Hamburg. Seit fast 65 Jahren gehört Addi Münster zur Old Merry Tale Jazzband. In der Laeiszhalle feiert der Posaunist den 66. Geburtstag der Combo.

„Rock- und Popmusik?“ Jost „Addi“ Münster zögert einen Moment. Und dann noch einen. Geht gedanklich weit in die eigene Geschichte zurück, in die späten 50er- und beginnenden 60er-Jahre, die Zeit des Rock ‘n‘ Roll eines Bill Haley oder Elvis Presley, später die Zeit der weltweiten Beatles-Hysterie, aber da ist nichts. Oder jedenfalls fast nicht. „Ja, man hat das schon mal gehört“, sagt er schließlich, und was mitschwingt ist: Aber es hat mir nichts bedeutet. Mitte, Ende 20 war er damals, 86 Jahre alt ist Addi Münster heute – und noch immer schlägt sein musikalisches Herz einzig für den Traditional Jazz, für Oldtime und Dixieland.

Seine erste große Liebe, die ihn Anfang der 50er-Jahre voll erwischte und der er bis heute treu geblieben ist – seit 1957 als Posaunist in der ein Jahr zuvor gegründeten Old Merry Tale Jazzband, die am 12. Februar mit einem Jubiläumskonzert in der Laeisz­halle in Hamburg ihren 66. Geburtstag feiert.

Addi Münster: Mit Jazz auf der Erfolgswelle

Wie alles anfing, daran erinnert sich der ehemalige Steuerberater mit erfolgreicher eigener Praxis noch genau: „In der Ernst-Merck-Halle spielten 1952 Posaunist Jimmy Archey and his Riverboat-Five. Ich war mit ein paar Klassenkameraden bei dem Konzert, und wir waren so begeistert, dass wir hinterher beschlossen, selbst eine Jazzband zu gründen.“

Was als Freizeitspaß mit teilweise geliehenen Instrumenten begann, wurde nach Münsters Einstieg in die Old Merry Tale Jazzband bald zu einem Beruf, mit dem sich eine Menge Geld verdienen ließ. Und so beschlossen die Musiker 1960, sich für zwei Jahre vollkommen auf ihre Jazz-Karriere zu konzentrieren und für diese Zeit aus dem bisherigen Berufsleben auszuscheiden. „Wir haben fast jeden Tag live gespielt“, erinnert sich Münster, „sonntags sogar zweimal“.

Engagements führten sie nach Düsseldorf und Köln, nach Mannheim und Frankfurt – und natürlich war die Band auch in Hamburg an zwei bis drei Monaten im Jahr zu erleben. „Jeder von uns verdiente damals etwa 1000 D-Mark, das war wesentlich mehr, als unsere Väter monatlich nach Hause brachten. Und auch deutlich mehr, als ich bis dahin als Steuerinspektor bekommen hatte“.

1962 war das Monatseinkommen der Old-Merry-Tale-Mitglieder auf bis zu 3000 D-Mark gestiegen – während das durchschnittliche Gehalt eines Arbeiters bei etwa 600 D-Mark lag. Überhaupt schwamm die Band zu dieser Zeit auf einer Erfolgswelle, auch dank jazziger Schlager wie „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh’n“ oder „Hallo kleines Fräulein“.

Old Merry Tale Jazzband und norddeutsche Geschichte

Und doch zog es Addi Münster nach Ablauf der zwei Jahre wieder zurück in ein geordnetes Berufsleben: Hat er die Zeit on the road nie vermisst, als er dann wieder über Steuererklärungen saß? „Nein“, sagt er. „Wir haben ja weiterhin Konzerte gespielt und Schallplatten aufgenommen.“ Tatsächlich war die Old Merry Tale Jazzband jahrzehntelang einer der Stargäste bei den Hot Jazz Meetings in Frankfurt, Düsseldorf und im Hamburger CCH.

Auch mit dem großen Dixieland Festival in Dresden, bei dem die Band schon zu DDR-Zeiten auftrat, verbindet Münster selige Erinnerungen. Die allerschönste stammt allerdings aus der Zeit nach der Wende: „1990 sind wir mit einem Schiff auf der Elbe bis nach Dresden gefahren. 10.000 Menschen standen bei unserer Ankunft am Ufer und auf den Brücken. Das ist unvergesslich.“

Wer mit Münster die Stationen der Old Merry Tale Jazzband Revue passieren lässt, kommt dabei immer wieder an markante Eckpunkte vor allem der norddeutschen Geschichte. So waren die Old Merry Taler 1972 zu den Olympischen Spielen eingeladen und traten in Kiel vor den Teilnehmern der Segelwettbewerbe auf, 1973 spielten sie bei der Einweihung der „Schwimmoper“ genannten Alsterschwimmhalle: das Klavier auf dem Drei-Meter-Brett, Banjo, Bass und Schlagzeug auf fünf Meter, die Bläser um Addi Münster ganz oben in zehn Metern Höhe.

Sein Vorsitz bei FC St. Pauli und Corona

Dass Oldtime Jazz mit seiner Traditionspflege und musikalischen Vorhersehbarkeit nicht gerade die hippste Musik ist, ist Münster durchaus bewusst. Aber anders als manch Szene-Vertreter, der sich verbittert über mangelnde Aufmerksamkeit beklagt, sieht der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende des FC St. Pauli („In unserer Zeit wurde Corny Littmann Vereinspräsident.“) die Dinge eher positiv.

Zum einen gebe es für diese Musik sogar eine internationale Szene („Wir haben auch in Bulgarien und Sacramento gespielt“), zum anderen sei die Überalterung der Musiker- und Fanszene ein deutlich kleineres Problem, als man erwarten würde.

„Viele Besucher haben früher ihre Kinder mit zu den Konzerten gebracht, und die kommen inzwischen auch allein zu uns.“ Für Nachwuchs ist also gesorgt. Allerdings: Corona hat wie überall für eine massive Talsohle gesorgt.

Für die Szene wichtige Läden wie der Cotton Club oder der Jazzclub Bergedorf mussten monatelang schließen, auch die Jazz-Frühschoppen in der Fa­brik konnten nicht stattfinden. Was nicht nur Addi Münsters Old Merry Tale, sondern auch die seit Mitte der 80er-Jahre parallel existierende Traditional Old Merry Tale hart getroffen hat.

Laeiszhalle: Jubiläumskonzert mit Gute-Laune-Sound

Die Band ganz ähnlichen Namens ist das Ergebnis interner Streitigkeiten, die damals sogar in ein Gerichtsverfahren mündeten. Doch inzwischen hat man sich längst versöhnt und tritt bisweilen sogar gemeinsam auf. Übrigens auch beim Jubiläumskonzert in der Laeiszhalle.

Mit Bassist Reinhard Zaum wird neben Münster noch ein weiteres Bandmitglied aus den Anfangstagen auf der Bühne stehen und gemeinsam mit dem Publikum in einem Gute-Laune-Sound schwelgen, der auch sieben Jahrzehnte nach seiner Hochphase noch viele Menschen ziemlich glücklich macht.

Addi Münsters Old Merry Tale Jazzband + Traditional Old Merry Tale Jazzband Sa 12.2., 18.00, Laeiszhalle, Großer Saal, Karten ab 29,50 im Vorverkauf