Hamburg. Auf dem neuen Album “Brave New Woman“ feiert Leslie Clio ihre Unabhängigkeit. Wie gut der Berliner Sängerin das gelingt.

Nach ihrem Auftritt beim Reeperbahn Festival 2021 könnte die Berliner Sängerin Leslie Clio dieses Jahr eigentlich direkt wieder auf den Kiez kommen. Schließlich soll es auf diesem Festival immer Neues zu entdecken geben, und der Titel von Clios neuem Album deutet an, dass sie sich neu gefunden hat: „Brave New Woman“.

Schon beim ersten Durchlauf folgt man einem wütenden „Girl With A Gun“, das genug hat vom Eingesperrtsein. Mit dem elektrisierenden „Good Trouble“ bricht sie auf, löst alte Bande und Fesseln und glaubt keinen falschen Versprechungen mehr: „Abcdef*uckoff“. Vom einnehmend mediterranen „Comment Allez-Vous“ rauschen die Songs durch Höhen und Tiefen bis hinab zum düsteren wie fantastischen Camouflage-Cover „Love Is A Shield“. Am Ende des Albums feiert sie die Wiedergeburt als „Brave New Woman“. Es klingt wie eine Reise zu sich selbst, mit Stilwechseln von Urban über Neo-Swing, Electro-Pop, Soul und Balladendramen als Stationen.

Neues Album: Das sagt Leslie Clio zu ihrem Werk

„Ich finde es klasse, wenn Leute das erkennen“, freut sich Leslie Clio im Interview. In Zeiten, in denen das Albumprinzip an Bedeutung verliert und bei Spotify einzelne Songs wie Clios erster Hit „I Couldn’t Care Less“ (2012) eher nebenbei wegkonsumiert werden, ist so ein Konzept schon ein mutiger Schritt, aber für Clio nur einer unter vielen. 1986 in Hamburg geboren, zieht sie 2008 nach New York, um einen Produzenten für ein Album zu finden. Den findet sie – allerdings in Berlin. Und mit Nikolai Potthoff (Tomte) entsteht 2013 ihr Debüt „Gladys“, das nur knapp an den Top Ten vorbeischrammt.

Die Nachfolger „Eureka“ (2015) und „Purple“ (2017) sind die gelungene Evolution ihres Soul-Pops zu mehr Vielseitigkeit, aber trotz der Teilnahme 2018 beim populären Karrierebeschleuniger „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ bleibt sie ein „Mainstream Outlaw“, wie sie sich selbst bezeichnet. Zu kantig und unangepasst für die ganz große Show.

Leslie Clio sieht die Musik als Chance, sich auszuprobieren

Aber Leslie Clio sieht das als Chance, mehr auszuprobieren. Ihr Kinderalbum „Kid Clio: Highfive“ ist 2021 so ein Experiment. Für „Brave New Woman“ gründet sie ihr eigenes Plattenlabel House of Clio, und das bedeutet für sie sowohl Freiheit als auch Verantwortung. Sie ist Sängerin, Songschreiberin, Labelchefin, ausführende Produzentin, sprich: Künstlerin und Unternehmerin. „Für mich bedeutet das: Jetzt kann mir keiner mehr was. Beim ersten Album wurde ich noch sehr geleitet, weil ich auch von nichts eine Ahnung hatte. Aber jeder Schritt auf dem steinigen Weg, der danach kam, war lehrreich.“ Die Kreativität hat jedenfalls beim vermeintlich schwierigen Spagat zwischen Kunst und Inspiration sowie Buchhaltung, Veröffentlichungen, Anzeigen, Promotion und Tourvorbereitungen hörbar nicht gelitten. „Ich mache das immer in Phasen, nach der Tour im Frühjahr gehe ich aus Berlin ins Kreativexil, höre in mich und schaue, wie das nächste Album wird.“

Wer bin ich, und welchen Weg will ich als Frau gehen, und was bin ich bereit, dafür zu zahlen: Diese Fragen bestimmen auch auf dem Album die Geschichte. „In den Songs geht es nicht mehr um die Frage, warum er mich nicht mehr liebt“, sagt Clio und lacht. Bestärkung und Befreiung, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung sind der Grundtenor von „Brave New Woman“, der auch im Hintergrund in Clios Team gelebt wird.

Leslio Clios Team besteht ausschließlich aus Frauen

„Ich habe mir ein tolles Frauenteam zusammengestellt, das um das Album herum arbeitet“, sagt Leslie Clio und zählt auf: Managerin, Produktmanagerin, So­cial-Media-Managerin, Social-Media-Assistentin, Promoterinnen für Online, Print, Radio und TV. „Das war eine absolut bewusste Entscheidung, weil wir in einem männerdominierten Geschäft arbeiten. Der einzige Weg da raus ist, Frauen einzustellen.“ Nicht nur predigen, sondern machen ist ihr Ansatz. Einer von vielen kleinen Schritten, um Frauen dazu anzuregen, nicht nur mit dem Singen anzufangen, sondern vielleicht auch als Soundingenieurin, Schlagzeugerin, Produzentin, Managerin. In solchen Bereichen ist das Geschlechterverhältnis noch arg unausgeglichen, auch durch den Mangel an Vorbildern. „Aber ich sehe schon erkennbare Fortschritte, seit ich meine Karriere begonnen habe. Ich bin sicher, mit mehr Diversität im Mainstream wird es weniger langweilig.“

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Allerdings spürt auch Leslie Clio die Gefahr, dass die Corona-Krise vieles über die Jahre Erreichte und Erkämpfte wieder zurückwirft. Die Gewerke der Musik vom Tourmanagement bis zur Lichttechnik sind lückenhaft geworden, Fachkräfte geben auf und wandern ab, ganz unabhängig von Diversitätsfragen. „Da müssen wir draufschauen, warum man es hat so weit kommen lassen. Warum diese Menschen keine Alternative mehr sehen. Wenn Corona etwas gezeigt hat, dann dass die Kultur sich noch besser organisieren und mit einer Stimme sprechen muss. Eine, die auch gehört wird.“ Ihre Stimme bald wieder auf dem Kiez zu hören: am 4. April im Mojo Club. Wenn nichts dazwischenkommt. Aber bereits 2017 sang sie dort „Survivor“ von Destiny’s Child. Dort geht es um das Überleben, darum, nicht aufzugeben. Und dadurch weiser zu werden. Es könnte auch ein Lied von Leslie Clio sein.