Hamburg. Von Beat bis Punk: Alf Burchardt und Bernd Jonkmanns ist ein großartiges Kompendium gelungen, das einen bis in die 1960er entführt.
„In Hamburg ist immer Dom“, hat Fehlfarben-Sänger Peter Hein vor fast 15 Jahren in seinem Buch „Geht so“ geschrieben. Und dass Frank Spilker (Die Sterne) diesen Satz jetzt im Vorwort zu „Sounds of Hamburg“ zitiert, ist nur logisch, denn selbst wer die fast 300 Seiten nur nebenbei durchblättert, kann zu gar keinem anderen Ergebnis kommen: Musikalisch brennt in Hamburg seit den 60er-Jahren die Luft.
Journalist Alf Burchardt und Fotograf Bernd Jonkmanns, die vor einem Jahr schon das wunderbare „Hamburg Calling“ über die Punk-, Underground- und Avantgardeszene der Stadt herausgebracht hatten, sind für ihre aktuelle Kooperation tief in die (jüngere) Musikgeschichte der Stadt eingestiegen; das Ergebnis ist ein Maßstäbe setzendes Kompendium, an dem alle, die in den vergangenen Jahrzehnten Kontakt zur Hamburger Szene hatten, lange Freude haben werden.
Im Bildband „Sounds of Hamburg“ erscheint die Klangwelt der Hansestadt
Das beginnt schon mit den Anekdoten, die hier versammelt sind. So ist etwa zu lesen, dass Bert Kaempfert, später ein Weltstar mit Hits wie „Strangers In The Night“, sein erstes Klavier bekam, weil ihn als Kind ein Taxi angefahren hatte und die Mutter des kleinen Berthold die 500 Mark Schmerzensgeld in ein Instrument investierte. Und wer wusste schon, dass ein Moderator des Bayerisches Rundfunks einst bei laufender Sendung die Freddy-Quinn-Single „Sie hieß Mary-Ann“ (B-Seite: „Heimweh“) mit den Worten zerbrach „Schlimmer geht’s nimmer“?
Oder dass bei James Last der Nachname erst mit langem A gesprochen wurde, als eine internationale Karriere in Planung war? Dass von Udo Lindenbergs erster Platte gerade mal 700 Exemplare verkauft wurden? Dass DJ Helena Hauff ihre Weltkarriere mit geliehenen Alben aus der Bücherhalle begann, die sie mittels Kassettenrekorder neu zusammenbastelte? Noch viel mehr ist hier zu erfahren und das alles liest sich ausgesprochen kurzweilig.
Musik von 1960 bis 2020 in einem Bildband zusammengefasst
Herzstück des schön schwer in der Hand liegenden Bandes aber sind die Abbildungen zahlloser Album- und Singlecover, die Burchardt und Jonkmanns zusammengetragen haben. Gewiss war das nicht immer leicht, sind doch viele Kuriositäten dabei, die nicht einfach so im Plattenregal stehen. Etwa die Werbesingle der German Bonds mit dem Titel „Besser geht’s mit Coca Cola“ (1966) oder die kuriose Fan-Nummer „1:0 St. Pauli vor“, die das Heiligengeist Sextett 1987 veröffentlichte. Und das damals schon stark unterschätzte Pop-Meisterstück „Elefantenjäger“ des Duos Ti-Tho (1983) kennt heute auch so gut wie niemand mehr.
Von 1960 bis 2020 wird jedes Jahr ausführlich dargestellt – und natürlich werden da viele (meist) schöne Erinnerungen wach. An Rockbands wie Frumpy und Atlantis, beide mit Sängerin Inga Rumpf, die in den 70ern auf internationalem Niveau spielten. An die Westcoast-Rocker Lake, die hörbar von Steely Dan beeinflusst waren und ab 1976 auch unter den Radiomoderatoren des NDR viele Fans hatten. An Big Balls & The Great White Idiot, 1977 die vermutlich erste Punkband des Landes.
Mit „Sounds Of Hamburg“ auf vergnügliche Zeitreise
An HSV-Stürmer Kevin Keagan und seinen Hit „Head Over Heals In Love“ (1979). An die Dadaisten Palais Schaumburg, die mit Textzeilen wie „Grünes Winkelkanu, ich dreh dir den Hals herum“ für Verwirrung sorgten (1981). An Felix de Luxe, die Goldenen Zitronen (die aus Alphavilles „Forever Young“ das ironische „Für immer Punk“ machten), Die Antwort, Blümchen, die Anfänge von Blumfeld, Tocotronic, Scooter und Jan Delay (damals hieß er noch Eizi Eiz). An die Skandale um die Punkband Slime, deren Single „Wir wollen keine Bullenschweine“ (1980) bis heute auf dem Index steht – und bei der weltweit größten Plattensammler-Website Discogs aktuell für 225 Euro angeboten wird.
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Es ist wirklich ein großes Vergnügen, mit Alf Burchardt und Bernd Jonkmanns auf diese Zeitreise zu gehen und dann – eine entsprechende Sammlung vorausgesetzt – ein paar der alten Scheiben wieder hervorzukramen. Streams sind da, sorry an alle Digital Natives, noch nicht einmal das halbe Glück. Es braucht schon die Originalcover und – bei Vinylplatten von damals – die durch Endloseinsätze auf Partys und in Studentenbuden erarbeiteten Kratz- und Knackgeräusche. Dann wird bei diesem musikalischen Streifzug einmal mehr klar, was Der Tobi & das Bo schon 1994 wussten: „Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander“. Damals wie heute. Auch in Hamburg.
Alf Burchardt + Bernd Jonkmanns: „Sounds Of Hamburg“ Junius Verlag, 296 Seiten, 49,90 Euro. Die Autoren lesen am 11.11., 19.30 Uhr im UWE Klubhaus St. Pauli (Spielbudenplatz 21), Eintritt: 10 Euro, es handelt sich um eine 2G-Veranstaltung; www.junius-verlag.de