Hamburg. Eine Stadt sieht einen Film: Hamburger Kinos zeigen 70er-Jahre-Streifen „Supermarkt“ online – Mattes probt am Schauspielhaus.
Sie sieht zwar überhaupt noch nicht so aus, aber im Grunde ist Eva Mattes ein bundesdeutsches Kulturdenkmal. Seit mehr als 50 Jahren dreht sie Filme fürs Kino und Fernsehen, macht Lesungen und Musik, spielt Theater und arbeitet als Sprecherin. Schon als Kind hat sie „Lassie“ und „Pippi Langstrumpf“ synchronisiert. Für ihre Arbeit ist sie mehrfach ausgezeichnet worden. Am 27. und 28. Februar kann man sie in einer ihrer ganz frühen Rollen sehen. Sie spielt die Prostituierte Monika im Film „Supermarkt“ von Roland Klick aus dem Jahr 1973, der an diesen beiden Tagen als kostenloser Stream im Rahmen der Aktion „Eine Stadt sieht einen Film“ von 17 Hamburger Kinos angeboten wird.
Wie haben Sie reagiert, als Sie von der Aktion „Eine Stadt sieht einen Film“ gehört haben?
Eva Mattes: Das ist eine großartige Idee. Live wäre das alles natürlich noch viel schöner.
Wie denken Sie heute über „Supermarkt“?
Eva Mattes: Es ist ein fantastischer Film. Hamburg in den 70er-Jahren – alles war noch so anders. Ich habe das ja hautnah hier miterlebt. Deshalb ist es für mich auch noch viel aufregender, als wenn ich zum Beispiel einen Film aus den 40er-Jahren sehe. Das betrifft mich nicht so sehr. Aber den Vergleich mit der Stadt wie sie damals war und heute finde ich hochinteressant.
Sie waren noch sehr jung und sehr blond, als Sie den Film gedreht haben.
Eva Mattes: Ich war 18, und das Blonde ist eine Perücke.
Roland Klick gilt als ein besonderer Regisseur. Wie haben Sie ihn erlebt?
Eva Mattes: Das war er. Er ist wunderbar auf die Schauspieler eingegangen, aber auch auf alles, was um uns und ihn herum passierte. Er war sehr einfühlsam und empfindsam. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem wir schon mehrere Stunden gedreht hatten. Dann sagte er: Ach, ich weiß nicht. Irgendwie läuft es heute nicht so richtig. Lasst uns aufhören! Das haben wir dann auch gemacht.
Das würde heute wohl kaum ein Regisseur machen, oder?
Eva Mattes: Das geht gar nicht. Es war eben ganz besonders. Es gibt im Film eine Liebesszene mit mir und Hauptdarsteller Charly. Er liegt auf mir drauf. Man sieht, wie meine Hände über seinen Körperstreichen. Es ist eine sehr schöne intime Szene. Um uns einzustimmen saß Roland neben der Kamera und hat für uns Gitarre gespielt.
Der Hauptdarsteller war ein Laie. Wie hat sich das ausgewirkt?
Eva Mattes: Er war authentisch, fantastisch und total präsent. Eine Szene spielt auf der Reeperbahn. Roland Klick hat gesagt du musst aus deinem Etablissement rauskommen. Ich gebe dir noch einen Teller Spaghetti in die Hand. Am besten wäre es, wenn das Laufpublikum einen Kreis um dich bildet. Du musst irgendeinen Skandal auslösen. Es wurde mit versteckter Kamera gedreht. Besoffen sollte ich auch noch spielen. Ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte. In der Bar, in der ich geschminkt wurde, gab es aber Getränke. Ich sagte zu meinem Maskenbildner: Gib mir mal ein Glas Doornkaat! Ich bekam ein volles Whiskyglas. Das habe ich auf ex ausgetrunken. Die Kollegen haben mich gehalten. Ich konnte gar nicht mehr gehen und bin auf die Reeperbahn gestürzt, die Spaghetti vorneweg. Als ich hochguckte, stand eine Traube Menschen um mich herum. Dann habe ich da einfach nur noch rumgegrölt. Meine ganze jugendliche Verzweiflung kam raus. Zwei Zuhälter haben mich dann wieder reingezogen. Da standen zwei Matrosen in weißer Uniform. Denen habe ich mich für 500 DM angeboten. Sie haben anschließend noch mal nach mir gefragt. Da hing ich aber schon über der Toilette. Um 5 Uhr morgens bin ich dann mit unserem Aufnahmeleiter zum Griechen gegangen, um zu frühstücken.
Wie ging es weiter?
Eva Mattes: Charly ist nach Berlin abgehauen. Er hat gesagt, er macht nicht mehr mit, so etwas kann man mit einem so jungen Mädchen nicht machen. Roland und ich sind dann nach Berlin geflogen, um ihn zurückzuholen.
St. Pauli sieht im Film richtig abgerockt aus.
Eva Mattes: Genau. Ich liebe überhaupt an dem Film, dass er so dreckig ist. Es ist ein richtiger Actionfilm. Und trotz des sozialkritischen Themas macht er auch Spaß. Das war für die damalige Zeit ungewöhnlich für einen deutschen Film. Die anderen waren eher langsam, träge und noch trauriger.
Die 70er-Jahre waren nicht das schlechteste Jahrzehnt für den deutschen Film, oder?
Eva Mattes: Absolut.
In Oskar Roehlers Fassbinder-Biografie „Enfant terrible“ haben Sie einen kleinen, aber feinen Auftritt als Brigitte Mira. Es sieht aus, als hätten sie Spaß gehabt. War das so?
Eva Mattes: Oh ja. Ich mag Roehlers Filme und würde bei ihm alles spielen. Aber er bietet mir immer nur so kleine Rollen an. Er hat mich nicht einmal selbst angerufen. So hat Fassbinder es übrigens auch gemacht. Er ließ anrufen. Überredet hat er einen nicht.
Fassbinder hat einigen seiner Schauspieler das Leben ziemlich schwer gemacht. Sie haben nicht so sehr unter ihm gelitten?
Eva Mattes: Gar nicht, weil ich nie zum engeren Kreis gehört habe. Ich war ja auch sehr viel jünger als die anderen. Als ich zu ihm kam, war ich zwar erst 16, aber ich hatte mit zwölf schon angefangen zu arbeiten und war unabhängiger. Ich war nicht so sehr auf ihn angewiesen, hatte mir aber lange gewünscht, mit ihm zu arbeiten.
Sie sind in Ihrem Berufsleben enorm produktiv gewesen und waren auf ganz unterschiedlichen Gebieten tätig. Haben Sie einen Plan?
Eva Mattes: Ich habe immer gern alle Möglichkeiten ausgekostet, die dieser Beruf mit sich bringt. Liederabende, Hörbücher, auch mal einen Kommentar sprechen für tolle Arte-Produktionen, Theater spielen, drehen – das macht mir alles Spaß. Deshalb langweile ich mich auch nie. Ich mag meinen Beruf immer noch, er war immer mein Traum. Früher habe ich sehr darauf geachtet, dass meine Rollen ganz unterschiedlich sind. Ich wollte es vermeiden, in eine Schublade gesteckt zu werden. Als „Tatort“-Kommissarin Klara Blum bin ich aber doch ein bisschen hineingeraten. Unter anderem habe ich auch deshalb nach vierzehn Jahren aufgehört.
Sie proben gerade ein neues Stück am Schauspielhaus. Worum es geht, ist aber noch geheim, oder?
Eva Mattes: Ich arbeite gerade zum zweiten Mal mit Karin Beier. Das macht mich sehr froh, ich schätze ihre Inszenierungen und mag die Art wie sie arbeitet. Ein bisschen ist dieses Theater auch „mein Haus“. Ich war insgesamt zwölf Jahre hier und fing an, als ich erst 17 Jahre alt war. Ich fühle mich diesem Haus und auch der Stadt sehr verbunden.
Was machen Sie, um nach einem Probentag wieder runterzukommen?
Eva Mattes: Ich gehe zu Fuß vom Theater zu meiner Wohnung auf der Fleetinsel. Die halbe Stunde an der frischen Luft tut einfach gut. Ich entwickle im Laufe des Tages einen richtigen Lufthunger. Wenn ich angekommen bin, denke ich: So, jetzt musst du erstmal Text lernen. Aber so richtig viel geht dann nicht mehr rein.