Hamburg. Andrea Rothaug, Geschäftsführerin des Vereins RockCity Hamburg, über Ungleichheiten, die sich durch die Pandemie noch verstärkt haben.

Am kommenden Montage wird wieder der internationale Frauentag begangen. Doch wie steht es um die Gleichstellung in Zeiten von Corona? Wir fragten Andrea Rothaug, Geschäftsführerin des Vereins RockCity Hamburg sowie Gründerin der Initiative Music Women Germany, wie sie die Lage in der Popbranche aktuell einschätzt.

Hamburger Abendblatt: Themen wie Gendergerechtigkeit und Diversität standen vor der Pandemie in der Musikbranche zunehmend auf der Agenda. Wie ist es um die Chancengleichheit nach einem Jahr Corona bestellt?

Andrea Rothaug: Die Krise verstärkt bereits vor Corona existierende Ungleichheiten. Der Gender Pay Gap sowie viele Erhebungen bestätigen, dass Frauen auch außerhalb von Pandemiezeiten schlechter bezahlt und unverhältnismäßig wenig in hohen Positionen verankert sind: Das bedeutet, dass sie in Krisenzeiten schneller in prekäre Verhältnisse rutschen. Die weltweite Umfrage „She told us so“‟ von CARE International bestätigte das. 55 Prozent der Frauen berichteten, dass der Einkommensverlust eine der größten
Auswirkungen von Covid-19 für sie darstellt. Nur 34 Prozent der befragten Männer berichten gleiche Erfahrungen. Das lässt sich eins zu eins auf die Branche übertragen.

Sind in der Popbranche arbeitende Mütter besonders von der Pandemie betroffen?

Rothaug: Mütter sind zurzeit überall besonders mehrfachbelastet ohne Betreuungsnetz und gewohntes Einkommen. Wenn das eigene Einkommen wie jetzt gerade wegfällt, die Nothilfen nicht ankommen, das eigene Unternehmen keine Umsätze mehr macht, wenn das Berufsverbot das Geschäft in rote Zahlen bringt. Die Mütter rotieren 24/7, auch um ihre Kinder im Homeschooling zu betreuen. Es fehlt an Unterstützung, Familienbüros, Beratungsstellen in jeglicher Form. In der Musik beobachten wir natürlich genau dasselbe. Mehr Frauen scheiden aus dem Musikberuf früher und länger aus und erhalten früher Hartz IV.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Können Digitalformate womöglich auch eine Chance sein für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Musik?

Rothaug: Digitalformate sind eine Chance, sich im Musikbusiness neu aufzustellen, für Männer und Frauen. Doch die digitale Welt ist keine Parallelwelt, sondern dort bilden sich unsere gesellschaftlichen Parameter ab. Digitalformate bieten tatsächlich eine sehr gute Möglichkeit in puncto Vernetzung und Produktion, aber sie bringen kaum Einkommen, bedürfen Know-how und natürlich Raum, Zeit und Geld. Mehr Sichtbarkeit für Frauen, zum Beispiel auf digitalen Bühnen, hängt auch hier von aktiver Initiierung ab, das leisten wir zurzeit etwa mit der Konzert- und Netzwerkreihe Club Of Heroines, die bundesweit stattfindet.

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Haben sich in der Krise neue Formate für Akteurinnen, von der Tontechnikerin bis hin zur Künstlerin, entwickelt?

Rothaug: Die Music Women Germany initiieren zurzeit weitere bundesweite Netzwerke, wie aktuell die musicSwomen in Sachsen, die sich im Februar 2021 ganz neu gegründet haben. Wir wissen, dass aktuell neue Studien geplant sind und auch verschiedene Stiftungen sich des Themas annehmen. Wir beobachten, dass viele Netzwerke, die im Thema Geschlechtergerechtigkeit und Diversität in der Musik arbeiten, aktuell ihre Programme digitalisieren und aktualisieren, um mehr Sichtbarkeit für Musikfrauen zu erreichen. Insgesamt schauen wir aber auf eine Branche, die so stark von der Pandemie betroffen ist, dass es aktuell im Schwerpunkt darum geht, zarte Strukturen zu retten, die schon vor der Pandemie fragil waren und jetzt bei fehlenden Hilfsprogrammen zum Teil unwiderruflich verloren gehen.