Hamburg. Das Highlight des Comic-Jahrs: Ralf König hat zum 75. Geburtstag von Lucky Luke eine ganz eigene Hommage geschaffen.
Ach ja, die Zigarette. Seit 1988 darf Lucky Luke, der berühmteste Cowboy der Comicwelt, keine Kippe mehr rauchen, er saugt nur noch an einem Grashalm. Dafür gab es einen Spezialpreis der UN-Weltgesundheitsorganisation, aber auch viel Häme. Bis heute. In diesem Jahr wird Lucky Luke 75 Jahre alt, dazu erschien nicht nur der 100. reguläre Band der Comicreihe. Es gibt auch gleich zwei Hommagen berühmter anderer Comiczeichner, die eine ganz eigene Version von Luke schaffen. Und beide arbeiten sich auch an der Zigarette ab.
Im bereits im April erschienenen Band „Lucky Luke Wanted“ des Franzosen Matthieu Bonhomme verhöhnt ein Desperado den Mann, der schneller zieht als sein Schatten: „Man sagt, dass der berühmte Lucky Luke kein echter Cowboy mehr ist, seit er mit dem Rauchen aufgehört hat. Man sagt, er tippelt wie ein Weib mit ’nem Blümchen im Maul durch die Gegend.“ Worauf Luke nur schwach entgegnet: „’nem Grashalm, bitte.“
Der Cowboy macht mal Pause
Nun hat sich auch der deutsche Comic-Zeichner Ralf König Lucky Luke vorgenommen. Bei ihm hat er allerdings nichts im Mund. „Kein Grashalm zwischen den Zähnen?“, wird er gefragt. „Hab’s aufgegeben“, entgegnet er lakonisch. Später bietet ihm ein Schweizer Zigaretten an. Er lehnt ab. Dabei sind es doch nur „Choco-Zigaretten“.
Viel wichtiger ist König aber ein anderes Detail: Nippel. Die fehlen bei Luke immer, wenn er denn mal den Oberkörper entblößt hat, wie bei Asterix und den meisten klassischen Comichelden auch. Das kann sich der Kölner bis heute nicht recht erklären. „Als Kind“, gesteht er, „hab ich ihm immer mit Buntstiften Brustwarzen draufgemalt. Ich dachte, die hat man vergessen.“ Prüderie bei Männern? In seiner Version aber hat Luke Nippel. „Aber so was von! Ich mach so was nämlich mit Liebe!“
Schöne Tradition
Die Abenteuer von Lucky Luke, wurden von 1946 bis zu seinem Tod 2001 von Morris gezeichnet, seither werden sie von dem Zeichner Achdé fortgeführt. Es ist aber schon eine kleine und schöne Tradition, dass zu den Jubiläen des Comichelden auch andere berühmte Comiczeichner ihren Stift ansetzen, um eigene und ganz persönliche Hommagen auf den Cowboy in ihrem Stil, mit ihrem eigenen Strich zu entwerfen. Spiel mir das Lied vom Luke, quasi. Zum 70. Geburtstag erschienen gleich drei solcher Sonder-Bände, zum 75. gibt es nun zwei.
„Zarter Schmelz“ ist dabei das Highlight des deutschen Comic-Jahres. König ist seit Langem der ungekrönte König des deutschen Comics, in seinen Bildergeschichten hat er sich immer wieder auch mit gesellschaftlich brisanten Themen auseinandergesetzt, mit radikalem Islamismus wie reaktionärem Christentum, und im Karikaturenstreit klare Position bezogen. Immer wieder aber kehrt er zu seinen schwulen Knollennasenfiguren zurück, mit denen er bekannt geworden ist und die nicht nur in der Szene begeistert gelesen werden, sondern auch unter Heterosexuellen.
Schwule Cowboys und lesbische Revolverheldinnen
Sie haben wohl auch einen guten Anteil zu mehr Akzeptanz von Schwulen und Lesben in der Republik beigetragen. Nun huldigt Ralf König – selbst ein Jubilar, wenn auch mit 60 ein wenig jünger als Luke mit seinen 75 – einem Idol seiner Kindheit. Lucky Luke trug mit zu seiner Begeisterung für Bildergeschichten bei. Nun durfte er sich nach Herzenslust und ohne Vorgaben austoben.
Und natürlich ist sein Band „Zarter Schmelz“ auch schwuler, als es Western gewöhnlich sind. Westernfilme mit John Wayne und Co. haben ja ein seltsam starres Männerbild vorgegaukelt und manifestiert. Dabei war der „Wilde Westen“ wesentlich diverser. Der Mythos der Freiheit zog Menschen jeglicher Couleur in die Neue Welt, um hier ihr Glück zu finden. Auch das sexuelle Glück gehörte dazu. Es gab sie wirklich, schwule Cowboys und lesbische Revolverheldinnen.
Hier ist alles etwas anders
Eine dieser Mannsweiber mit zumindest unklarer sexueller Ausrichtung hat es sogar zu einem klassischen „Lucky Luke“-Band geschafft: „Calamity Jane“. Es war eins der ersten Hefte, das König verschlungen hat. Deshalb hat die Flintenlady auch bei ihm einen großen Auftritt, hier nun klar als Lesbe gezeichnet, die auch noch eine Fernbeziehung zu einer amerikanischen Ureinwohnerin namens Sitting Butch unterhält.
Überhaupt ist hier alles etwas anders, worauf der Titel ja schon verweist. Beim Duell stehen sich die Knollennasen gegenüber wie sonst in Königs Schwulcomix beim Cruisen. Kopfgeldjäger gibt es keine, dafür aber Autogrammjäger, die hinter dem Cowboy her sind und ständig Autogramme wollen. Den plagt seine Berühmtheit mehr und mehr.
Auszeit vom Heldentum
Deshalb nimmt er sich mal eine Auszeit vom Heldentum und lässt sich gehen. Gammelt rum, legt das rote Halstuch ab, dann auch das ikonische gelbe Hemd (Nippelalarm!) und lässt sich gar einen Bart wachsen, was sein sprechendes Pferd Jolly Jumper nicht goutiert („So gehst du mir nicht unter die Leute“). Und die Kühe des Cowboys sind – lila. Weil sie aus der Schweiz kommen und die Überfahrt nicht vertragen haben. Weil aber Schweizer Schokolade in den USA eingeführt wird und sie die sahnigste Milch dazu geben, muss Luke sie hüten.
„Zarter Schmelz“ meint aber nicht nur Schokolade, sondern ist durchaus doppeldeutig zu verstehen. König nimmt Bezug auf den einzigen großen Schwulenwestern „Brokeback Mountain“. Am Jobcenter (sic!) lernt Luke Bud Willis kennen, der eigentlich auf einen anderen Mann wartet, mit dem er auf dem „Bareback“ Mountain (ein Verweis auf ziemlich unsafen Sex) einst Schafe hütete. Nun hütet er Kühe mit Luke. Und die Fans dürften wohl kurz den Atem anhalten. Hat Lucky Luke, der ewige Einzelgänger, etwa mal eine Liebesgeschichte? Und dann auch noch mit einem Mann?
Ein Schwulen-Western, der buchstäblich entwaffnet
Nein, das kann man hier ruhig verraten, so weit kommt es denn doch nicht. Und doch ist der Held mal nicht nur Beschützer von Witwen und Waisen, sondern auch Beistand von Schwulen und Lesben. Die typische Westernstadt der Bildergeschichten, Nothing Gulch, heißt hier Straight Gulch, ist also ein Hort der Heteros und der Homophobie, wo man Schwule als „Steckrüben“ beschimpft und am liebsten aufknüpfen würde. Aber das Ende dieses Comics ist buchstäblich entwaffnend, Männer lieben Männer, Frauen lieben Frauen, und die Hautfarbe spielt auch keine Rolle. So divers war Lucky Luke noch nie. Das ist, um in der Kuh-Metapher zu bleiben: erste Sahne.
Das Ganze wird übrigens in einer Rahmenhandlung von dem alten Bud Willis erzählte. Diese Erzähltechnik ist ein schöner Verweis auf die Hommage, weil ja auch König nur seine Version von Luke gibt. Dabei entfleucht auch mal ein Seufzer in den Sprechblasen: „Lucky Luke! Du liebe Zeit… Der muss doch auch schon Mitte 70 sein.“