Hamburg. Das Ernst Deutsch Theater zeigt in seiner 70. Spielzeit Tschechow, Schiller, ein aktuelles Stück über Identität sowie „Charlys Tante“.
Ein halbes Jahr lang prangte über dem Haupteingang des Ernst Deutsch Theaters weithin sichtbar der Schriftzug „Bleiben Sie gesund!“. Seit einigen Wochen jedoch weisen die roten Buchstaben auf ein Corona-Testzentrum hin, das für alle zugänglich ins untere Foyer des Hauses integriert ist. Am Freitag nun herrschte nach Monaten der Stille auch im Theatersaal wieder Betrieb.
Zwar gab es noch kein Schauspiel zu erleben, indes Neuigkeiten und Überraschungen, als Intendantin Isabella Vértes-Schütter auf der Bühne das Programm für die 70. Spielzeit präsentierte. „Ein Programm, mit dem wir neue Wege für eine bunte Gesellschaft, Toleranz, Vielfalt und Respekt gehen wollen“, so die Chefin des Privattheaters.
Neben ihr saß außer Dramaturg Stefan Kroner, dem kaufmännischen Geschäftsführer Jens-Peter Löwendorf und Mia Massmann (Leiterin der Jugendsparte plattform) ein Hamburger Ehrenbürger: John Neumeier, Intendant des Hamburg Balletts, wird zum Ende der kommenden Spielzeit erstmals konzeptionell Regie am Ernst Deutsch Theater führen.
Neumeier: „Höchste Zeit“ für ein neues Thema
„Die Unsichtbaren“ heißt das neue Werk. In dem sollen Tänzerinnen und Tänzer des 2011 von Neumeier gegründeten Bundesjugendballetts zu Musik, Gesang und Texten künstlerisch ausloten, wie sich Deutschland in den 1920er-Jahren für moderne Tanzrichtungen öffnete, bevor die Nazi-Diktatur diesen ein jähes Ende bereitete, viele Tänzer emigrierten oder ermordet wurden
„Ich lebe und arbeite jetzt seit fast 60 Jahren in Deutschland. Es ist höchste Zeit, dass ich mich mit diesen Thema auseinandersetze“, sagte Neumeier, dessen Recherche für „Die Unsichtbaren“ noch längst nicht abgeschlossen ist. Uraufführung soll am 16. Juni 2022 sein, Co-Regie hat Kevin Haigen. Der Hauptballettmeister des Hamburg Balletts war für seine Inszenierung des Ernst-Deutsch-Theater-Projekts „Bundesjugendballett trifft Shakespeare“ mit dem Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares 2019 geehrt worden.
Intendantin Vértes-Schütter spielt in „Harper Regan“ mit
Mit einer Preisträgerin desselben Jahrgangs gibt es ein Wiedersehen: Anika Mauer, damals als herausragende Darstellerin für die Titelrolle der Sophie im gleichnamigen Drama geehrt, in dem sie das Leben einer Frau zwischen sechs und 87 Jahren verkörperte, spielt vom 20. Januar an die Titelrolle in Simon Stephans’ „Harper Regan“. Eine Frau, deren Leben sich nach dem Tod ihres Vaters radikal wandelt. Hier wirkt Isabella Vértes-Schütter auch selbst mit.
Einer anderen Mares-Preisträgerin hat die Chefin die Regie von „Don Carlos“ anvertrauet: Mona Kraushaar, für „Maria Stuart“ am Ernst Deutsch Theater 2018 gelobt, hat am 17. März mit dem zweiten Schiller-Klassiker Premiere.
Regie-Maniac Anatol Preissler inszeniert mit Aljinovic „Onkel Wanja“
Gleich zwei weitere Arbeiten soll an der Mundsburg der Regie-Maniac Anatol Preissler abliefern. Nach „Bunbury“ und „Adel verpflichtet“ will der gebürtige Münchner vom 7. Oktober bis 6. November Richard Alfieris internationalem Erfolg „Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“ neues Taktgefühl vermitteln. TV-Star Gila von Weitershausen und ihr Tanz-und-Spiel-Partner Mark Weigel sind zurzeit für Kostümproben am Alten Teichweg. Auch bei Preisslers Regie von „Onkel Wanja“ (Premiere: 21.4.), ist die Titelrolle mit Boris Aljinovic prominent besetzt. Der Ex-„Tatort“-Ermittler hatte im Ernst Deutsch zuletzt als US-Major in „Der Fall Furtwängler“ überzeugt.
Nicht bloß nostalgisch, auch komisch soll es zur Weihnachts- und Silvesterzeit zugehen: Mit „Charlys Tante“ steht ab 25. November an „die Mutter aller Travestie-Komödien“ (Vértes-Schütter) an. 45 Jahre nach seinem Vater Jörg Pleva erfüllt die Intendantin seinem Sohn Anton Pleva den Wunsch nach seiner „Traumrolle“. An seiner Seite gibt Maria Hartmann die echte Tante, Adelheid Müther inszeniert.
„Träum weiter“ - ein Stück der Trägerin des Deutschen Filmpreises
Den Spielzeitauftakt macht am 19. August ein aktuelles Stück mit einem Ensemble, das laut Vértes-Schütter „schöner und diverser nicht sein könnte“. Mohammad-Ali Behboudi inszeniert „Träum weiter“ von Nesrin Şamdereli. Das Drama um ein Mädchen auf der Suche nach einer lebbaren und widersprüchlichen Identität hatte 2019 am Schauspielhaus Bochum Uraufführung. Es ist das erste Theaterstück Şamderelis, die für das Drehbuch zu „Almanya - Willkommen in Deutschland“ 2011 den Deutschen Filmpreis erhalten hatte, und zugleich das erste von sieben Abo-Stücken.
Apropos: Die Zahl der Abonnenten sei im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit um gut zehn Prozent auf jetzt 4500 zurückgegangen, sagte Jens-Peter Löwendorf. Für dieses Geschäftsjahr rechnet der kaufmännische Direktor dennoch mit einem „ausgeglichenen Ergebnis“. Dank der Treue der Abonnenten, Spenden von Hamburger Theatergemeinde und Volksbühne, Geld von der Hamburger Kulturbehörde sowie der November- und Dezember-Hilfe des Bundes.
Doch sollte das 744-Plätze-Haus auch im August nur mit der bisherigen Kapazität von maximal 185 Plätzen spielen können. sei das Ernst Deutsch Theater weiterhin auf Hilfe von Stadt und Bund angewiesen. Normalerweise müssen die Einnahmen aus dem Verkauf 70 Prozent des Budgets decken. Und wann die kleine plattform-Bühne und die Gastronomie an der Mundsburg wieder öffnen können, ist noch völlig unklar.
Programm/Vorverkauf: T. 22 70 14 20; www.ernst-deutsch-theater.de