Hamburg. Franca Parianen erklärt in ihrem neuen Buch „Teilen und Haben – Warum wir zusammenhalten müssen, aber nicht wollen“ Ungerechtigkeiten.

Von der Uni auf die Bühne an den Schreibtisch: Franca Parianen (31) hat eine ungewöhnliche Karriere eingeschlagen. Die studierte Neurowissenschaftlerin erforschte am Max-Planck-Institut in Leipzig und am Helmholtz Institut der Universität Utrecht den Ursprung und Aufbau unseres Zusammenlebens – Themenschwerpunkte: Hirn, Mensch und Mitgefühl.

Die Wahlberlinerin war 2016 Finalistin der deutschen Meisterschaften im Science-Slam, trat bei Kongressen, in Theatern und auf Messen auf. In Hamburg hatte sie einen ihren letzten Science Slams vor dem Lockdown – in der Hochbahn versuchte sie, Wissenschaft zu vermitteln, während sie in der U3 von Wagen zu Wagen spurtete und im Hintergrund die Hafenkulisse vorbeizog.

 „Das hat schon was ganz Besonderes“, sagt die Autorin noch heute. Nach dem Bestseller „Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?“ und dem Buch „Hormongesteuert ist immerhin selbstbestimmt“ schrieb Franca Parianen ihr neues Debattenbuch „Teilen und Haben – Warum wir zusammenhalten müssen, aber nicht wollen“ im Vorjahr auch unter dem Eindruck der Corona-Pandemie.. Die Autorin sieht sich als „krisenfest“.

Hamburger Abendblatt: Frau Parianen, vor einigen Jahren sagten Sie bei einem ihrer erfolgreichen Slams unter dem Motto „Hirn, wir brauchen Hirn“ mal „Menschen sind furchtbar ansteckend“. Dass es 2020 zu einer Pandemie kommt, hätten Sie aber nicht gedacht, oder?

Franca Parianen (lacht): Ich hätte mir wirklich gewünscht, es wäre bei der metaphorischen Ansteckung von Gedanken und Gefühl geblieben! Andererseits ist die Beobachtung eine ähnliche: Die ganzen Menschen in unserer Umgebung werden uns plötzlich sehr bewusst. Auch, dass sie verdammt nah an uns dranstehen.

Zugleich sagten Sie damals bei Ihrem Slam-Beitrag, als Mensch könne man sich „mit allem Möglichen anstecken: Freude, Stress, Wut, Ekstase“. Nach mehr als einem Jahr Corona, was überwiegt?

Parianen: Im Moment teilen wir wohl alle das Gleiche: Frustration. Im letzten Buch habe ich mal geschrieben, dass das, was Stress für uns unerträglich macht, der Kontrollverlust ist. Und seit Oktober leben wir alle in diesem Worst-Case Szenario: sich abmühen und einschränken, ohne Erfolgserlebnisse oder Perspektive. Die quälendsten Maßnahmen sind die, die zu schwach sind, um zu wirken. Und zur eigenen Hilflosigkeit kommt noch das Gefühl , dass die die das Ruder rumreißen könnten, das Steuer abgegeben haben.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Zu den Themen Pandemie und Verteilungskämpfe schreiben Sie in Ihrem neuen Buch „Teilen und Haben“ pointiert: „Das Einzige, was da verteilt wird, sind Viren, und die will per Definition keiner haben.“ Verstärkt die Krise soziale Ungleichheit!?

Parianen: Auf jeden Fall. Diejenigen, die immer schon wenig vom Gewinn abbekommen haben, ächzen jetzt auch noch unter den Kosten der Pandemie. Nicht nur durch ein größeres Ansteckungsrisiko. Wir machen uns Sorgen um ‚Leistungsträger‘, während Pflegekräfte am Limit arbeiten, muten jedem Privathaushalten mehr Maßnahmen zu, als dem handelsüblichen Großraumbüro, und wenn die Kinderbetreuung ausfällt, halsen wir die Doppelbelastung ganz selbstverständlich den Eltern auf. Dabei wünscht sich die Wirtschaft Nachwuchs ja mindestens genauso dringend, und dementsprechend hätten wir die Kosten ja auch aufteilen können: Eltern bekommen Zeit für ihre Kinder, Staat und Wirtschaft schultern den Arbeitsausfall. Das passt zu einem Grundproblem: Geteilte Kinderversorgung ist die Fähigkeit, der unsere Spezies das große Gehirn verdankt, zusammen mit geteiltem Wissen, und Nahrungsmitteln. Aber genau diese Bereiche sind heute prekär finanziert.

Im Buch analysieren Sie, dass sich fast alle Bewegungen unserer Zeit um das „Teilen und Haben“ drehen, Fridays for Future etwa, aber auch Black Lives Matter und #MeToo. Haben diese womöglich ähnliche Ursachen?

Parianen: Überall geht es darum, wer den Großteil abbekommt an Geld, Macht und Ressourcen, und wer die Kosten dafür trägt, wenn dabei aus Versehen ein Gletscher schmilzt. Natürlich haben all die Konflikte ihre eigenen Wurzeln und eine eigene Geschichte, aber dass sie sich im Moment so häufen, hat auch damit zu tun, dass wir es Jahrzehntelang verpasst haben, an einer inklusiveren und gerechteren Gesellschaft zu arbeiten.

Und wie kann die Kultur dem entgegenwirken und den Solidaritätsgedanken am Leben erhalten oder sogar neu beleben?

Parianen: Kultur hat die einzigartige Möglichkeit, die ganzen unwissenschaftlichen Binsenweisheiten zu hinterfragen, die uns zurückhalten, dass Geld nach unten tropft und wir Plastikmüll in den Griff kriegen, wenn der Einzelne nur genug Jutebeutel nutzt. Dafür müssen wir aber auch raus aus unserem eigenen Kopf, hin zu Studien und neuer Information. Doppelt wichtig, weil Kultur auch Diskurs lenkt.

Franca Parianen: „Teilen und Haben – Warum wir zusammenhalten müssen, aber nicht wollen“, 144 Seiten. Dudenverlag, Preis: 12 Euro.