Hamburg. 1979 wurde das „Sonnenblumen“-Ölgemälde im NDR-Funkhaus entwendet. Taucht jetzt auch das Nolde-Aquarell-Gemälde wieder auf?


Der Wachmann der Firma Power hat nicht nur breitschultriges Türsteher-Format, er schaut auch einigermaßen ernst und respekteinflößend. Immerhin muss er an diesem Freitagmittag in einem Konferenzsaal des NDR an der Rothenbaumchaussee einen Millionenwert beschützen: Emil Noldes 1926 entstandenes Ölbild „Sonnenblumen“.

Intendant Lutz Marmor hat geladen, um vom (jedenfalls teilweisen) Happy End einer mysteriösen Kriminalgeschichte zu berichten. Die nahm ihren Ausgang im Mai 1979, direkt nach Pfingsten. Aus einem verschlossenen Raum auf dem NDR-Gelände waren zwei Nolde-Bilder verschwunden, die der Sender (damals noch als NWDR) im Jahr 1950 für 10.000 beziehungsweise 1000 D-Mark angekauft hatte: die „Sonnenblumen“ und das Aquarell „Landschaft mit Bauernhaus“.

Die von der Hamburger Kriminalpolizei sofort eingeleiteten Ermittlungen blieben ­ohne Ergebnis, 1980 wurde das Verfahren eingestellt. Da sich keine Einbruchsspuren feststellen ließen, lag der Verdacht nahe, dass der Täter beim NDR beschäftigt war. Allein, es fehlte der Beweis.

„Sonnenblumen“ bis zu 1,2 Millionen wert

Daran, dass die 72 mal 90 Zentimeter großen „Sonnenblumen“ jemals wieder auftauchen würden, glaubte längst niemand mehr, doch dann bekam NDR-Justiziar Michael Kühn im Mai 2017 Post von einer Berliner Anwältin. Die teilte mit, im Auftrag einer Mandantin zu handeln, die im Besitz des gestohlenen Nolde-Werks sei. Ihr inzwischen verstorbener Mann habe es Ende der 70er-/Anfang der 80er-Jahre von einem inzwischen ebenfalls verstorbenen Freund als Geschenk erhalten. Dieser sei beim NDR als Produktionshelfer beschäftigt gewesen und habe das Bild angeblich „für kleines Geld“ aus dem Requisitenfundus des Senders erworben. Nachforschungen ergaben, dass dieser Freund zur fraglichen Zeit tatsächlich beim NDR angestellt war.

Auch wenn die Details der ­Geschichte nicht mehr zu überprüfen sind, ging man sofort in Verhandlungen über die Rückgabe des Werks. ­Allerdings habe vonseiten des NDR nie im Raum gestanden, den vom Auktionshaus Sotheby’s geschätzten Wert von 900.000 bis 1,2 Millionen Euro zu zahlen. Nach langen Verhandlungen ­einigte man sich auf einen „Finderlohn“ für die Berliner Witwe in Höhe von 20.000 Euro.

Natürlich erst, nachdem namhafte Experten, darunter der Kunsthistoriker Ulrich Krempel, bis 2014 Direktor des Sprengel Museums in Hannover, die Echtheit des Werks ­bestätigt hatten. „Es war nicht gerahmt und ist 40 Jahre nicht gereinigt worden“, so Krempel. „Besonders liebevoll ist man in dieser Zeit also nicht mit den ,Sonnenblumen‘ umgegangen.“

„Sonnenblumen“ bleiben nicht in Hamburg

Die liebevolle Pflege steht jetzt ganz oben auf der Agenda der Verantwortlichen. Unter Glas und gerahmt ist das wertvolle Stück immerhin schon einmal. Und unter Glas wird es bleiben, auch wenn Emil Nolde selbst seine Werke ohne derartigen Schutz präsentiert sehen wollte.

Doch die „Sonnenblumen“ bleiben nicht in Hamburg und schon gar nicht an einer Wand im NDR-Funkhaus, sie gehen auf Reisen. Lutz Marmor: „Wir möchten das Bild allen Menschen in Norddeutschland zugänglich machen. Zusammen mit großen Kunstmuseen im Norden arbeiten wir an einem Ausstellungskonzept für die ,Sonnenblumen‘ in allen vier NDR-Ländern.“ Den Anfang macht im Frühjahr 2019 das Sprengel Museum in Hannover, es folgen die Kunsthalle Hamburg (2020), die Kunsthalle Kiel (2021) und schließlich das Staatliche Museum Schwerin (2022).

Über die Identität der Witwe kann Justiziar Kühn nichts sagen, da ihr Anonymität zugesichert wurde. Sie be-hauptet, davon ausgegangen zu sein, dass es sich bei dem Werk um eine ­Kopie handele. Erst als sie nachforschte, wo das Original hänge, sei sie im Nolde-Werkverzeichnis auf den Eintrag „gestohlen“ gestoßen und habe sich über ihre Anwältin an den NDR ­gewandt.

Darum musste der NDR das Werk zurückkaufen

Nach geltender Rechtslage erlischt der Anspruch des ursprüng­lichen Besitzers auf Herausgabe nach zehn Jahren, sofern der aktuelle Besitzer „gutgläubig“ ist, also nicht von einem Diebstahl ausging. Deshalb ­bestand nach Einschätzung des NDR-Justiziars nur die Möglichkeit des Rückkaufs, um wieder in den Besitz des Bildes zu gelangen.

Was mit dem ebenfalls entwendeten Aquarell „Landschaft mit Bauernhaus“ geschehen ist, das Nolde um 1920 malte, bleibt ungewiss. Laut Kunsthistoriker Krempel gibt es immer wieder Fälle, in denen Diebe damit überfordert sind, die gestohlenen Werke zu veräußern. Etwa weil ihnen die notwendigen Kontakte fehlen, um weltberühmte Bilder in den Kunstmarkt-Untergrund zu bringen.

Emil Noldes Aquarell „Landschaft mit Bauernhaus“ ist noch immer verschwunden.
Emil Noldes Aquarell „Landschaft mit Bauernhaus“ ist noch immer verschwunden. © Nolde-Stiftung Seebüll/Reprodukt | Nolde-Stiftung Seebüll/Reprodukt

Bisweilen komme es sogar dazu, dass wertvolle Werke verbrannt werden, um Spuren zu verwischen, wenn sich herausstellt, dass so ohne Weiteres kein Geld mit ­ihnen zu verdienen sein wird.

Im Fall der „Sonnenblumen“ ist das noch einmal gut gegangen. Und nun gibt es beim NDR sogar etwas Hoffnung, dass auch das Nolde-Aquarell wieder auftaucht.