Hamburg. Die Staatsoper organisiert für Covid-Langzeitgeschädigte mit dem UKE Reha-Maßnahmen für die Atemmuskulatur.

„Blubbern Ihre Wangen mit?“, fragt die Mezzosopranistin Kristina Stanek ins iPad hinein, nach einer Atemübung mit Strohhalm und Wasserflasche. Ihr Gegenüber ist ein Hamburger Long-Covid-Patient, man hört ihn leise blubbern und pusten. Die Umstände – konzentrierte Atemübungen übers Tablet im leeren Foyer der Staatsoper, beobachtet von einigen Journalisten und Kameras – wären unter normalen Umständen schon reichlich skurril.

Doch normalerweise wäre Stanek in diesen Tagen einige Meter weiter vielleicht anders aktiv, auf der Bühne, als Orlofsky in der neuen „Fledermaus“. Stattdessen ist sie Teil eines Projekts, mit dem die Staatsoper und das UKE Covid-Folgen bei Betroffenen mildern wollen.

Viele Corona-Patienten leiden später unter chronischer Luftnot

Über die massiven, unvorhersehbaren Langzeitfolgen weiß man nach über einem Jahr Pandemie noch längst nicht alles. Viele kommen glimpflich davon. Viele sterben. Und viele leiden weiter, unter anderem unter quälender, chronischer Luftnot, weil die geschwächte Atemmuskulatur nicht zu ihrer alten Form zurückfindet.

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 Es hat schon etwas leicht Ironisches, dass nun ausgerechnet eine Instanz wie die Hamburger Staatsoper, an der das professionelle Singen vor Publikum seit Monaten höchstbehördlich verunmöglicht ist, einer Instanz wie dem UKE hilft, durch eben diese gesangstechnischen Atemübungen therapeutische Fortschritte bei Long-Covid-Patienten zu erzielen.

Großer Bedarf an Hilfe

 Vor allem aber ist es ein großer Trost, eine große Hilfe, eine zutiefst menschliche Geste der Hilfsbereitschaft und des Mitgefühls. Ein Geben und Nehmen. Was sich hier und jetzt als sinnvoll erweist, wird den zukünftigen Umgang mit weiteren Patienten erleichtern.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Staatsopern-Intendant Georges Delnon sagte zu diesem Projekt, es sei sofort Begeisterung im Haus aufgekommen, als die Idee, einem Vorbild aus Großbritannien folgend, Form annahm. „Der Bedarf an Hilfe ist groß.“ Die Effekte von regelmäßigen Gesangs- und Atemübungen auf die Lunge, den Körper und die Seele sind nicht zu unterschätzen“, betonte auch Dr. Hans Klose, Leitender UKE-Pneumologe.

Experten gehen von drei bis fünf Prozent Long-Covid-Fällen bei allen Erkrankten aus

 Er nannte die Atem-Lektionen ein „Leuchtturmprojekt in ganz, ganz grauen Zeiten“. Bislang konnte man lediglich Symptome auflisten, aber keine konkrete Therapie anbieten. Seit April treffen sich nun Ensemblemitglieder zweimal wöchentlich virtuell mit Patientinnen und Patienten, um in dreißigminütigen digitalen Einzel-Coachings zu zeigen, wie sie langfristig ihre Atemfunktionen verbessern können. Aus vier Freiwilligen wurden zehn.

An Interessenten für die Übungen wird leider kein Mangel herrschen. Konservative Schätzungen, so der Pneumologe, gehen von drei bis fünf Prozent Long-Covid-Fällen bei allen Erkrankten aus. Klose begleitet das Projekt wissenschaftlich. Es sei „ein Highlight der letzten Monate, weil man den Patienten endlich etwas anbieten kann“. Alles hilft besser als das bisherige Verwalten von Leiden. „Wir trainieren Körper und Seele, beide sind betroffen.“

Übungen zu Körperhaltung und Atemkontrolle

15 Patientinnen und Patienten nehmen teil, sie wurden in Abstimmung mit niedergelassenen Hamburger Pneumologen ausgewählt. Zu Beginn und am Ende des sechswöchentlichen Unterrichts werden Lungenfunktion und Atemmuskelkraft gemessen. Außerdem wird die Lebensqualität durch Fragebögen erfasst. „Wir wissen, dass Singen bei Menschen mit chronischen respiratorischen Erkrankungen Lungenfunktion und Lebensqualität verbessert“, erklärt Klose, „wer könnte die Post-Covid-Patientinnen und -Patienten besser unterstützen als die Gesangsprofis der Staatsoper.“

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

In das Training fließen Übungen zu Körperhaltung und Atemkontrolle ein. Tief durchatmen, ansonsten eine Selbstverständlichkeit unterhalb der alltäglichen Wahrnehmungsgrenze - hier ist es das ersehnte Ziel. Kunst heilt, das sagt sich leicht. In dieser Ansicht steckt viel Wahres. Doch Atmen, richtiges, effektives Atmen? Viel schwerer, als man denkt.

Geduld und klare Ansagen

„In dieser schwierigen Zeit die Staatsoper Hamburg an unserer Seite zu wissen, um unseren Patientinnen und Patienten bei der Bewältigung ihrer Beschwerden infolge einer Covid-19-Erkrankung zu unterstützen, erfreut uns sehr“, hatte Hermann Reichenspurner erklärt, stellvertretender Ärztlicher Leiter des UKE-Herz- und Gefäßzentrums. Er dankte den Sängerinnen und Sängern „außerordentlich“.

Kristina Staneks Unterrichts-Werkzeuge sind Geduld und klare Ansagen: „Schnell rein, schnell raus“ soll die Luft in einer Übung, es geht um Kontrolle und Stärkung, auch des Selbstvertrauens. Ihrem Patienten der letzten Wochen wurde kürzlich bei einem Lungencheck eine Steigerung von 40 auf 60 Prozent attestiert. Es wirkt also, auch bei Stanek: „Man hat sich wieder nützlich und sinnvoll gefühlt.“