Hamburg. Anfang Januar wird der Tag der Blockflöte gefeiert – Grund genug, dem Blasinstrument ein liebevolles Pro und Contra zu widmen.
PRO:
Nichts als eine Reihe von Achteln hat die Blockflöte zu spielen. Aber in dieser unerbittlichen und zugleich tröstenden Regelmäßigkeit liegt ein ganzes Glaubensuniversum.
Georg Philipp Telemann muss sich der Wirkung sehr sicher gewesen sein, dass er der Blockflöte in der Arie „Brecht, ihr müden Augenlider“ den Puls anvertraute. Aber auch die weltliche Blockflötenliteratur ist überreich an witzigen, hinreißend schwungvollen oder auch anzüglich schmachtenden Melodien.
Wirklich gut spielen zu lernen, ist sehr anspruchsvoll
Warm, beseelt, weich tupfend oder gar lasziv gleitend: Blockflötentöne sind berückend schön. Der Klang dieses einfachen Stücks Holz mit ein paar Löchern darin greift unmittelbar ans Herz des Hörers, womöglich weil die Spielweise dem menschlichen Gesang von allen Instrumenten am nächsten ist. Der Atem fließt gleichsam direkt hinein. Und Atem und Seele gehören ja nun einmal zusammen.
Was für ein Geschenk das scheinbar so schlichte Instrument ist, daran soll zum Tag der Blockflöte erinnert werden. Die Blockflöte hat nämlich ein Imageproblem, und das ist ihre Doppelgängerin namens Blockflöte.
Will heißen: Blockflöte ist nicht gleich Blockflöte. Auf der einen Seite haben wir Dutzende von Modellen in allen Größen von handlang bis mannshoch, gefertigt aus den edelsten Hölzern, gespielt von begabten und hochqualifizierten Musikern in einer überwältigender klanglicher Vielfalt. Auf der anderen Seite schrillt das Heer der Fabrikinstrumente mit einer vereinfachten, der sogenannten „deutschen“ Griffweise aus Kunststoff, traditionell in Klassenstärke – und erstickt bei sensiblen Kindern die Freude am Spielen im Keim. Diese Plastikexemplare kann man nach Gebrauch en gros in die Spülmaschine stecken, stimmen muss man sie auch nicht großartig – solche Rahmenbedingungen haben mit Kunstausübung ungefähr so viel zu tun wie ein Plastikbecher mit einer Tasse Meißner Porzellan.
Verhängnisvolle Pädagogik
Der schlechte Ruf der Blockflöte verdankt sich also zumindest auch einer Pädagogik, die es den Kindern leicht machen will und ihnen dadurch etwas Elementares vorenthält: die Erfahrung, mit dem, was man tut, ernst genommen und gefordert zu werden. Wenn aber niemand etwas dagegen tut, dass die Intonation einer Flötengruppe in den Ohren schmerzt, machen die Kinder innerlich zu. Und merken sich: Flöte ist doof.
Wirklich gut Blockflöte spielen zu lernen, ist sehr anspruchsvoll. Wie jedes Blasinstrument lässt sie sich nur zu einem persönlichen, facettenreichen Klang herbei, wenn die Feinmotorik von Fingern, Zunge, Mund und Atem stimmt. Aber die Mühe lohnt. Wer je erlebt hat, was ein Consort, also ein mit unterschiedlichen und unterschiedlich großen Blockflöten besetztes Ensemble, alles an Stimmungen und Klangfarben beschwören kann und wie Künstler wie Dorothee Oberlinger oder Maurice Steger ihr Publikum mit Inspiration und Virtuosität hinreißen, der ist für immer immun gegen die rufmordende Verwechslung mit der „falschen“ Blockflöte. Verena Fischer-Zernin
CONTRA:
Wir erinneren uns noch sehr gut, wie wir seinerzeit im Kinderzimmer die Poster unserer Musikidole anhimmelten und sie vor dem Spiegel imitierten: Mit einer Banane oder dem pinken Hunde-Kauspielzeug aus dem schwesterlichen Nachttisch eiferten wir den weltgrößten Blockflöten-Stars nach: Pedro Memelsdorff! Frans Brüggen! Kees Boeke! Wir sahen uns wie unsere Helden in der Bielefelder Rudolf-Oetker-Halle auftreten, umjubelt von Dutzenden Fans! Natürlich nicht.
Die Blockflöte ist die Stechmücke unter den Instrumenten
Die Blockflöte ist die vielleicht einsamste Einbahnstraßen-Sackgasse, die man als angehende Musikerin oder Musiker ansteuern kann: die Stechmücke unter den Instrumenten. Zu irgendwas wird sie schon gut sein – bloß kann einem niemand erklären, wozu eigentlich. Außer in der Alten Musik (die ihren Namen sehr zu Recht trägt) sind die kulturellen Spuren der Blockflöte entsprechend homöopathisch: Die Beatles („The Fool On The Hill“) und Led Zeppelin („Stairway To Heaven“) hatten damals wahrscheinlich eine Wette verloren oder waren so druff, dass sie einen Blockflöten-Part für irgendwie rebellisch hielten.
Dabei gibt es nicht Spießigeres als die „O Tannenbaum”-Tröte, mit der schon Generationen von Kindern es ihren Eltern akustisch heimgezahlt haben. Schuld ist natürlich die Schule. Nach dem Krieg sollte der Jugend etwas Harmloses beigebracht werden. Hausmusik! Nur kosten sollte es wenig, wir hatten ja nichts. So wurden Millionen Sopranblockflöten in C (und Politiker für DDR-Alibiparteien) geschnitzt, und die Nachkriegsgeneration litt in der Folge nicht nur Hunger, sondern auch noch an Gehörschäden, besonders nach Heiligabend. Mit etwas Übung konnte der tirilierende Nachwuchs eine ganze Schrankwand der Marke Gelsenkirchener Barock zum Einsturz bringen – nur mit zwei Runden „Stille Nacht” in Tinnitus-dur.
Wer Blockflöte spielt, ist irgendwo mal extrem falsch abgebogen
Für ein Musikinstrument entscheidet man sich nicht aus Zwang, sondern aus Freude am Klang, aus leidenschaftlicher Verehrung von Vorbildern und Rollenmodellen, aus Hingabe zu Liedern, die man nachspielen möchte. Wer also Blockflöte spielt, ist irgendwo mal extrem falsch abgebogen. Immerhin ist ein Ende in Sicht: Das vermaledeite Teil ist nur noch das viertbeliebteste Instrument an Musikschulen nach Klavier, Gitarre und Violine, Tendenz weiter sinkend. Noch greifen aber jährlich 60.000 Menschen zur Flöte, diesen sei an dieser Stelle zugerufen: Schreib dich nicht ab – lern Klavier oder Gitarre (unseretwegen auch Banjo, Triangel oder Kesselpauke)!
Für Blockflöten gibt es keine Hoffnung, keine Zukunft, nur Vergangenheit. Es gibt auch keine Aussicht auf einen Platz in einem klassischen Sinfonieorchester oder in einer Band, höchstens eine zugige Ecke zwischen Räuberspieß- und Handbrot-Stand auf dem Mittelaltermarkt. Und bereits im Mittelalter hatten Flöten kein gutes Image. Fragen Sie mal in Hameln. Tino Lange und Alexander Josefowicz