilot, Hygienemaßnahmen und viel Unsicherheit. Wie lange schafft es eine Institution wie die Philharmonie Berlin mental und wirtschaftlich durch die Krise?

Mental gesehen durchlaufen wir seit Monaten Wellenbewegungen. Immer wieder hofft man, dass es im nächsten Monat besser wird. Wir sind schon frus­triert über die sich dahinschleppende Impfsituation, denn eine schnelle Immunisierung ist Teil unserer Planungen. In dieser Woche freuen wir uns über den Versuchsballon. Es ist ein Experiment, das Handlungsoptionen stiften soll für kulturelle Veranstaltungen in Corona-Zeiten.

Finanziell sind wir 2020 einigermaßen über die Runden gekommen. Wir hatten ein Defizit von acht Millionen Euro, wovon noch das Kurzarbeitergeld und die November- und Dezemberhilfen abgezogen werden. Die Auszahlungen der Hilfen sind noch laufende Vorgänge. Verbindlich können wir unseren Jahresabschluss erst im Mai oder Juni vorlegen.

Gibt es Überlegungen in der Philharmonie, als Unternehmen alle Mitarbeiter durchzuimpfen?

Auch das diskutieren wir intensiv. Wir sind im Gespräch mit einer Praxis, die uns bei allen Pandemie-Fragen betreut und auch eine Impfpraxis werden soll. Wir suchen nach weiteren praktischen Umsetzungsmöglichkeiten, da ein Impfnachweis auch für unsere Gastspieltätigkeit künftig eine große Rolle spielen wird.