Hamburg. Die Wendland-Rocker Madsen begeistern beim ersten Konzert in der Halle am Volkspark seit 18 Monaten – 706 Fans dürfen dabei sein.
Manchmal wünscht man sich die Zeiten zurück, als die Kassiererinnen und Kassierer im Aldi die Preise der Waren mit Überschallgeschwindigkeit per Hand eingaben, deutlich schneller als die heutigen Scannersysteme. Auch am Eingang zur Barclaycard Arena werden die Discounter-Tastenklopper am Mittwoch vermisst: Ticket einscannen lassen, Impfcode einscannen lassen, selber mit der Eventim-App einen QR-Code für die Kontaktdaten scannen.
Das dauert. Noch eine Runde in der Einbahnstraßen-Loipe um die Getränkeinsel drehen, aus drei Cola-Varianten oder Wasser wählen (Alkohol gibt es nicht), dann sind wir drin. Beim ersten Konzert in der Barclaycard Arena seit Deichkind am 7. März 2020.
706 Fans bei Madsen in Barclaycard Arena
„Bude voll People“ war damals einer der letzen Songs, den die Arena noch unter Volllast mit 12.000 Besucherinnen und Besuchern erleben durfte. Jetzt, beim aus dem Mai verschobenen Auftakt der Reihe „Restart“ mit den Wendland-Rockern Madsen, ist die Bude leer. 700 jeweils zu zweit platzierte Fans verlieren sich in der Theatervariante mit vorgezogener Bühne und bestuhltem Innenraum und Unterrang. Es hat was von einer Turnhalle: Wenn auf dem hintersten Sitz im Unterrang jemand spricht, hört man es in der ersten Reihe, wenn auch undeutlich, weil permanente Maskenpflicht herrscht: „Holft fu mir noff ne Cola? Muff noff fahren, hahaha!“
Aber die 700 machen Lärm wie 7000, als nach drei Liedern von Lampe im Vorprogramm Madsen auf die Bühne kommt. Und die Madsen-Brüder Sebastian (Gesang), Johannes (Gitarre) und Sascha (Schlagzeug) sowie Niko Maurer (Bass) und die bei Konzerten stets verstärkenden Lisa Nicklisch (Keyboard) und Martin Krüssel (Gitarre) sind noch lauter.
Publikum singt sich die Seele aus dem Leib
Mit „Na gut dann nicht“, „Mit dem Moped nach Madrid“, „Macht euch laut“ und „Goodbye Logik“ gibt es das volle Gitarrenbrett vor den Kopf geknallt. Klar, Madsen ist nicht Metallica oder Slayer, aber nach 18 Monaten ohne Stromgitarren, nach einem Jahr voller langsam ermüdender Unplugged-Open-Air-Abende und Akustik-Streams überrollt Madsen das ausgehungerte Publikum wie ein auf der Autobahn umkippender Laster voller Bowlingkugeln.
Sebastian Madsen blättert im Rockstar-Katalog der Mitmach-Aktionen und sieht und hört, was die Fans noch nicht erlebt haben: Wo sind die Hände! Setzt euch! Springt auf! Seid mal laut. Jetzt die Ladys! Jetzt die Jungs! Das Publikum steht die ganze Zeit und singt sich die Seele aus dem Leib. Das ist mehr als beachtlich, denn schon nach ein, zwei mitgegrölten oder mitgehüpften Zeilen geht einem unter der Maske die Puste aus. Im Kopf klingeln die „Sirenen“, mit denen Madsen den gleichnamigen Song einheult. Atemlos durch die Nacht. Zum Glück mit Madsen und nicht mit Helene Fischer.
Freiluft-Konzerte erinnern weniger an Pandemie
Leere Halle, 3G und Maskenpflicht, und nur die Menschen auf der Bühne trinken – verschämt – Bier. Das klingt alles nicht sehr einladend für die noch kommenden „Restart“-Abende mit Selig am Sonnabend und Thees Uhlmann am Montag. Bei den Freiluft-Konzerten im Stadtpark, auf Steinwerder, in Planten un Blomen oder im Dockville-Uferpark ist die Pandemie schon spürbar weiter weg als in der Halle, die an der Fassade und auf den Fahnen schon den neuen Namen „Barclays Arena“ trägt. Hier ist der neue, bissige Song „Quarantäne für immer“ vom aktuellen Album „Na gut dann nicht“ (2020) noch sehr präsent: „Draußen wird alles immer schlimmer. Ich bleib in meinem Zimmer - Quarantäne für immer.“
Doch trotz der widrigen Umstände ist es ein schöner Konzertabend. Madsen hat ein Händchen nicht nur für Konfettikanönchen, sondern auch für denkwürdige Auftritte. Sie spielten als letztes im alten Molotow, als erstes im neuen Molotow und markieren jetzt den Neustart in der Barclaycard Arena, der auch ein Signal für die immer noch unfreiwillig orientierungslose Livebranche sein soll.
Schlagzeuger Sascha Madsen zieht es die Schuhe aus
Die Fans sind jedenfalls völlig aus dem Häuschen hier bei „Du schreibst Geschichte“ und singen den ersten Refrain alleine, so lang der Atem reicht. „Großen Respekt, auch für euren Mut, überhaupt ein Ticket zu kaufen“, bedankt sich Sebastian Madsen, der in seinen Worten das Gefühl hat, „im Wembley Stadion“ zu sein. Ein kleines, großes Handymeer strahlt bei der Ballade „So cool bist du nicht“, das zieht Sascha Madsen die Schuhe aus, er spielt auf Socken.
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Das Ende der 90 Minuten rückt näher. Ein Besucher nippt zum Luftholen an seiner leeren Colaflasche, denn nur zum trinken darf die Maske kurz abgezogen werden. Durchatmen. „Zugabe“-Rufe. Für den Start der Verlängerung hat sich Madsen „Wir nennen ihn Mücke“ ausgesucht, eine Ode an ihren Emsländer Tourgitarristen Martin „Mücke“ Krüssel.
Publikum sendet Botschaft aus der Barclaycard-Arena
Eine mehr als schöne Geste, auch stellvertretend für die vielen Tour-Musikerinnen und Musiker und Crewmitglieder, für die diese Zeiten wirklich düster sind. Als letzten Song gibt es nach „Die Perfektion“ natürlich den größten Hit, der auch die passende Botschaft aus 706 Kehlen an alle Musikfans und an Politik und Gesellschaft schickt: „Ich kann nicht tanzen, doch ich will. Du hast ein ähnliches Gefühl. Lass die Musik an! Lass die Musik an!“