Hamburg. Sebastian Kreyer inszeniert Nora Abdel-Maksouds Stück zwischen bösartigem Boulevard und sozialkritischer Dekonstruktion.
Svenja wählt links, ist für eine Finanztransaktionssteuer und lebt in einem sozial durchmischten Stadtteil. Ihre Nachbarn sind echte Arbeiter, und Svenja ist auch mit ein paar von ihnen befreundet. Na ja, mit einem, und zwar mit Aram. Und mit dem ist sie auch nicht wirklich befreundet, sondern der ist ihr Masseur, ihr Kellner, ihre Putzhilfe. Svenja ist Künstlerin.
Die als Hospizclown arbeitet, aber am liebsten würde sie ein Kulturzentrum leiten. In der Goldenen Möwe. Doch neuer Hausherr in der Möwe soll Aram werden, und da ist Svenja ganz schnell nicht mehr links und solidarisch. Da lässt sie den Don raus, ihre innere Stimme, die all das ausspricht, was sie sich selbst nicht zu sagen traut, eine Art politisch inkorrektes Tourette.
Nora Abdel-Maksouds „Café Populaire“ ist ein schreiend komisches Stück. Theater, das niemanden schont, weder die selbstgerecht gutherzige Svenja noch Aram, der am Ende auch nicht der erwartete proletarische Musterknabe ist, und auch nicht Püppi, die altlinke Besitzerin der Goldenen Möwe, die die Bewerber mit sadistischer Freude gegeneinander ausspielt. Und am allerwenigsten Don, der seine Menschenfeindlichkeit zwischen öliger Souveränität versteckt und dabei vor allem eine neurechte Witzfigur darstellt.
Etwas überdreht, aber liebevoll ausgestattet
Die freilich hin und wieder was Wahres sagt. Zum Beispiel, dass er gemeinsam mit Martin und Daphne in Svenjas Kopf herumspuke, und als diese fragt, wer Martin und Daphne seien, antwortet er: „Martin ist der Teil von dir, der sich wünscht, dass deine Eltern sterben, damit du ihr Haus erbst. Daphne ist der Teil von dir, der gerne onaniert, zu …“ Dann bricht der Text ab, aber Svenja hat schon verstanden.
Uraufgeführt wurde „Café Populaire“ am 26. April 2018 in Zürich. Im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses hätte Regisseur Sebastian Kreyer eine groß als „Hamburger Fassung“ angekündigte Variante des Textes (die sich nur in Nuancen von der Urfassung unterscheidet) schon vor einem Jahr inszenieren sollen, was durch den Corona-Lockdown vereitelt wurde.
Nicht schlimm – die Vorlage hält das aus, als Zwischending zwischen bösartigem Boulevard und sozialkritischer Dekonstruktion in früher René-Pollesch-Überdrehtheit. Zumal die Inszenierung liebevoll ausgestattet ist mit einem Bühnenbild aus der Hand von Thomas Dreißigacker, mit Kostümen von Marie Roers und Video- und Sounddesign von Valerij Lisac.
Die fiese Svenja, das sind wir alle
Und darüber hinaus ein hochmotiviertes Ensemble zur Verfügung hat: Anja Laïs stattet Svenja mit großer Desillusionierung aus, mit der Erkenntnis, dass das freie Künstlerinnenleben doch nicht so frei ist wie gedacht. Eva Maria Nikolaus gibt Püppi mit Mut zu Überbiss und krachledernem Volkstheaterspiel. Und Maximilian Scheidt legt in Aram alle Klischees, die migrantische Comedy zu bieten hat. Außerdem spielt Kreyer selbst mit, als Don, und ein bisschen ahnt man, dass Kreyer als Akteur inspirierter sein könnte als als Regisseur.
Ein kluger Einfall ist es jedenfalls, Bühnenarbeiter und Souffleurin einzubeziehen: Da hat das künstlerische Personal Gelegenheit, ein bisschen aufs hauseigene Proletariat herabzuschauen. Gut, vielleicht ist das auch weniger klug als vielmehr naheliegend, aber es funktioniert. Und es zeigt, dass sich das Schauspielhaus hier selbst nicht schont. Die fiese Svenja, das sind wir alle.
Wir alle, das ist wörtlich zu verstehen: In einer gemeinen Schlussvolte spielt Abdel-Maksoud den Ball ins Publikum, und da bleibt er dann liegen. „Warum man hier so gut Witze über Arme machen kann?“, fragt die längst auf die dunkle Seite gewechselte Svenja. „Weil sie sich die Karten eh nicht leisten können.“
„Café Populaire“ wieder am 5.9., 18 Uhr, 8. und 9.10., 19 Uhr, Malersaal (U/S Hauptbahnhof), Kirchenallee 39, Tickets unter T. 040/248713